M in „Mriten. d. ventreit . und Knrchne, Porten. 333
Philosophie“ zum besten zu geben. Die eigentliche Handlung des
Stückes bestreiten vier andere Der Fabrikant Hofreiter, seine Frau,
deren Geliebter, ein Marinefähnrich (der Sohn Aianersl und eine
Demi=Vierge, Fräulein Erna Wahl, die im „Höhenrausch“ des
Hebirges sich dem Fabrikanten an den Hals wirst und seine Ge¬
liebte wird. Aber bevor diese beiden Paare „sich finden“ führt
Schnitzler eines seiner bekannten Probleme vor, das sich nicht lösen
läßt und darum zuguterletzt mit einem Pistolenschuß verpufft, dem
der junge Fähnrich zur See zum Opfer fällt. Frau Hofreiter hat
nämlich, so wird uns zu Anfang des ersten Aktes erzählt, einen
jungen Pianisten, den sie angeblich nicht erhören wollte, in den Tod
getrieben. Herrn Hofreiter, der wiederum ein altes Verhältnis mit
Frau Natter, der Gattin seines Freundes, unterhält, ist diese Zurück¬
haltung seiner Frau insofern etwas peinlich, als er offenbar allzu
gern sähe, daß auch sie ihr Techtelmechtel und infolgedessen nichts
vor ihm voraus habe. Denn darauf kommt die ganze Sache schlie߬
lich hinaus. Als Hofreiter dann später erfährt, daß seine Frau
den jungen Fähnrich Nachts in ihr Fenster steigen laßt, almet er
in „sittlicher" Erleichterung auf und meint in unübertrefflich selbst¬
gerechter Weise: „Es ist mir wie eine — innere Befreiung. Es ist
gewissermaßen, als hätte sie Sühne getan für den Tod Korsakows
i. der Pianist) und zwar in einer höchst vernünftigen und
schmerzlosen Weise. Sie fängt an, mir wieder menschlich nahe
zu sein!!" Die unverblümte Erotik treibt also auch in diesem
Schnitzlerschen Stücke wieder ihr Wesen nur gegen früher mit dem
Unterschiede, daß sie nicht mit der giaziösen Leichtfertigkeit auftritt,
sondern ihre Figuren wie Marionetten aufziehen läßt. Erna Wahl
sowohl wie der Fähnrich, die beide im Leben des Ehepaares Hoi¬
reiter eine Rolle spielen, sind ganz anders angelegt, als sie später
sich entwickeln und treten beide unvermittelter auf den Plan, als es
ein logisch aufgebauter Bühnenvorgang vertragen kann. Daß der
Ehemann Hosteiter schließlich in einer fast launigen Anwandlung
auf den seinem Charakter so garnicht entsprechenden Einfall kommt,
den Fähnrich wegen des „Einsteigens“ auf Pistolen zu fordern und
ihn aus Versehen niederzuschießen, liegt ebensowenig im Plan der
ganzen Tragikomödie, als in den Grundsätzen Hofreiters, einer
innerlich durch und durch haltlosen Natur. Für Breslau hat das
Stück seine besondere Bedeutung, als darin auch, wenigstens in der
Buchausgabe, eine episodische Figur erscheint ein Herr Serknitz aus
Breslau, der im Hotel des Badeortes so oft vergeblich nach seiner
reinen Wäsche fragt. Im Hinblick auf die viele schmutzige, die in
den Akten ausgebreitet wird, wirkt dieser Herr Serknitz aus Breslau
wie ein Apostel der sittlichen Reinheit, und wenn sie sich zunächst
auch nur in seinem Bedürfnis nach sauberen Oberhemden außert. Der
Verfasser hat auch mit diesem Stück die großen Erwartungen, die
man vor 15 Jahren nach dem Erscheinen seiner „Liebelei“ auf ihn
gesetzt hatte, nicht erfüllt. Der Stimmungsgehalt und die scharfe
Porträtierung der Charaktere, die sonst Schnitzlers starke Seite zu
sein pflegten, sind hier bei weitem nicht mit der alten Meisterschaft
gehandhabt, und geblieben ist eigentlich nur die Prägnanz des
Dialogs, der zuweilen auch von witzigen und geistreichen Bemerkungen
dnrchfetzt ist. Der stark hervortretende Zug zur Pikanterie, der in
Schnitzlers sein geschliffenen Einaktern ganz an seinem Platze war,
beeinträchtigt hier in diesen fünf Akten, denen vor allem die innere
Einheitlichkeit fehlt, völlig den Zug ins Große und Kraftvolle. Und
was das „weile Land“ der Seele betrifft, so bleiben diese Seelen
schon am Grenzpfahl stehen, aus Furcht, sich darin zu verirren, sind
sie doch schon verirrt genug!
