II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 415

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24. Das seite-Land
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jeder Philister zu Tage fördern kann: Das Leben ist eines der
als die
Riene Feulieken.
schwersten. Der Tod ist kein Kinderspiel. Das Weib ist ein Rät¬
das
sel. Die Seele ist ein weites Land.
Mann
Aber schließlich kommt es bei seiner Dichtung nicht so sehr
Ausfü
Hamburger Stadttheater.
auf das Grundmotiv an, als auf das, was der Dichter aus ihm
sd
heraus zu holen gewußt hat. Und aus dem platten Gedanken
Caruso.
daß die Seele ein weites Land ist, ließe sich großes, vielfältiges
Man wertet sonst den Sänger nach dem Werk. Inwieweit
herausholen. Aus ihm heraus ließe sich ein allumfassendes dra¬
er den Pulsschlag des Dramas spürt und spüren läßt, inwie¬
matisches Bild der modernen Welt geben. Zeigen, was alles in
weit er den musikalischen Absichten des Komponisten gerecht
der Seele eines führenden Mannes unserer Zeit beieinander
wohnt, bei einander wohnen muß: Politik, soziale Frage, In¬
wird, das gibt den Maßstab für seine Leistung. Bei Caruso
Sont
dustrie, Technik, Naturwissenschaft, Philosophie, Religion, Sport,
ist es beinahe umgekehrt. Man gerät bei ihm in Versuchung,
Freundschaft, Feindschaft, Haß, Liebe; zeigen, wie das und anderes

längst Gewertetes umzuwerten. Seine Kunst ist so produktiv,
durcheinander, gegeneinander und miteinander in einem Hirn lebt und
Abe
so schöpferisch, daß das Werk sein eigen scheint. Er macht das
wirkt; darauf eine dramatische Handlung aufbauen: ein greßer
kräft
Werk lebendig, wo andere aus dem Werk für sich ein Scheinleben
Gedanke des Schweißes der Edlen wert. Der Dichter, der ihn
dort ei
schöpfen. Seiner starken Persönlichkeit glaubt man, daß sich
auszuführen verstünde, schüfe einen Helden, der sich getrost neben
den Zufälligkeiten des Dramas nur so begegnen läßt, wie er
den ersten Napoleon stellen dürfte.
diesen
es eben tut — man würde es ihm glauben, auch wenn er ihnen
Im ersten Akt des neuen Stücks will es einmal so scheinen,
ihn
als ob der Dichter darauf ausginge,
anders begegnete, man würde ihm auch jede andere Fortsetzung
so etwas wie einen Na¬
ihn
poleon, wenn auch nur einen Napoleon im Bürgerstand, vor uns
des Dramas glauben, die er etwa für gut fände. Er stellt sich
heraufzuführen. Da wird uns der Held, noch ehe er selbst auf¬
nicht wie ein Virtuose in den Mittelpunkt — nicht gesanglich,
ein
tritt, von einem jungen Mädchen folgendermaßen geschildert:
nicht darstellerisch —, und ist doch treibende Kraft, ist doch
Mc
Früher dacht ich nämlich, daß Korsakow einfach sein Klavier¬
der, von dem die Geschehnisse abzuhängen scheinen.
spieler gewesen ist. So wie der Doktor Mauer sein guter Freund
är
Man nimmt von ihm auch die musikalischen Schlacken wie
st, Herr Natter sein Bankier, ich seine Tennis=Partnerin, der
ein Notwendiges hin, die Brutalitäten Leoncavallos wie die
Oberleutnant Stanzides sein Sekundant.
Er nimmt sich von
das,
Banalitäten Flotows oder des jungen Verdi.
jedem, was ihm gerade konveniert, und um das, was sonst in dem
Klein
Menschen stecken mag, kümmert er sich kaum.
Gestern abend stand er als Bajazzo auf der Bühne. Es ist
Verl
Aber es bleibt hier bei einem Ansatz, vielleicht auch bei einem
alles so verlaufen, wie Leoncavallo es vorgeschrieben hat — aber
nur versehentlich stehen gelassenen Rest eines größeren gedachten
doch ganz im künstlerischen Geiste Carusos, erst durch Caruso
sta
Plans. Schnitzler bescheidet sich bald dabei, statt ein allumfassen¬
auf das Niveau glaubhaften Erlebens gehoben.

