II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 390

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24. Das veite Land
Jugend, die zugleich Angst vor dem Alter ist. Und
soweit ist, den armen Jungen über den Haufen;
vorläufia ist er noch unwiderstehlich, wer weiß, wie
der Aliernde hat die frische Jugend des Gegners
lange es dauert Eine seiner Geliebten weist ihn
plötzlich als freche Provokation empfunden. Das
darauf hin, daß es doch noch andere Lebenswerte
letzte Band zwischen den Ebeleuten ist zerrissen; er
am
auf der Welt gebe. „Ja. — die Pausen zwischen
geht, sein Leben irgendwo zu Ende abschnurren
der einen und der anderen ... Wenn man Zeit hat
zu lassen. Die letzte Liebste, die ihm ihre frisch:
und in der Laune ist, baut man Fabriken, erobert
der
Jugend als Begleiterin anbietet, scheucht er von sich:
Länder, schreibt Symphonien, wird Millionar
„Irrtum ... Alles ist Täuschung. Nächstens schnapp'
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aber glaub' mir, das ist doch alles nur Nebensache.
ich doch zusammen. Aus, Erna, auch zwischen uns.
vor¬
Die Hauptsacke — seid Ihr! — Ihr! — Ihr!...“
Du bist zu inzig, Du gelörst nicht zu mir.“
Seine Frau Genia hängt mit tiefer, treuer Liebe
Das ist die Hauptlinie des Stückes, mehrere
Be¬
an ihm und ist gern, ach, gar zu gern bereit, ihm
Variationen des Themas lausen nebenher. Die
n
seine „Herzensschlampereien“ zu verzeihen, wenn er
Mutter des Fähnrichs hat ihren Gatten vor zwanzig
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ehrlich zu ihr zurückkehren wollte. Er aber fühlt
Jahren von sich getrieben, als er ihr einen Fehl¬
sich durch ihre Tugend geniert, belästigt, ins Unrecht
tritt bekannte. Sie konnte ihrem Herzen keinen
gesetzt, und als sich einer seiner Freunde, dessen
Kompromiß abgewinnen. Sein Weg hat ihn dann
Liebeswerben sie abgewiesen hat, ihretwegen um¬
mancherlei Straßen geführt, vielleicht endet er noch
bringt, wird sie ihm geradezu, unheimlich. Was
einmal in dem kleinen Hause der noch immer ge¬
bedeutet Weibestugend gegenüber einer so irrepara¬
liebten Gattin. Der Bankier Natter, der in seine
belen Sache wie der Tod? Und in plötzlicher Wallung
stets abwechslungslüsterne Frau Gemahlin rettungs¬
schreit er ihr seine Meinung und Stimmung ins
los verliebt ist, hat sich beschieden, das Leben fabel¬
Gesicht, mit Worten, die, kaum ausgesprochen, schon
haft amüsant zu finden und den Liebhabern seiner
nicht mehr wahr sind, die aber fortwirkend die letzten
Frau, sobald sie abgelöst sind, eins auszuwischen.
Trümmer seiner Ehe umstürzen und vernichten.
Er will doch nicht für einen Trottel gehalten wer¬
Frau Genia schließt die Augen und läßt sich eben¬
den. Und wie im „Einsamen Weg“ und im „Ruf
falls gleiten, wie die andern: im ersten Aufruhr
des Lebens“ steht inmitten dieses Reigens von
gegen ihren Gatten, aus Haß, der nichts anderes ist
problematischen Naturen ein Arzt als einzige ge¬
als wütende Liebe, schenkt sie sich dem ersten besten
rade Gestalt, als ruhender Pol, Maßstab und
guten Jungen, der sie begehrt. Friedrich geht in
Kritiker. Schnitzler ist selbst Arzt.
die Dolomiten, wo er ein bereits daheim ange¬
Wenn man das Drama als eine mit innerer Not¬
knüpftes neues Abenteuer zum gewohnten Ende
wendigkeit sich vollziehende Handlung auffaßt, so ist
führt. Die Kraft zum Siege hat er noch, aber zu
diese Tragikomödie Schnitzlers kein Drama. Aber
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rechter Freude kommt er nicht mehr, ruhelos treibts
das hat seinen Grund in des Dichters Auffassung
ihn am folgenden Tage von dannen. Er wird alt.
