II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 381


WO
Land
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24. Das „1te lund
ses indessen vor, sie zu verabschieden und allein zu neuen Liebes¬
an die Vorzüge von Schnitzlers früheren Dramen, sondern an seinen
abenteuern nach Amerika auszuwandern. Der Tod des armen Otto
unerquicklichen Roman „Der Weg ins Freie“ (1908) mit dessen endlosen
wegen die Liebelei mit einer verheirateten Frau erinnert in etwas
Wiederholungen wird man erinnert. Ja ich fürchte, die Leser der
an Schnitzlers vielgerühmtes und mit Recht vielgerühmtes Jugenddrama.
Schlesischen Zeitung werden, wenn sie die Bekanntschaft mit der an¬
Aber welch ein Abstand trennt ästhelisch wie ethisch die beiden ungleich¬
gefaulten Gesellschaft machen, die durch fünf Akte Ehebruch und Ver¬
nfaltige „Tragi¬
artigen Werke!
führung als Inhalt des Daseins betreibt, an den im Mittwochblatte ge¬
Akten von Artur
In der Burleske „Zum großen Wurstel“ hat Schnitzler mit Humm
schilderten Inhalt von Artur Landsbergers Romanen aus Berlin W. un¬
80) hier zum
und scharfem Witz seine eigenen und fremde Dramen parodiert. „Das
erfreulichst erinnert. So unendlich hoch der Dichter Schnitzler selbst in
en und an neun
weite Land“ kann in manchem Zuge beinahe als Parodie er¬
schwächsten Stunde über derartigen Machwerken selbstverständlich auch steht,
nen wollen durch
scheinen. Die Echtheit und Lebenstreue der Gestalten, für deren jede
so erscheinen die im „weiten Land“ angeführten Personen und Zustände
die dem jungen
einzelne Schnitzler zumeist ein bestimmtes Vorbild vor Augen stand,
doch kaumbesser als die „Moral“ von Hilde Simon und ihrem Kreise.
age 1911) gegen¬
ist nicht anzuzweiseln. Aber wollte man das Stück mit der Begründung
Der sehr reiche Fabrikant Friedrich Hofreiter (Herr Strobl)
he „dramatische
verteidigen: so ist das Leben, dann wäre doch die Frage aufzuwerfen, ob
erfährt, als er von dem Begräbnis eines ihm befreundeten russischen
Verfassers nicht
es eine dankbare Aufgabe des ernsten Dramas — denn als Satire kann
Klavierspielers nach Hause kommt, durch seine Gattin Genia (Frau
in seiner Lob¬
man die Tragikomödie unmöglich auffassen — sein soll, uns ein solches
Santen), daß jener sich aus unglücklicher Liebe zu Frau Genia erschossen
Viener“.
Stück Leben in dieser Weise vorzuführen. In der „Liebelei“ gewinns
habe. Trotz der fortgesetzten Untreue des Mannes, dessen Maitressen
santen
ud
jeder Zuschauer einige Teilnahme für die jugendliche Heldin und ihren
Frau Adele und Fräulein Erna (Fräulein Kernic und Lind) in
alten Vater. Im „weiten Land“ ist kein einziger Mensch, der unser
seinem Hause ein= und ausgehen, wird der unwiderstel liche Friedrch
gen,
Interesse zu erregen vermöchte, nicht einmal Otto, dessen Begabung
von seiner Frau noch geliebt; er dagegen fühlt sich neuerdings von ihr
ihm eine große Laufbahn versprechen soll. Es ist eine zu erbärmliche
abgestoßen, weil sie seinen Freund durch Verweiserung einer so un¬
ietten“
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Gesellschaft, ums einen ganzen Abend uns in Anspruch zu nehmen.
