II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 416

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24. Das deiteLand
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als die nach immer neuem Spielzeug girrende Sinnlichkeit. Wäre
jeder Philister zu Tage fördern kann: Das Leben ist eines der
das wirklich heute Inbegriff des Lebens geworden, wäre der
schwersten. Der Tod ist kein Kinderspiel. Das Weib ist ein Rät¬
Mann wirklich so verweibst, daß ihm alles andre allenfalls zur
sel. Die Seele ist ein weites Land.
Ausfüllung der Pausen zwischen zwei Liebschaften gut genug er¬
Aber schließlich kommt es bei seiner Dichtung nicht so sehr
schiene, dann laßt uns die Flaggen auf Halbmast setzen und die
auf das Grundmotiv an, als auf das, was der Dichter aus ihm
Hoffnung auf Höher=Entwicklung der Menschlichkeit begraben.
heraus zu holen gewußt hat. Und aus dem platten Gedanken,
Dann hat uns der Weg, auf dem wir den ragenden Gipfeln und
daß die Seele ein weites Land ist, ließe sich großes, vielfältiges
den leuchtenden Sternen näher zu kommen glaubten, in einem
herausholen. Aus ihm heraus ließe sich ein allumfassendes dra¬
Inwieweit
Sumpf gebracht, aus dem kein Weg hinaus und aufwärts führt.
matisches Bild der modernen Welt geben. Zeigen, was alles in
twie¬
Ist das die Meinung Schnitzlers? Doch wohl nicht ganz.
der Seele eines führenden Mannes unserer Zeit beieinander
Sonst hätte er in sein Stück nicht den braven, gesund empfinden¬
wohnt, bei einander wohnen muß: Politik, soziale Frage In¬
den Arzt gestellt. Der sagt einem jungen, sensationsdürstigen
dustrie, Technik, Naturwissenschaft, Philosophie, Religion, Sport,
Mädchen: Das Leben besteht noch aus allerlei anderm, als aus
Freundschaft, Feindschaft, Haß, Liebe; zeigen, wie das und anderes
Abenteuern einer gewissen Art. Ich versichere Sie, es gibt eine
durcheinander, gegeneinander und miteinander in einem Hirn lebt und
kräftigere, reinere Atmosphäre und ich traue mir zu, Sie auch
wirkt; darauf eine dramatische Handlung aufbauen: ein großer
dort ein frisches und freies Atmen zu lehren.
Gedanke, des Schweißes der Edlen wert. Der Dichter, der ihn
Aber Doktor Mauer ist der einzige Mensch im Stück, der
auszuführen verstünde, schüfe einen Helden, der sich getrost neben
diesen Standpunkt vertritt, und das junge Mädchen folgt nicht
den ersten Napoleon stellen dürfte.
ihm, sondern wirft sich Hofreiter in die Arme und läßt sich von
Im ersten Akt des neuen Stücks will es einmal so scheinen,
den
ihm hineinwirbeln in tollen Sinnenrausch.
so etwas wie einen Na¬
als ob der Dichter darauf ausginge,
uing
So scheint Schnitzler= Meinung trübe genug und sein Stück
poleon, wenn auch nur einen Napoleon im Bürgerstand, vor uns
sich
eine Warnung zu sein, ein Spiegelbild, das er — nicht der
heraufzuführen. Da wird uns der Held, noch ehe er selbst auf¬
lich,
wohl aber zunächst seinen Landsleuten, den
Menschheit —
tritt, von einem jungen Mädchen folgendermaßen geschildert:
Wienern, und dann allen Großstädtern, vorhält: Seht euch und
Früher dacht ich nämlich, daß Korsakow einfach sein Klavier¬
och
ändert euch! Ein Unsittendrama, aus sittlicher Tendenz entstan¬
spieler gewesen ist. So wie der Doktor Mauer sein guter Freund
den, wie ihrerzeit die Dramen von Augier und Dumas, ein Stück,
st, Herr Natter sein Bankier, ich seine Tennis=Partnerin, der
wie
Er nimmt sich von
das, wie sie, nur in einer Großstadt entstehen konnte und das dem
Oberleutnant Stanzides sein Sekundant.
ie die
jedem, was ihm gerade konveniert, und um das, was sonst in dem
Kleinstädter, dem Landbewohner gar nichts sagt, weil dieser von
Verhältnissen, die das Stück als allgemein betrachtet, keine
Menschen stecken mag, kümmert er sich kaum.
