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Lan
box 29/1
24. Das weitaa
Hanneversches Tageblal
916 10 1911
Das weite Land.
Jugend, die zugleich Angst vor dem Alter ist. Und
soweit ist, den armen Jungen über den Haufen: ge
vorläufig ist er noch unwiderstehlich, wer weiß, wie
Tragikomödic in fünf Akten von
der Aliernde hat die frische Jugend des Gegners
lange es dauert Eine seiner Geliebten weist ihn
r1
Artbur Schuigle
plötzlich als freche Provokation empfunden. Das
darauf hin, daß es doch noch andere Lebenswerte
(Uraufführung in der Schauburg am
letzte Band zwischen den Eheleuten ist zerrissen; er
auf der Welt gebe. „Ja. — die Pausen zwischen
9
Sonnabend, 14. Oktober.)
geht, sein Leben irgendwo zu Ende abschnurren
der einen und der anderen ... Wenn man Zeit hat
Das Hin und Her der Geschlechter, oder wie der
zu lassen. Die letzte Liebste, die ihm ihre frische
und in der Laune ist, baut man Fabriken, erobert
auch in diesem neuen Stück wieder auftauchende
Jugend als Begleiterin anbietet, scheucht er von sich;
Länder, schreibt Symphonien, wird Millionär.
Dichter und Vonmotsfabrikant Albertus Rhon in
„Irrtum ... Alles ist Täuschung. Nächstens schnapp'
aber glaub' mir, das ist doch alles nur Nebensache.
der dem Hannoverschen Publikum leider bisher vor¬
Die Hauptsack -
ich doch zusammen. Aus, Erna, auch zwischen uns.
— seid Ihr! — Ihr! — Ihr! ...
e#thaltenen Komödie „Zwischenspiel“ es einmal for¬
Du bist zwanzig, Du gebörst nicht zu mir.“
Seine Frau Genia hängt mit tiefer, treuer Liebe
muliert, „die tiefe Unsicherheit aller irdischen Be¬
Das ist die Hauptlinie des Stückes, mehrere
an ihm und ist gern, ach, gar zu gern bereit, ihm
ziehungen zwischen Mann und Weib“ ist das Grund¬
Variationen des Themas laufen nebenher. Die
seine „Herzensschlampereien“ zu verzeihen, wenn er
thema des Skeptikers Schnitzler. Das „vielleicht“
Mutter des Fähnrichs hat ihren Gatten vor zwanzig
ehrlich zu ihr zurückkehren wollte. Er aber fühlt
kann ebenso gut ein „vielleicht auch nicht“ sein, und
Jahren von sich getrieben, als er ihr einen Fehl¬
sich durch ihre Tugend geniert, belästigt, ins Unrecht
es beherrscht nicht nur die Zukunft, sondern auch
tritt bekannte. Sie lonnte ihrem Herzen keinen
gesetzt, und als sich einer seiner Freunde, dessen
die Vergangenheit. Man kann nichts wissen, und
Kompromiß abgewinnen. Sein Weg hat ihn dann
Liebeswerben sie abgewiesen hat, ihretwegen um¬
man soll nichts vorhersagen, nicht für die nächste
mancherlei Straßen geführt, vielleicht endet er noch
bringt, wird sie ihm geradezu, unheimlich. Was
Minute kann man einstehen. Der Menschen Tun
einmal in dem tleinen Hause der noch immer ge¬
bedeutet Weibestugend gegenüber einer so irrepara¬
und Lassen entscheiden nicht Grundsätze, sondern die
liebten Gattin. Der Bankier Natter, der in seine
belen Sache wie der Tod? Und in plötzlicher Wallung
Zufälligkeiten des Alltags; ein Wort, ein Blick, eine
stets abwechslungslüsterne Frau Gemahlin rettungs¬
schreit er ihr seine Meinung und Stimmung ins
Situation, eine Wallung des Blutes sind mächtiger
los verliebt ist, hat sich beschieden, das Leben fabel¬
Gesicht, mit Worten, die, kaum ausgesprochen, schon
als der sogenannte Charakter. Zwischen Mann und
haft amüsant zu finden und den Liebhavern seiner
nicht mehr wahr sind, die aber fortwirkend die letzten
Weib gibt es keine Logik, sondern nur Willkür,
Frau, sobald sie abgelöst sind, eins auszuwischen.