bedeutenden Extratour in den Tod getrieben habe. Dennoch gelingt
und
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Sittenschilderung? die ist das unbestreitbare Recht des Dichters. Aber
es Frau Genia beinahe, ihren Don Juan zu einem ehelichen „Zwischen¬
gegeben worden;
dann sei auch an das neulich vorgeführte Wort Goethes über den rück¬
spiel“ zurückzugewinnen, als er aufmerksam gemacht wird, das die von
n Aufnahme des
sichtslosen Sittenschilderer Molière erinnert: der beherrschte die Sitten
seinem Freunde Dr. Mauer (Herr Elfeld), dem einzigen anständigen
im Lobetheater
seiner Zeit und war nicht von ihnen befangen. Von Schnitzlers
Menschen im ganzen Stücke, umworbene Demivierge Erna Wahl
i (1908. 4. Auf¬
Schilderung von Wiener Finanzkreisen, Lebemännern und von der Ge¬
(Fräusein Lind) sich gar gut zum nächsten Liebesverhältnisse eigne.
pas anklingen, ist
sellschaft geduldeten Dirnen dagegen gelten Schillers strafende Zenien.
Die sehr emanzipierte junge Dame bleibt zunächst zweifelhaft, ob sie die
orgeführt worden.
was könne „dieser Misère
wohlbehütete Ehefrau Mauers werden oder Erregungen vom Leben
bekamen wir in
Großes begegnen, was kann Großes denn durch sie geschehen?
fordern soll. Sie entscheidet sich für die Liebschaft mit Herrn
Freunde,
rade die
Unseren Jammer und Not suchen und finden wir hier!“
Hofreiter während und nach einer gefährlichen Bergbesteigung,
tricens Schleier“
die zugleich ihrem in der Hütte zurückbleibenden Bruder Gustav
Diese Art von Lebenswahrheit nannte Schiller „die erbärmliche Natur“.
eutsche
um d
(Herr Jltz) erwünschte Gelegenheit gibt, die Frau Rohn (Fräulein
Schnitzler will unter dem „weiten Land“ die menschliche Seele ver¬
tszu¬
Herhei
(Ferver) über die Abwesenheit ihres im Hotel an einem
standen wissen. Nun, „schöne Seelen“ hat er uns gerade nicht vor¬
Mit
Trauerspiel dichtenden Gatten (Herrn Glasemann) gründlichst
geführt, ja diese Leute, die in Herrn Friedrich Hofreiters Villa verkehren
gen.
zu trösten und den ahnungslosen Ehemann und Poeten über dieses
und in dem Hotel des Herrn von Aigner, dem nachgerühmt wird, daß
ich ge¬
„Dominospiel“ in der Alpenhütte dann zu verhöhnen. Während das
er in jedem Dorfe Tirols ein uneheliches Kind habe, bei denen sind
neue dichterische
im eleganten Berghote! Herrn von Aigners (Herr Bauer) am Völser Weiher,
ganz andere Eigenschaften und Triebe ungleich stärker entwickelt, als
eit zwei
vorgeht, glaubt die auf ihrer Villa in Baden bei Wien zurückgebliebene Genia
was man gewöhnlich unter seelischen Regungen versteht. Die Liebe
Hauptmann und
ihren Mann durch das eigenartige Mittel zurückzugewinnen, daß sie die
Schnitzlers zu seinem Wien, wie Feigl sie jüngst geschildert hat, ist ein
in letzter Zeit zu
zärtlichen Liebeswerbungen des blutjungen Marinefähnrichs Otto (Herr
schöner Zug an dem so hochbegabten, in vielem vortrefflichen Dichter.
gen unwillkürlich
Skoda) das Sohnes, des Hoteldirektors von seiner geschiedenen Frau,
Aber sein Roman und seine letzten Dramen rufen uns die Warnung
ters auf:
einer berühmten Schauspielerin (Fräulein Salta), erhört, um ja nicht
eines anderen Dichters, der sein Wien mit ganzer Seele umfaßte, ins
einen zweiten Selbstmord eines abgewiesenen Liebhabers zu?
Gedächtnis. Grillparzer warnte seine dichtenden Genossen vor dem ge¬
verschulden. Allein merkwürdiger Weise faßt ihr Gatte in einem
liebten Wien:
wollen,
„Entnervend weht dein Sonnenhauch,
Anfall übler Laune die Sache diesmal anders auf. Da der Bankier
an
aß nur
Du Kapua der Geister.“
Natter (Herr Schmidt) durch die Mitteilung der Verführung seiner
fehlung
zur En
Man könnte in Schnitzlers Roman und letzten Dramen wie bei
Frau nicht zum Duell zu bewegen ist, insultiert Friedrich in brutaler
natolszenen, seine
Hofmansthal, so verschiedenartig, ja entgegengesetzt die Richtungen der
Weise den jungen Fähnrich und schießt ihn im Zweilampf über den
idige Stunden“;
beiden Wiener Dichter sind, diese üble Einwirkung herausspüren.
