II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 486

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24. Das weiteLand
Bankiersfrau Schluß gemacht und fängt mit Erna; Entbehrt denn das Werk jeglicher Tragik? Was Charaktere. Und um so unverständlicher, kompli
an, einem jungen Mädchen, das zuerst stark gei= wollte Schnitzler denn eigentlich mit dieser Fülle
zierter und unklarer werden diese Charaktere,
stig auftritt und sich später als lüsternes Gänschen der Gesichter, mit dieser Szenenfolge, die anschei¬
unerwarteter immer wieder eine neue Regung i
Male:
entpuppt. Hofreiter gibt sich keine Mühe, keine] nend ohne inneren Zusammenhang, ohne die
ihrer Seele auftaucht. Man hat bisweilen dal
rthur
vergnüglichen Abschweifungen von der langweili= alles verbindende Idee, Gespräche auf Gespräche! Gefühl, als menn Schnitzler die Sache über bei
nChaussee der Ehepflicht zu verbergen, ja er häuft und als amüsante Unterbrechungen Kon¬
Kopf gewachsen ist, als wenn er anfangs mit si
sreise
treibt auch seine ihn vergötternde Frau systema= stellationen des „Changers les dames“! Freilich
komplizierten Charakteren gar nicht gerechnet hat
wald¬
diese Leutchen, die ihr zynisches Empfindungs¬
tisch in den # bruch. Er bedauert wortreich den
als habe nicht er die verschiedenen Empfindungen
Ge¬
Künstler, derch aus unerwiderter Liebe zu sei¬
in die Seelen seiner Geschöpfe hineingelegt, son
leben stets mit schönrednerischen Falten drapie¬
Iner, Hofrei###s, Frau erschossen, und macht ihr
dern als seien diese ohne sein Zutun entstanden.
ren, die ihre Ironien und Selbstironien frei spie¬
Norb¬
kaum verhüllte Vorwürfe, daß sie ein hoffnungs¬
len lassen, und die sich selbst kaum einen Augen¬
je weiter er in seine Arbeit hineingewachsen ist.
n dem
reiches, junges Leben durch ihre Unbarmherzig¬
blick ernst nehmen, sind keine tiefen, problemati= Er hat den Stoff zu sorgfältig nach allen Seiten
hinnen,
keit geknickt hat. Genta, die aus Liebe zunächst schen Naturen, die uns Anhalt und Basis geben, gewendet und beschaut, und statt zwingende Ein¬
son¬
und dann auch aus einem gewissen „Reinlichkeits¬
auf der wir eine neue Sittlichkeit oder Lebensan= fachheit des Aufbaues walten zu lassen, hat er in
osl gefühl“, den verführerischen Anbeter zurückgewie¬
schauung aufbauen könnten. Von Tragik im wah¬
dem Streben, ein buntes Weltbild zu malen,
chtigen sen hat, „revonchiert“ sich aber schließlich doch noch,
ren Sinne also nichts; und doch in den letzten bei¬
Prismen funkeln zu lassen und erstaunlichen.
rodeln indem sie dem Beispiel der anderen folgt, und sich
den Akten eine packende Theatralik,
eine die Reichtum zu zeigen, die Fabel übermäßig weit
ehmen
Spannung in Atem haltende Bühnenwirkung!
ausgedehnt.
einem blutjungen Fähnrich an den Hals wirst.
Die Bühnenwirkung fehlt dem
Sinne,
Hofreiter sieht ihn nächtlicherweile aus dem
Stücke keineswegs, aber die ihm innewohnende
Und noch eins, das nicht vergessen werden
ne ur¬
Schlafzimmerfenster seiner Frau steigen. Aber er
darf: Dieser Wiener Naturalismus hat seine Be¬
Theatralik verliert anfangs ihre Kraft im Geplau¬
sche des gelstreichen Planderers, der Szene für
rührte kauft sich ihn nicht gleich. Im Gegenteil, er spot¬
rechtigung, der mit einem eigenartigen Gemisch
ybari= tet noch über die Hörner, die ihm aufgesetzt sind.
von Spott und Bitterkeit, Resignation und Weh= Szene, Akt für Akt durch feine Worte. glitzernde
Egoi= Dann aber bricht er mit dem Nebenbuhier
mut in das Leben unserer Zeit schaut, dort, wo! Aphorismen, überraschende Knallbonbons nur!