Trümmer seiner Ehe umstürzen und vernichten.
Laune, Trieb. Im dritten Akte läßt der Dichter
Er will doch nicht für einen Trottel gehalten wer¬
Frau Genia schließt die Augen und läßt sich eben¬
den Kern und Gehalt des Stückes zu Protokoll geben:
den. Und wie im „Einsamen Weg“ und im „Ruf
falls gleiten, wie die andern: im ersten Aufruhr
„Sollte es Ihnen noch nicht aufgefallen sein, was
des Lebens“ steht inmitten dieses Reigens von
gegen ihren Gatten, aus Haß, der nichts anderes ist
für komplizierte Subjekte wir Menschen im Grunde
problematischen Naturen ein Arzt als einzige
als wütende Liebe, schenkt sie sich dem ersten besten
ge¬
sind?: So vieles hat zugleich Raum in uns —!
rade Gestalt als ruhender Pol, Maßstab und
guten Jungen, der sie begehrt. Friedrich geht in Kritiker. Schnitzler ist selbst Arzt.
Liebe und Trug . . . Treue und Treulosigkeit ..
die Dolomiten, wo er ein bereits daheim ange¬
Anbetung für die eine und Verlangen nach einer
knüpftes neues Abenteuer zum gewohnten Ende
Wenn man das Drama als eine mit innerer Not¬
anderen oder nach mehreren. Wir versuchen
wohl
führt. Die Kraft zum Siege hat er noch, aber zu
wendigkeit sich vollziehende Handlung auffaßt, so ist
Ordnung in uns zu schaffen, so gut es geht,
aber
rechter Freude kommt er nicht mehr, ruhelos treibts
diese Tragikomödie Schnitzlers kein Drama. Aber
diese Ordnung ist doch nur etwas Künstliches
ihn am folgenden Tage von dannen. Er wird alt.
das hat seinen Grund in des Dichters Auffassung
Das Natürliche ... ist das Chaos. Ja — die Seele
vom Leben der Menschen untereinander. Was ist
Als er, wieder zu Hause angelangt, das Verhältnis
... ist ein weites Land .
eine Theorie gegenüber einer lebendigen Dichtung,
seiner Frau mit dem Marinefähnrich Otto von
Der Wiener Fabrikant Friedrich Hofreiter iss ein
die lange in uns nachklingt!
Aigner entdeckt, fühlt er sich zwar im ersten Moment
vergnügter Anhänger dieses Chaos. Er hat es längst
Die Darsteller waren ihren schweren Aufgaben
wundervoll erleichtert, aber dann lassen ihn alle seine
aufgegeben, Ordnung zu schaffen; das hat ja doch
∆
nur zum Teil gewachsen. Herr Direktor Franz
Genüßlingspbilosopheme völlig im Stich. Er, der
keinen Zweck. Er läßt sich treiben von Moment
Rolan gab den Hofreiter, als den Narren seiner
tausendmal seiner Frau völlige Bewegungsfreiheit
zu Moment und folgt blindlings und rücksichtslos
Triebe und Launen, sehr gut. Die unter konzilian¬
zugestanden hat, zwingt jetzt, da er in den Augen
der Eingebung des Augenblicks. Je mehr graue
210
tem Wiener Wesen verbornene Energie des Mannes
der Leute wissenden Spott flimmern sieht, den
Haare sich in seinen blonden Scheitel stehlen, desto
brachte er trefflich zur Darstellung und rettete damit
Nebenbuhler brüsk vor die Pistole. -Und obwohl er
krampfhafter hält er die Don=Juan=Rolle fest, aus gewiß zunächst nichts weiter beabsichtigt, als einer
den Gesamteindruck des Stückes.
Stellenweise
führte ihn der Wunsch, die Untertöne des Stückes
#ttelkeit. Gewohnkeit und Sehnsucht nach der Formalität zu genügen, schießt er dennoch, als es in den Zuschauern aufklingen zu lassen, zu unnöti¬
wär
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Hanneversches Tageblal
916 10 1911
Das weite Land.
