II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 363

WC
box 29/1
24. baste Land
Ausschnitt aus Leipziger Abendzeitung, Le
vorn MKiühER 1911
DW LRMALEEKNIATTERHEKERLE MRATE DRURGREEREEER E
setzen der Lagik, die letzten Endes auch das uns
Das weite Land.
verworren Dünkende regiert; die Charaltere der
agierenden Personen stellen nicht allein das natür¬
Tragikamödie von Artur Schnitzler.
liche Produkt von Wert und Handlung dar, sie er¬
(Uraufführung im Neuen Theäter.)
scheinen vielfach konstruiert und gekünstelt und
Versiegt in dem erst neunundvierzigjährigen
wandeln sich, um eines dramatischen Effekts willen.
Wiener Poeten schon die aus dem Ursprünglichen
Man merkt es: Der Dichter hat seinen Stoff nicht
schöpfende dichterischeGestaltungskraft oder nimmt sich
allenthalben gemeistert.
der Vielbeschäftigte, der Jahr um Jahr ein und
Schnitzler hat sein neuestes Merk auf überaus
auch zwei Werke erscheinen lässt, nicht mehr die
breiter Grundlage aufgebaut. Er schädigt sich da¬
rechte Zeit zu seinem literarischen Schaffen? Un¬
mit; denn wenn irgendwo in der Welt, gilt in der
willkürlich drangten sich während der Uraufführung
Dramatik, daß in der Kürze die Würze liegt. Schan
der Tragikomödie „Das weite Land“ diese
im zweiten Akt ermüdet die Breite. Am schwäch¬
Fragen dem aufmerkenden Zuhörer auf. Ich will
sten ist das Werk aber doch in jenen Szenen, in
die Antwort darauf offen lassen; denn um jene
denen Schnitzler seine Philosophien an den Mann
Fragen zu erschöpfen, bedarf man der intimen per¬
bringt. Da spinnt sich der dramatische Faden nur
sönlichen Bekanntschaft mit dem Autor. Doch der
mühsam fort, da ergeht sich der Dichter in Essays,
eine oder der andere Grund muß vorliegen, um
die leider nicht einmal immer geistreich und glan¬
den Rückschritt erklärlich zu machen, den der Dichter
zend sind, wie man es von Schnitzler erwarten
der „Liebelei“ und des „Zwischenspiels“ in seinem
darf. Allenthalben fehit der straffe dramatische
neuesten dramatischen Werk getan hat.
Zug, die Freude am eigenen Worte läßt den Dichter
Dasweite Land: Es ist das Menschen¬
Raum und Zeit vergessen.
herz, das schon die biblische Weisheit ein selt¬
Schnitzler führt uns in eine ziemlich korrupte
sam trotzig und verzagt Ding nannte. Der Dichter
Gesellschaft. Soviel Ehepaare auftreten, soviel ge¬
will seine Lebensnöte schildern, den Fäden nach¬
hörnte Ehemänner und betrogene Gattinnen gibt
spüren, die sich in ihm zum wirren Gespinst ver¬
es. Und dazwischen treiben sich noch einige junge
einigen, will ergründen, welcher Art die geheim¬
Leute umher, die Liebesfreuden genießen, wo sie
nisvollen Mächte sind, die alles menschliche Denken
sie finden. Die „Wohlanständigkeit“ wird nur
und Fühlen im Herzen des Guten wie des Bösen
durch den Doktor Franz Mauer vertreten, der dafür
regieren. Und er kommt zu der Erkenntnis (die
allerdings ein wahrer Ausbund an Tugend ist. Es
er durch den Mund des alten Aigner verkündet),
ist im Nahmen der Kritik nicht gut möglich, alle
„daß wir Menschen höchst komplizierte Geschöpfe
die seelischen Wirrnisse Friedrich Hofmeisters, des
sind, daß vieles zugleich Naum in uns hat: Liebe
Helden der Tragikomodie, aufzuzählen; er, der ein
und Trug. Treue und Treulosigkeit, Anbetung für
Konglomerat niedrigerGesinnung und geschraubter