Die Aufführung unter Herrn Bonnos Regie litt unter einem
gewissen Stilmangel, der sich besonders in den ersten Akten sehr
empfindlich bemerkbar machte. Die Regie hatte das Stück aus dem
Wiener Milieu, in dem es recht eigentlich geboren ist, herausgeholt
und es nach irgend einer deutschen Mittelstadt transportiert, so
„bürgerlich“ erschienen diese Typen, die doch das Wurmstichige und
Charalterlose dieser Weltstadtschicht zur Erscheinung bringen sollten.
Es fehlte so die kapuensische Luft mit ihrer entnervenden und ent¬
sittlichenden Ueppigkeit, und die Menschen machten zum Teil mehr
den Eindruck von harmlosen Schwerenötern, die auch einmal ihr
Liebesabenteuer haben wollen. So vermochte die Darstellung im
ganzen das Stück nicht zu retten, denn solche Tragikomödien mit dem
starken Einschlag des französischen Sittenstückes müssen ganz anders
gespielt werden, wenn sie irgendwelche Wirkung haben sollen. Der
Ton wurde allzuhäufig zu solide und ehrbar genommen, und so blieb
auch das Publiium teilnahmslos und stürmte in den Pausen, wie es
im Stück heißt. „tief ergriffen ins Restaurant!“
Im einzelnen soll manches anerkannt werden. Herr Strobl
in der führenden Rolle (Hofreiter) gab dieser saft= und kraftlosen
Figur den chatalteristischen Ausdruck, stand indessen ziemlich einsam
in diesem Milieu, denn seine Partnerin, Frau Santen (Genia),
nahm ihre Rolle viel frauenhaft ehrbarer und gründlicher, als dem
ganzen Gesellschaftsbilde und seiner Prägnanz nützlich war. Fräulein
[Lind (Erna) fand sich erst allmählich in ihre Rolle hinein, die wohl
besser Fräulein Kernic zugeteilt worden wäre. Fräulein Linds
Beanlagung dürfte für diese Art großstädtischer Jungfrauen“ nicht
gerade in Betracht kommen. Herr Skoda mußte sich irit einer recht
kümmerlich bedachten Rolle (Fähnrich) begnügen und versuchte, das
Mögliche aus ihr herauszuholen. Herr Elfeld spielte einen „an¬
ständigen" Biedermann (Dr. Mauer) mit wohl abgemessenem Ernst.
Herr Bauer kam mit seinem Aigner, einem Don Juan gefährlichster
Art, nicht recht heraus. In einer recht überflüssigen Füll=Rolle be¬
mühte sich Herr Iltz. Auch Herr Schmidt (Natter), unser
Charakterspieler, wußte nicht recht, was er für das Stück tun konnte.
Genannt seien ferner die Damen Salta, Eckert (wohl allzu
kleinbürgerlich) und Kernic, die Herren Halpern, Glase¬
mann, Koch und
ineren Rollen die zur Handlung in
loser oder gar kein¬
Schlesische Zeitung, Breslau
15 10. 1911
an die Vor
unerquicklich
Lobetheater.
Wiederholun
„Das weite Land“.
Schlesischen
gefaulten
Am gleichen Abende, an dem Artur Schnitzlers fünfaktige „Tragi¬
führung als
komödie" („Das weite Land“. Tragikomödie in fünf Akten von Artur
schilderten
Schnitzler. S. Fischer, Verlag, Berlin 1911. 174 S. 8°) hier zum
erfreulichst
erstenmal gespielt wurde, fand auch in Wien, Berlin, München und an neun
schwächsten
anderen Orten die Uraufführung statt. Die deutschen Bühnen wollen durch
so erscheinen
solchen Eifer jedenfalls dem Dichter Genugtuung bieten für die dem jungen
doch kaumbe
„Medardus“ (Berlin, S. Fischer, Verlag, 1910, 3. Auflage 1911) gegen¬
über geübte Zurückhaltung. Die an Persoven überreiche „dramatische
erfährt, al
Historie“ konate in der Tat außerhalb der Varerstadt des Verfassers nicht
Klavierspiel
genügende Teilnahme wecken, wie andererseits Leo Feig in seiner Lob¬
Santen),
schrift auf den Lokalpatriotismus des Dichters („Schnitzler und die Wiener“.