vom Leben der Menschen untereinander. Was ist
Als er, wieder zu Hause angelangt, das Verhältnis
eine Theorie gegenüber einer lebendigen Dichtung,
seiner Frau mit dem Marinefähnrich Otto von
die lange in uns nachklingt!
ein
Aigner entdeckt, fühlt er sich zwar im ersten Moment
Die Darsteller waren ihren schweren Aufgaben

wundervoll erleichtert, aber dann lassen ihn alle seine
nur zum Teil gewachsen. Herr Direktor Franz
Genüßlingsphilosopheme völlig im Stich. Er, der
Rolan gab den Hofreiter, als den Narren seiner
ient
tausendmal seiner Frau völlige Bewegungsfreiheit
Triebe und Launen, sehr gut. Die unter konzilian¬
slos
zugestanden hat, zwingt jetzt, da er in den Augen
tem Wiener Wesen verborgene Energie des Mannes
aue
der Leute wissenden Spott flimmern sieht, den
brachte er trefflich zur Darstellung und rettete damit
eito
Nebenbuhler brüsk vor die Pistole. - Und obwohl er
den Gesamteindruck des Stückes.
Stellenweise
aus
gewiß zunächst nichts weiter beabsichtigt, als einer
führte ihn der Wunsch, die Untertöne des Stückes
der Formalität zu genügen, schießt er dennoch, als es in den Zuschauern aufklingen zu lassen, zu unnöti¬
gen und störenden Unterstreichungen und Beschwe¬
rungen. Als Genia war Paula Nicolai den
Schwierigkeiten ihrer Rolle nicht gewachsen. Der
gute Wille war da, aber nicht die Kraft; erst in den
beiden letzten Akten gab sie Ursprünglicheres. Vor¬
trefflich war Karl Moran als Doktor Mauer,
die eigenwüchsige Gradlinigkeit dieses stillen Gemüts¬
menschen gab einen wirkungsvollen Gegensatz zu der
Unruhe der übrigen. Für Resel Orla gilt das
schon von der Darstellerin der Genia Gesagte, die
Erna Wahl ist eine der schwierigsten Rollen, die
gründliches Studium verlangt. Dem Doktor von
Aigner, den Rolf Ziegler allzu dekadent gab,
glaubte man weder seine erotische noch die alpinisti¬
sche Vergangenheit. Es wurde kein Fehler sein,
wenn er Wesen und Maske den Vorschriften des
Dichters einigermaßen anähern wollte. Der Frau
nigner gab Adele Meysel nicht den Widerschein
eines schweren Schicksals, den die Rolle verlangt.
Franz Seeburg war noch jünger als der junge
Knabe, den er spielte. Gut war Dr. Remanoff
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als brutal=vergnügter Bankier. Seine Frau hätte
Alexandrine Wielegk getrost etwas seiner
auffassen dürfen, auck verziert man ein praktikables
Racket nicht mit großen r#ten Schleifen. Minna
Wolfgang gab ein zutreffendes Bild der wohl¬
wollend geschwätzigen Frau Wahl. Den Schriftsteller
Rhon hatte Richard Clement mißverstanden.
Der Regie, die mit den vorhandenen Kräften eine
tüchtige, von Akt zu Akt eindrucksvollere Gesamt¬
leistung zustande gebracht hat, möchte ich anheim¬
stellen, die überflüssigen und störenden Episoden des
dritten Aktes zu streichen und dafür einige Dialog¬
stellen wieder aufzunehmen, besonders in den Ge¬
sprächen zwischen Mauer und Erna. Die Bedeutung
des Aignerturms kommt in der Aufführung nicht klar
heraus.
Das Publikum, das im Anfang sich nicht gleich
zurechtfand in dieser Tragikomödie, folgte den Vors
gängen mit stetig steigendem Beifall.
Daß dieses neue Stück Schnitzlers zu gleicher Zeis
mit Berlin. Wien und den anderen großen Theater
städten auch in Hannover zur Aufführung, gekommen
ist, darüber wollen wir froh sein. Es geht auf
wärts mit der Kunststadt Hannober
J. Fr.
S
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