Es ist
Aber es bleibt hier bei einem Ansatz, vielleicht auch bei einem
Ahnung hat. Wir sehen auch an diesem Beispiel, wie die Gro߬
aber
nur versehentlich stehen gelassenen Rest eines größeren gedachten
stadt den Dichter von seinem Volke löst, ihn dazu bringt, statt
aruso
Plans. Schnitzler bescheidet sich bald dabei, statt ein allumfassen¬
für die Gesamtheit seiner Nation, für den geringen Bruchteil zu
des Bild zu geben, sich im engen Rahmen des wieder und wieder
dichten der in der Großstadt lebt und in ihrer wilden Hetzjagd,
behandelten Geures der Liebelei zu halten. Und er sorgt dafür,
1 Im¬
ihrem Durcheinander von Arbeit und Genuß neurotisch geworden
daß auch wir uns dabei bescheiden und nicht mehr von ihm er¬
ist. Denn Neurotiker sind so ziemlich alle Gestalten in diesem
kraft und
warten. Im zweiten Akt läßt er seinen Helden mit einer ver¬
neuesten Werk des Dichters, Neurotiter aus ungebändigter oder
Selbst¬
flossenen Geliebten sich unterhalten. Die sagt: Es gibt doch noch
aus unterdrückter Sexualität.
Kraft
leich
was andres auf der Welt als — uns. Und Hofreiter antwortet
Neurotiker ist vor allem der Held, der Fabrikant Friedrich
darauf: Ja, — die Pausen zwischen der einen und der andern.
Hofrichter, für den die Arbeit in seinem Beruf nur Ausfüllen der
cheidt
Die sind ja auch nicht uninteressant. Wenn man Zeit hat und
Pausen zwischen der endlosen Kette von Liebschaften ist, mit
rend
in der Laune ist, baut man Fabriken, erobert Länder, schreibt
denen er seiner Frau Genia die Treue bricht. Grade steht er
fein¬
Sinfonien, wird Millionär ... aber glaub mir, das ist doch
wieder in einer solchen Pause: er hat seine Beziehungen zu der
— ihr
alles nur Nebensache. Die Hauptsache — seid ihr!
Frau seines Bankiers Natter gelöst. Da erschießt sich ein jun¬
ihr!
ger Künstler aus dem Hofreiterschen Bekanntenkreis, der Pianist
Das weite Land bekommt für uns ein ganz andres Gesicht,
Korsakow. Niemand weiß warum. Hofreiter mutmaßt, daß
wenn wir das hören. Und kein erfreulicheres. Es sollte doch so
Genia Korsakows Geliebte gewesen sei, und dieser sich das Leben
vieles in ihm zugleich Raum haben. Nun wird all das viele
genommen habe, weil Genia das Verhältnis abbrach. Er befragt
Schnitz¬
bloß auf die Pausen beschränkt mit Ausnahme der Liebe. Und
sie deshalb. Sie, die ihren Treuschwur nie verletzt hat. i
diese Liebe ist nicht die eine, große, alles in sich begreifende Liebe.
Im dritten
ele.
empört über seinen Cynismus und gibt ihm einen Brief Kor¬
Die kennt keine Pausen, die weiß nichts von einem Uebergang
ücks, dem Fa¬
sakows, aus dem er sieht, daß dieser starb, weil Genia seine
von der einen zur andern und von der andern zur dritten. Die
aufgefallen sein,
Werbungen zurückwies und in Liebe an ihrem Manne hing. Er
hat nur eine Göttin und dient ihr lebenslang. Die Liebe, von
Grunde sind?
ist davon zuerst befremdet, dann peinlich und immer peinlicher
der Hofreiter spricht, ist nichts andres als überreizte Sinnlichkeit,
Liebe und
berührt. Es ist ihm unangenehm, daß seine Frau so rein und
die von Begierde zu Genuß taumelt und im Genuß nach Be¬
ng für die eine
schuldlos neben ihm durchs Leben geht, während sie doch weiß,
gierde verschmachtet. Ist nicht die große, heilige Flamme die
nehreren. Wir
wie oft er sie betrügt. Er hat das Gefühl, als wenn sie diese
auf einem Altar still und mächtig zum Himmel steigt, ist böses
es geht. aber
Affäre mit Korsakow gegen ihn innerlich ausspielte, als wenn
Flackerfeuer, das, über Land laufend, ein Feld nach dem andern
Das Natür¬
sie stolz darauf wäre, durch ihre Tugend einen Menschen in den
kahl frißt und, überall schnell verschwindend, nichts zurück läßt
Hofreiter, die
Tod getrieben zu haben. Sie wird ihm unheimlich, er kommt sich
als Oede und Asche.
das sagt er ihr ins
ihr gegenüber klein vor. Und deshalb —
Armes Land, das von diesem Flackerfener zur Wüstenei ge¬
itzler da aus¬
Philosophie, die I macht wird. Arme Seelen, deren Weite nichts andres umspannt. 1 Gesicht — will er einige Zeit von ihr fortgehen, ins Gebirge

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