des Bild zu geben, sich im engen Rahmen des wieder und wieder
Die Stimme ist seinen künstlerischen Absichten, seinen Im¬
d
behandelten Geures der Liebelei zu halten. Und er sorgt dafür,
pulsen immer gleich willfährig, sie strahlt in blühender Kraft und
daß auch wir uns dabei bescheiden und nicht mehr von ihm er¬
wird bei der vollendeten Sangeskunst, die sich ihm bis zur Selbst¬
warten. Im zweiten Akt läßt er seinen Helden mit einer ver¬
neu
verständlichkeit mechanisiert hat, noch lange in gleicher Kraft
flossenen Geliebten sich unterhalten. Die sagt: Es gibt doch noch
aus un
strahlen.
was andres auf der Welt als — uns. Und Hofreiter antwortet
darauf: Ja. — die Pausen zwischen der einen und der andern.
Frau Winternitz=Dorda (Nedda), Herr vom Scheidt
Hofricht
Die sind ja auch nicht uninteressant. Wenn man Zeit hat und
(Tonio), waren dem gefeierten Gast wackere Partner, während
Pausen
in der Laune ist, baut man Fabriken, erobert Länder, schreibt
Herr Kapellmeister Winternitz auf dessen Absichten mit fein¬
denen e
Sinfonien, wird Millionär ... aber glaub mir, das ist doch
M. L.
fühligem Verstehen einging.
wieder
alles nur Nebensache. Die Hauptsache —
seid ihr! — ihr
ihr!
Frau
Arthur Schnitzler: Das weite Land.
per Kür
Das weite Land bekommt für uns ein ganz andres Gesicht,
Korsako
wenn wir das hören. Und kein erfreulicheres. Es sollte doch so
Ur=Aufführung im Deutschen Schauspielhaus.
Genia K
vieles in ihm zugleich Raum haben. Nun wird all das viele
Das weite Land, das dem neuen Werk Arthur Schnitz¬
genomm
bloß auf die Pausen beschränkt mit Ausnahme der Liebe. Und
lers den Titel gegeben hat, ist die menschliche Seele. Im dritten
sie desh
diese Liebe ist nicht die eine, große, alles in sich begreifende Liebe.
Akt sagt der Dr. Aigner zu dem Helden des Stücks, dem Fa¬
Die kennt keine Pausen, die weiß nichts von einem Uebergang
empört
brikanten Hofreiter: Sollt es Ihnen noch nicht aufgefallen sein
von der einen zur andern und von der andern zur dritten. Die
sakows,
was für komplizierte Subjekte wir Menschen im Grunde sinds
hat nur eine Göttin und dient ihr lebenslang. Die Liebe von
Werbung
So vieles hat zugleich Raum in uns —!
Liebe und
der Hofreiter spricht, ist nichts andres als überreizte Sinnlichkeit,
ist davo
Treue . .. Treue und Treulosigkeit ... Anbetung für die eine
die von Begierde zu Genuß taumelt und im Genuß nach Be¬
berührt.
und Verlangen nach einer anderen oder nach mehreren. Wir
gierde verschmachtet. Ist nicht die große, heilige Flamme die
schuldlos
versuchen wohl Ordung in uns zu schaffen, so gut es geht, aber
auf einem Altar still und mächtig zum Himmel steigt, ist böses
wie oft
diese Ordnung ist doch nur etwas Künstliches.
Das Natür¬
Flackerfeuer, das, über Land laufend, ein Feld nach dem andern
Affäre n
Ja
liche ... ist das Chaos.
— mein guter Hofreiter, die
kahl frißt und, überall schnell verschwindend, nichts zurück läßt
sie stolz
Seele ... ist ein weites Land.
als Oede und Asche.
Tod getr
Kein sonderlich neuer Gedanke den Schnitzler da aus¬
Armes Land, das von diesem Flackerfener zur Wüstenei ge¬
ihr gege
sprechen läßt. Kaffeehaus=Weisheit, Stammtisch=Philosophie, die 1 macht wird. Arme Seelen, deren Weite nichts andres umspannt. 1
Gesicht¬

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6. f. AA