II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 454

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24. Das
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1 aus:
Sohmen, Prag
10. 19711
Das weite Land.
Tragikomödie in fünf Akten von Artur Scchnitzler.
Erstaufführung im Neuen DeutschenTheatr
Samstag abends.
Man kann es als eine Art programmatischen Be¬
kenntnisses auffassen, wenn die neue Direktion ihre im
eigenen Namen zu führende Tätigkeit mlt der Erstauf¬
führung eines österreichischen Dichters und in der Oper
mit einem klassischen Werk beginnt. Auf gute Kost gesetzt
zu werden, wird niemand bedauern. Wenn man aus den
ersten Vorstellungen darauf schließen darf, daß durch das
Gestrüpp der französischen Possen und ungarischen Schwänke
der Weg für das klassische Repertoir — das Wort im
weitesten Sinne verstanden — frei gemacht werden soll, so
darf die Direktion der Zustimmung aller ernsten Theater¬
freunde gewiß sein... Der neue „Schnitzler“, der
Samstag abends auch bei uns zum erstenmale in Szene
ging, ist Wiener Milieu, mit liebevollen klugen Augen er¬
schaut, ist Gesellschaftsdrama der lebendigsten Gegenwart.
Nicht mehr das große historische Geschehen ist Problem
wie im „Jungen Medardus“, sondern die innere Revo¬
lution im modernen Menschen, das Auflehnen gegen über
lieferte Begriffe. Die Seele ist das weite Land, meint
der Dichter, die jauchzende Fahrt ins Dunkle das beste.
Mit echt Schnitzlerischem Geiste wird dieses Thema von
den Helden des Spiels variiert. Von Frau Genia Hof¬
reiter, um deretwillen sich der junge Korsakow als Opfer
eines amerikanischen Duells das Leben genommen hat,
und die nun das Manko in der Liebe ihres Gatten bei dem
Fähnrich zur See Otto Aigner deckt, von Herrn F. Hofreiter
dem Fabrikanten, der auch die Liebe industrialisiert und
neben der Frau Natter, die über die ersten Lenze bereits hin¬
aus ist, dem blutjungen Ding Erna am Völser=Weiher mit
Erfolg den Kopf verdreht. Um dieses Problem bemühen
sich der Hoteldirektor Dr. Aigner, der geschiedene Gatte,
der kühne Hochtourist, der als der erste den nach ihm be¬
nannten schroffen „Aignerturm“ bestiegen hat, und der ##
kluge Dr. Mauer, der vertraute Freund der Hofreiters.
Mit blendender Lampe leuchtet der Dichter in die geheimnis¬
vollen Tiefen der menschlichen Psyche, in scharf geschliffenem
Dialog läßt er uns die wechselvollen Kämpfe unruhvoller
Seelen miterleben. Fünf Akte lang hält er uns in seinem
Banne. Auch dort, wo wie im dritten, die Handlung eine
lange Unterbrechung erfährt und an die Stelle des Ge¬
schehens Zustandschilderung tritt. Allerdings meisterliche.
Um die Hauptpersonen gruppieren sich in buntbewegtem
Reigen eine stattliche Reihe scharf geschauter Gesellschafts¬
typen, die auf das mehr innerlich denn äußerlich farben¬
reiche Bild neue leuchtende Reflexe gießen.
Unsere Bühne, an der jetzt Schnitzlers Muse bekanntlich
eine liebevolle Pflegestätte gefunden hat, erblickte in der
sorgfältigen Vorbereitung und stilvollen Ausstattung eine
Ehrenaufgabe, die sie mit aller Eindringlichkeit gelöst hat.
Das ist ein besonderes Verdienst des Regisseurs Herrn
Dr. Paul Eger. Er ist selbst Wiener und da bekanntlich
ein Wiener dem andern nicht die Augen aushackt (solange
die Politik ausgeschaltet ist), so durfte man sich freuen, wie
verständnisvoll die Regie auf die feinsten Atemzüge der
Dichtung lauschte. Auch das entzückende Bühnenbild der
beiden ersten und des vierten Aktes trug nicht wenig zur
einheitlichen Wirkung bei. Auch alle anderen Mitwirken¬
den haben sich redlich bemüht, dem Werke zu geben, was
des Werkes ist. Herr Faber, Fabrikant Hofreiter impo¬
nierte durch Ueberlegenheit, Frl. Medelsky brachte die
Sentimentalität der „unverstandenen Frau“ zu innerlichster
Wirkung. Frl. Neff überzeugte durch die Schlichtheit des
Ausdrucks. Tapfer sekundierte Frau Steinheil, Fräu¬
lein John, Frau Monati, Frl. Niedt. Trefflich
hielt sich auch das Ensemble der Herren Tiller, Rit¬
tig, Huttig, Balder und Manning. In kleineren
Rollen standen die Herren Bauer, Hofer, Fried¬
berg, Kaden, Romanowsky am rechten Platz.
Das Publikum kam der interessanten Novität mit Wärme
entgegen und ließ es an Beifall nicht fehlen. Oberregisseur
Dr. Eger dankte für den abwesenden Dichter.
Der Freischütz.