hleimi¬
die sogenannten Gebildeten, die „Stützen der Ge= Traurig=Lustiges über das Süßeste und Wichtigste
einen Streit vom Zayne und schießt ihn
ist
kaltblütig über den Haufen. Weshalb? Weil er
Fele
sellschaft“, hausen und sich in all der offenen und
des Daseins, die Liebe, erzählt. Der Strom sein;
äblige
die beleidigte Gattenehre reinwaschen will? Nein,
ziselierter Worte fließt schnell und reichlich, aber
verborgenen Herrlichkeit ihrer Seele manifestie¬
es
k oder
fehlen ihm zuerst
Iren. Dieser von Schnitzler vertretene Wiener
so viel Ehrgefühl steckt nicht in dieser schlassen
Strudel,
eine
n und
Seele, sondern aus wilde mGrimm gegen den
Naturalismus — von anderer Art, als der un¬
Fahrt auf ihm zu einem spannenden Ereignis
machen
begünstigten Rivalen und überhaupt, weil's nach
barmherzige nordbeutsche Wirklichkeitsfanatis¬
eien
dem Ehrenkodex so Brauch ist. Sonderbare Men¬
mus, und ihm doch nahe verwanot
läßt den
Pulsschlag jener Welt fühlen, behorcht die Stim¬
schen, die allen möglichen und unmöglichen See¬
Diese Art des Dichters verpfichtet die
men und die Stimmung, die unter der gleißneri¬
lenregungen Raum geben, denn ihre Seele ist ein
Regie, der Inszenierung und dem Zusammen¬
ihre
schen Oberfläche heimlich, unheimlich sich breit
weites Land ...
spiel einen subtilen Schliff zu geben. Die Insze¬
sten zu
macht und ist so ein sensitives, untrügliches Baro¬
nierung war zum größten Teile gelungen, das
e Land
meter der Wiener „Kultur“, die es so herrlich weit
Können solche Menschen die allesamt nach rein
Zusammenspiel vollkommen. Der lauschige Gar¬
erb e¬
gebracht hat. Vielleicht auch unsere?
egoistischen Motiven handeln, Träger eines kraft¬
tenausschnitt aus dem Parke der Hofreiterschen
asthe¬
vollen Dramas, einer wuchtigen Tragödie sein?
Villa mit seinen Bosketts, den blendenden Wie¬
Zehn¬
Unmöglich; denn ihre nihillstisch sentimentale Le¬
ner Korbmöbeln, dem weißleuchtenden Garten¬
kreuz
benswelsheit vernichtet à priori jeden Heldenwil¬
Schnitzler ist weniger Dramatiker alls Ge¬
zanne, über den im Hintergrund die sanft ge¬
en und
len und damit jede wirkliche Tragik. Die einzige sellschaftsphilosoph. Ein Intellektueller, ein nach¬
schwungenen Linien des Wiener Waldes anhei¬
nischen
Tragik, von der sie heimgesucht werden, ist die,
melnd traulich herübergrüßten, war von überra¬
denklicher Kopf, der mit scharfen Blicken seine
rquick¬
Umwelt beobachtet und die Menschen darin mit
s war ein Geschenk
schend malerischer Plastik.
Meieit eteltreiteher
all ihren Regungen: Liebe und Haß, Sehnsucht geschmackvoller, stimmungsfeiner Bühnenillusion,
nen, so viele sich ihnen auch zu eigen gegeben ha¬
und Zynismus, Treue und Verrat, verstandes¬
das man mit noch mehr Freude genossen hätte,
ben, daß sie dann erschauernd am Ende ihren „ein¬
mäßig durchforscht. So ist auch seine Tragikomö¬
wenn das Landhaus mit mehr Liebe und Sorgfalt
aumei¬
samen Weg“ gehen müssen.
die eine an psychologischen Feinheiten reiche in dies Milien hineingepaßt hätte. Die dachlosen
te und
at ja gar keine Tragödie Dichtung. Aber da die Seele ein weites Land [Kulissenwände, die nicht einmal die gleiche Höhe
Aber Schnitzler
kiz, die schreiben wollen, sondern uns eine Tragikomödie,
und die Funktionen unserer Nervenbündel unbe= hatten, wirkten mit ihren gemalten Fenstern
rechenbar sind, so schwelgt Schnitzler förmlich in
en und wie der Titel sagt, beschert. Gemach! Eine Tra¬
greulich ernüchternd. Einheitlicher war das Ho¬#
den Aeußerungen und Regungen komplizierter
er ne¬gödie soll das Stück im Grunde sein, das Komö¬
telvestibül mit seinem recht natürlichen Getriebe,
Psychen. Jede Person, die nur einigermaßen zur
trägt dienhafte steht nur in den Nebenthemen, in aller¬
seinem Lift, seiner Treppe und seinen bequemen
im tie= hand kleiner Gesellschaftssatire, in der Verhöh= Idee des Stückes in Beziehung steht, hat ihre be= Klubsesseln. Und über der ganzen Aufführung
u und nung der Tennisfexerei, in niedlichen Witzen über lsondere Regung; für die im Mittelpunkt der dieser Tragikomödie lagerte, das war die Haupt¬
liebelt Rucksacktouristen und in sonstigen die eigentliche Handlung Stehenden aber hat er sie dutzendweise sache,
trotz aller äußerlichen leuten Lustigkeit,
sockeren Tragödie umrankenden Begleiterscheinungen.
auf Lager, und so entstehen schwer definierbare' die beklemmende Stille, unter der die unheimliche