habe. Tro
Wien, Verlag Kaepler 1911) das Stück rühmt als einen „interessanten
Frau Adel#
Ausschnitt aus dem Wien der Basteien vom Anfang des vorigen Jahr:
seinem Ha#
hunderts“; „Wiener Sitten und Eigentümlichkeiten“ seien hier „eingefangen,
von seiner
die vor hundert Jahren so gang und gäbe waren wie heute".
abgestoßen,
Im Lobetheater ist wohl 1908 Schnitzlers Einakterzyklus „Marionetten“
bedeutende
(2. Auflage, Berlin, Fischer 1906) leider mit sehr geringem Erfolge, und
es Frau G#
im voriger Jahre die einaktige Komödie „Komtesse Mizzi“ gegeben worden;
spiel“ zurück
an seine größeren Dramen hat man sich seit der kühlen Aufnahme des
seinem Frei
„Einsamen Weges“ (5. Auflage 1910) im November 1904 im Lobetheater
Menschen
nicht mehr herangewagt. Die Komödie „Das Zwischenspiel“ (1908. 4. Auf¬
(Fräusein
lage 1910), deren Motive im „weiten Land“ gelegentlich etwas anklingen, ist
Die sehr en
anläßlich von Kainz' Gostspiel im Schauspielhause zweimal vorgeführt worden.
wohlbehütet
Das Schauspiel „Der Ruf des Lebens“ (3. Auflage 1910) bekamen wir in
Breslau im Sommer 1909 im Sommertheater zu sehen. Gerade die Freunde,
ofreit
die der Dichter der „Liebelei“ (9. Auflage 1909) und von „Beatricens Schleier“
sich erworben hat, konnten es nur billigen, daß dem um das deutsche
Theater hochverdienten Wiener Dramatiker der mit Sicherheit vorauszu¬
sehende Mißerfolg jener letzten Werke im Lobetheater erspart blieb. Mit
umso größerer Spannung blickte alles Schnitzlers neuestem Werke entgegen.
Ist es aber Schnitzler nun, wie alle wünschten, auch wirklich ge¬ 3
„Domiuospie
lungen, den alten Ruhm nach längerer Pause durch eine neue dichterische
Tat zu rechtfertigen? Überschaut man die Werke, die unsere seit zwei
im eleganten
Jahrzehnten am meisten genannten Dramatiker Gerhart Hauptmann und
vorgeht, glat
Sudermann, Schnitzler, Hofmannsthal und Max Halbe in letzter Zeit zu
ihren Mann
zärtlichen Li
Tage gefördert haben, so drängen sich einem mit Bangen unwillkürlich
Skoda) das
ofi angeführte Verse eines älteren berühmten Wiener Dichters auf:
„Fallen seh ich Zweig auf Zweige,
einer berüh
einen zwe
Kaum noch hält der morsche Stamm.“
verschulden.
Schriftsteller, die noch jedes Jahr ein Bühnenwerk liefern wollen,
sollten nicht „vom Vergangenen leben“ müssen in dem Sinne, daß nur
Anfall üble
Natter (Her
ältere Erfolge, nicht eigene Vorzüge, den neuesten Arbeiten zur Empfehlung
dienen. Ich bewundere Schnitz#s schalkhaft graziöse Anatolszenen, seine
Frau nicht
beiden Einakterreihen „Der grüne Kakadu" und „Lebendige Stunden";
Weise den
ich halte auch heute noch wie vor elf Jahren nach der leider völlig un¬
Haufen. Be
als Sekun
genügende Uraufführung im Lobetheater den „Schteier der Beatrice" für
das weitaus beste neuere Drama und freue mich, daß die lang zurück¬
den Gatten
gestellte Dichtung, die inzwischen als Buch die vierte Auflage erlebte, in
Maitresse Ad
diesem Jahre bei einem erneuten Versuche im Hamburger Schauspielhause! hätte Herr
endlich nach ihrem hohen poetischen und dramatischen Werte gewürdigt
reiche Stri
wurde. Allein alle lebhafte Vorliebe für frühere Dichtungen Schnitzlers
finde, nicht
hilft nicht weg über den peinlichen Eindruck, den seine neueste „Tragi¬
deutendheit
komödie“ hinterläßt. Wie oft vermißt man hier Schnitzlers sichere
urteilsfreien
dramatischer Technik seine in Einaktern so glänzende Bühnenkenntnis. Ge¬
und gelegen
wiß, der Dialog ist leicht und gewandt, voll geistreicher Wendungen, aber
Natters Sch
trotz sorgfältiger Verzahmung der Handlung und der allzu deutlich auf l neuen Reiz
ußeren Effekt berechneten Aktschlüsse bleibt vieles undramatisch. Nicht 1 des Rächers