Jugend, die zugleich Angst vor dem Alter ist. Und
soweit ist, den armen Jungen über den Haufen: ge
vorläufig ist er noch unwiderstehlich, wer weiß, wie
Tragikomödic in fünf Akten von
der Aliernde hat die frische Jugend des Gegners
lange es dauert Eine seiner Geliebten weist ihn
r1
Artbur Schuigle
plötzlich als freche Provokation empfunden. Das
darauf hin, daß es doch noch andere Lebenswerte
(Uraufführung in der Schauburg am
letzte Band zwischen den Eheleuten ist zerrissen; er
auf der Welt gebe. „Ja. — die Pausen zwischen
9
Sonnabend, 14. Oktober.)
geht, sein Leben irgendwo zu Ende abschnurren
der einen und der anderen ... Wenn man Zeit hat
Das Hin und Her der Geschlechter, oder wie der
zu lassen. Die letzte Liebste, die ihm ihre frische
und in der Laune ist, baut man Fabriken, erobert
auch in diesem neuen Stück wieder auftauchende
Jugend als Begleiterin anbietet, scheucht er von sich;
Länder, schreibt Symphonien, wird Millionär.
Dichter und Vonmotsfabrikant Albertus Rhon in
„Irrtum ... Alles ist Täuschung. Nächstens schnapp'
aber glaub' mir, das ist doch alles nur Nebensache.
der dem Hannoverschen Publikum leider bisher vor¬
Die Hauptsack -
ich doch zusammen. Aus, Erna, auch zwischen uns.
— seid Ihr! — Ihr! — Ihr! ...
e#thaltenen Komödie „Zwischenspiel“ es einmal for¬
Du bist zwanzig, Du gebörst nicht zu mir.“
Seine Frau Genia hängt mit tiefer, treuer Liebe
muliert, „die tiefe Unsicherheit aller irdischen Be¬
Das ist die Hauptlinie des Stückes, mehrere
an ihm und ist gern, ach, gar zu gern bereit, ihm
ziehungen zwischen Mann und Weib“ ist das Grund¬
Variationen des Themas laufen nebenher. Die
seine „Herzensschlampereien“ zu verzeihen, wenn er
thema des Skeptikers Schnitzler. Das „vielleicht“
Mutter des Fähnrichs hat ihren Gatten vor zwanzig
ehrlich zu ihr zurückkehren wollte. Er aber fühlt
kann ebenso gut ein „vielleicht auch nicht“ sein, und
Jahren von sich getrieben, als er ihr einen Fehl¬
sich durch ihre Tugend geniert, belästigt, ins Unrecht
es beherrscht nicht nur die Zukunft, sondern auch
tritt bekannte. Sie lonnte ihrem Herzen keinen
gesetzt, und als sich einer seiner Freunde, dessen
die Vergangenheit. Man kann nichts wissen, und
Kompromiß abgewinnen. Sein Weg hat ihn dann
Liebeswerben sie abgewiesen hat, ihretwegen um¬
man soll nichts vorhersagen, nicht für die nächste
mancherlei Straßen geführt, vielleicht endet er noch
bringt, wird sie ihm geradezu, unheimlich. Was
Minute kann man einstehen. Der Menschen Tun
einmal in dem tleinen Hause der noch immer ge¬
bedeutet Weibestugend gegenüber einer so irrepara¬
und Lassen entscheiden nicht Grundsätze, sondern die
liebten Gattin. Der Bankier Natter, der in seine
belen Sache wie der Tod? Und in plötzlicher Wallung
Zufälligkeiten des Alltags; ein Wort, ein Blick, eine
stets abwechslungslüsterne Frau Gemahlin rettungs¬
schreit er ihr seine Meinung und Stimmung ins
Situation, eine Wallung des Blutes sind mächtiger
los verliebt ist, hat sich beschieden, das Leben fabel¬
Gesicht, mit Worten, die, kaum ausgesprochen, schon
als der sogenannte Charakter. Zwischen Mann und
haft amüsant zu finden und den Liebhavern seiner
nicht mehr wahr sind, die aber fortwirkend die letzten
Weib gibt es keine Logik, sondern nur Willkür,
Frau, sobald sie abgelöst sind, eins auszuwischen.