Haufen. Besonderen Spaß macht es Herrn Friedrich Hofreiter, dabei
leider völlig un¬
An die Aufführung stellt Schnitzlers „Tragikomödie“ ziemlich hohe
als Sekundanten Herrn Natter und Ooerleutnant Stanzides,
Her Begtrice“ für
Anforderungen. Aber wenn es unseren Darstellern auch nicht gelang
den Gatten und den jetzigen militärischen Geliebten seine abgedankten
die lang zurück¬
und nicht gelingen konnte, die schwache Komposition des Dramas als
Maitresse Adele, zur Seite zu haben. Diesen Husarenleutnant Stanzides
flage erlebte, in
Ganzen zu verdecken, so haben sie doch die einzelnen Szenen, in denen
r Schauspielhause
hätte Herr Oberregisseur Bonno, dessen übrige recht umsang¬
Schnitzlers Stärke liegt, zu starker Wirkung gebracht. Die ersten zwei
reiche Striche ich bei dieser Tragikomödie wohl angebracht
Werte gewürdigt
Akte waren matt und die Inszenierung des Hotels im dritten ließ sehr
finde, nicht beseitigen sollen. Ist er doch gerade in feiner Unbe¬
ungen Schnitzlers
viel zu wünschen übrig. Auch hörte man im Publikum vielfach klagen,
deutendheit bezeichnend für dieses Milieu. Man braucht in diesen vor¬
neueste „Tragi¬
daß durch das an sich berechtigte Streben nach Abtönung viele
urteilsfreien Millionärkreisen Offizieren als Liebhaber und Sekundanten
Schnitziers sichere
Reden unverständlich blieben. Aber im Ganzen dürfen Herr Bonno
und gelegentlich auch, um durch ein Duell, zu dem Leute von Herrn
nenkenntnis. Ge¬
und seine Künstlerschar sich ihrer trefflichen Leistungen freuen.“
Wendungen, aber Natters Schlag nicht zu haben sind, der abgestumpften, Blasiertheit
Herr Strobl ist wohl nicht so elegant und verführerisch, wie
Geliebte möchten als Begleiterin
ie
zu deutlich auf neuen Reiz zu verleihen.
ramatisch. Nicht 1 des Rächers seiner Ehre die Heimat verlassen, dieser zieht Schnitzler seinen Liebeshelden denkt, aber seine Durchführung der
Rolle wuchs von Akt zu Akt zu größerer Bedeutung. Seine Liebes¬
szene mit Fräulein Lind, die zum erstenmal im Lobetheater auftrat
und durch ihr gutes Spiel bald die nicht günstige äußere Erscheinung
vergessen ließ, entschied den Erfolg des Altes. Schauspielerisch am
höchsten aber stand wohl die Szene, in der Frau Weinhold der Geliebten
ihres Sohnes verzeiht. Freilich bot Frau Santen nicht bloß hier,
sondern in jedem ihrer Auftritte künstlerisch Vollendetes. Es war
eine besonders im ausdrucksroll stummem Minenspiel, aber auch
in
jedem Worte und jeder Bewegung großartige schau¬
spielerische Leistung, die allein schon den Besuch der Vorstellung
lohnte. Aber auch die vielen kleineren Rollen wurden durchweg gut
gegeben, nicht die Vertreter ener einzigen störte das sorgsältig und
verständnisvoll vorbereitete Zusammensviel. Und so erzielte, wie starke
Bedenken man auch gegen das Stück selbst hegen muß, die Darstellung
doch eine sehr beifällige Aufnahme von Schnitzlers neuestem Werke
von seiten des vollbesetzten Hauses. Die vom Dichter dem Leben nach¬
gezeichneten Gestalten gewannen in der Darstellung Fleisch und Blut
und einzelne Szenen weckten ein Interesse, das man dem Stücke als
Ganzem leider versagen muß.
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