die eine und Verlangen nach einer anderen oder nach
Edelmannsmänieren ist, liebt seine Frau bis zum
mehreren. Wir versuchen zwar Ordnung in uns
Wahnsinn, und verführt doch, fast unter den Augen
zu schaffen, aber diese Ordnung ist etwas Künst¬
dieser Frau, die Cattinnen und Töchter seiner Be¬
liches, das Natürliche ist das Chaos.“
kanntschaft. Und die Sippe um ihn treibt
So der Dichter. Seine Philosophie wird viel¬
9
gleichermaßen, mag sie in Baden bei Wien oder
fach Widerspruch finden. Doch die Schauspielbeitik;
am Völser Weiher droben in den Tyroler Bergen
interessiert der Streit um die Richtigkeit einer
weilen. Frau Genia, seine Gattin, aber, die sich
Hypothese erst in zweiter Linie. Für sie gilt es,
in Sehnsucht um ihren dreizehnjährigen Buben
die Frage zu entscheiden, ob es dem Dichter ge¬
verzehrt, die im ersten Akt so abgeklärt und ver¬
lungen ist, Charaktere zu zeichnen, die seine Be¬
zeihend über die Abenteuer ihres Mannes spricht,
hauptung restlos beweisen, sie in Worte und Hand¬
die sich der Zeit kaum noch entsinnen kann, in der
lungen umsetzen. Aber diese Frage muß ich zum
sie der Schmerz über des Gatten Untreue fost ver¬
größten Teil doch verneinen. Denn die weit¬
leitet hätte, Gleiches mit Gleichem zu vergelten,
aus meisten Geschehnisse in diesen langen fünf
sie
läßt doch, angewidert vom Treiben dieses
Ale amspringen nicht immer den strengen Ge= Mannes, später den jugendlichen ebhaber zum
KRRER. ERA T TRINME K ENAAWEMEEETE
Fenster hereinsteigen. Fürwahr: Das Chaos, das
Schnitzler als das Natürliche im Leben bezeichnet, A
herrscht auch in seiner Tragikomödie in überreichem
9
Maße.
Die Aufführung unter Herrn Huths Regie
war nicht sonderlich glücklich. Die Schnitzlerschen
Breiten traten in der Huthschen Auslegung be¬
sonders scharf hervor, anstatt diskret zu retou¬
chieren, unterstrich man vielfach noch kräftig. In¬
folgedessen erschienen die Charaktere noch hizarrer
als sie der Dichter zeichnete. Namentlich tat dies
in der zwar ganz unterhaltsamen, aber doch höchst
überflüssigen Einleitung des dritten Aktes zutage,
der das Kommen und Gehen im Hotel schildert.
L
Eine gute Leistung bot Herr Walter als Hof¬
T
reiter, den er mit Erfolg versuchte, uns mensch¬
lich nahe zu bringen. Sein reiches künstlerisches
Können bewahrte uns vor dem Schrecklichen, den
Hofreiter als ausgemachten Theaterbösewicht zu
C
sehen, einen Fehler, den Herr Zadeck als Natter
leider nicht immer vermied. Frl. Nolewska
gab die Genia mit Wärme und großer Natürlich¬
2
keit, konnte sie aber trotzdem nicht in allen
Nuancen glaubhaft gestalten. Herr Kothe war
ein eleganter Hoteldirektor und Herzensbrecher,
Herr Brügmann zeichnete den Fähnrich Otto
zu weich und verschwommen, auch Frl. Fuchs
liegen Rollen wie die der hysterischen Erna Wahl
nicht. Herr Wendt (Maurer) war der gute
Kerl, den der Dichter zeichnete, auch Frl. Dall¬
dorf und Frl. Schippang fanden sich mit ihren
Aufgaben gut ab. In episodischen Rollen
sich Frau Huth, Herr Proft (ein
Portier!) und Herr Winds jun. aus #
mar und Herr Demme schienen dagegen
besonders guten Tag zu haben. Die szens
stattung war glänzend wie immer, der
aber für eine Premiere reichlich schwach. Alles in
allem: Ein Achtungserfola. an dem Herr Waltet
und Frl. Nolewska den stärksten Anteil hatten.
Krng
94
v