Trümmer seiner Ehe umstürzen und vernichten.
Laune, Trieb. Im dritten Akte läßt der Dichter
Er will doch nicht für einen Trottel gehalten wer¬
Frau Genia schließt die Augen und läßt sich eben¬
den Kern und Gehalt des Stückes zu Protokoll geben:
den. Und wie im „Einsamen Weg“ und im „Ruf
falls gleiten, wie die andern: im ersten Aufruhr
„Sollte es Ihnen noch nicht aufgefallen sein, was
des Lebens“ steht inmitten dieses Reigens von
gegen ihren Gatten, aus Haß, der nichts anderes ist
für komplizierte Subjekte wir Menschen im Grunde
problematischen Naturen ein Arzt als einzige
als wütende Liebe, schenkt sie sich dem ersten besten
ge¬
sind?: So vieles hat zugleich Raum in uns —!
rade Gestalt als ruhender Pol, Maßstab und
guten Jungen, der sie begehrt. Friedrich geht in Kritiker. Schnitzler ist selbst Arzt.
Liebe und Trug . . . Treue und Treulosigkeit ..
die Dolomiten, wo er ein bereits daheim ange¬
Anbetung für die eine und Verlangen nach einer
knüpftes neues Abenteuer zum gewohnten Ende
Wenn man das Drama als eine mit innerer Not¬
anderen oder nach mehreren. Wir versuchen
wohl
führt. Die Kraft zum Siege hat er noch, aber zu
wendigkeit sich vollziehende Handlung auffaßt, so ist
Ordnung in uns zu schaffen, so gut es geht,
aber
rechter Freude kommt er nicht mehr, ruhelos treibts
diese Tragikomödie Schnitzlers kein Drama. Aber
diese Ordnung ist doch nur etwas Künstliches
ihn am folgenden Tage von dannen. Er wird alt.
das hat seinen Grund in des Dichters Auffassung
Das Natürliche ... ist das Chaos. Ja — die Seele
vom Leben der Menschen untereinander. Was ist
Als er, wieder zu Hause angelangt, das Verhältnis
... ist ein weites Land .
eine Theorie gegenüber einer lebendigen Dichtung,
seiner Frau mit dem Marinefähnrich Otto von
Der Wiener Fabrikant Friedrich Hofreiter iss ein
die lange in uns nachklingt!
Aigner entdeckt, fühlt er sich zwar im ersten Moment
vergnügter Anhänger dieses Chaos. Er hat es längst
Die Darsteller waren ihren schweren Aufgaben
wundervoll erleichtert, aber dann lassen ihn alle seine
aufgegeben, Ordnung zu schaffen; das hat ja doch
∆
nur zum Teil gewachsen. Herr Direktor Franz
Genüßlingspbilosopheme völlig im Stich. Er, der
keinen Zweck. Er läßt sich treiben von Moment
Rolan gab den Hofreiter, als den Narren seiner
tausendmal seiner Frau völlige Bewegungsfreiheit
zu Moment und folgt blindlings und rücksichtslos
Triebe und Launen, sehr gut. Die unter konzilian¬
zugestanden hat, zwingt jetzt, da er in den Augen
der Eingebung des Augenblicks. Je mehr graue
210
tem Wiener Wesen verbornene Energie des Mannes
der Leute wissenden Spott flimmern sieht, den
Haare sich in seinen blonden Scheitel stehlen, desto
brachte er trefflich zur Darstellung und rettete damit
Nebenbuhler brüsk vor die Pistole. -Und obwohl er
krampfhafter hält er die Don=Juan=Rolle fest, aus gewiß zunächst nichts weiter beabsichtigt, als einer
den Gesamteindruck des Stückes.
Stellenweise
führte ihn der Wunsch, die Untertöne des Stückes
#ttelkeit. Gewohnkeit und Sehnsucht nach der Formalität zu genügen, schießt er dennoch, als es in den Zuschauern aufklingen zu lassen, zu unnöti¬
wär