II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 485

box 29/2
24. Das weiteLand
Ausschnitt aus
Saanschweigische Landesreitung, Braunschwah
*5 1 111
Bankiersfrau Schluf. ene e egeeen
an, einem jungen Mädchen, das zuerst stark geie wollte Schnitzler denn eigentlich mit dieser Fülle zi
Vertanliches Halienler.
stig auftritt und sich später als lüsternes Gänschen der Gesichter, mit dieser Szenenfolge, die anschei¬
V. Braunschweig, 4. November. Zum ersten Male:
entpuppt. Hofreiter gibt sich keine Mühe, seine nend ohne inneren Zusammenhang, ohne die
weite Land“, Tragikomödic von Arthurlvergnüglichen Abschweifungen von der langweili= alles verbindende Idee, Gespräche auf Gespräche
Schultler.
rhäuft und als amüsante Unterbrechungen Kon¬
gen Chaussee der Ehepflicht zu verbergen, ja
#lggisch=dramatische Forschungsreise
stellationen des „Changers les dames“! Freilichk
treibt auch seine ihn vergötternde Frau systema¬
In „das weite Land“ der Seele, wo im Urwald¬
diese Leutchen, die ihr zynisches Empfindungs¬
tisch in den Ehebruch. Er bebauert wortreich den
leben stets mit schönrednerischen Falten drapie¬
gestrüpp der terra incognita die Rätsel und Ge¬
Künstler, der sich aus unerwiderter Liebe zu sei¬
ren, die ihre Ironien und Selbstironien frei spie¬
heimtisse der erotischen und der ehelichen Be¬
ner, Hofreiters, Frau erschossen, und macht ihr
len lassen, und die sich selbst kaum einen Augen¬ je
zehungen ruhen. Aber kein erfrischender Nord¬
kaum verhüllte Vorwürfe, daß sie ein hoffnungs¬
blick ernst nehmen, sind keine tiefen, problemati¬
wind, kein den Kopf klarmachender Sturm, in dem
reiches, junges Leben durch ihre Unbarmherzig¬
die Eichen sich biegen wie die Halme und Tannen,
keit geknickt hat. Genta, die aus Liebe zunächst schen Naturen, die uns Anhalt und Basis geben,
auf der wir eine neue Sittlichkeit oder Lebensan¬
und dann auch aus einem gewissen „Reinlichkeits¬
wie sprödes Glas zersplittern, umtobt uns, son¬
gefühl“, den verführerischen Anbeter zurückge die= schauung aufbauen könnten. Von Tragik im wah¬
dern mussige Dünste steigen aus morastigem Bo¬
sen hat, -revanchiert“ sich aber schließlich doch noch, ren Sinne also nichts; und doch in den letzten bei¬
eden, süßlich=faule Gerüche aus farbenprächtigen
Blumen uns stickige dumfe Luft, heißes Brodeln
den Akten eine packende Theatralik, eine die
indem sie dem Beispiel der anderen folgt, und sich
Spannung in Atem haltende Bühnenwirkung!
und miasmengeschwängerte Atmosphäre nehmen
einem bluttungen Fähnrich an den Hals wirft.
Und noch eins, das nicht vergessen werden
uns den freien Atem, beschweren Herz und Sinne.
ihn nächtlicherweile aus dem
sieht
Hofreiter
darf: Dieler Wiener Naturalfsmus hat seine Be¬
Schlafzimmerfenster seiner Frau steigen. Aber er
Die Menschen, die einem begegnen, sind keine ur¬
rechtigung, der mit einem esgenartigen Gemisch
wüchsige Kraftnaturen, von der Kultur unberührte
kauft sich ihn nicht gleich. Im Gegentell, er spot¬
von Spott und Bitterkeit, Resignation und Weh¬
Personen, sondern weichnervige, marklose Sybari¬
tet noch über die Hörner, die ihm aufgesetzt sind.
mut in das Leben unserer Zeit schaut, dort, wo
ten, kokette Lebensnipper, genußhungrige Egoi¬
Dann aber bricht er mit dem Nebenbuhler
die sogenannten Gebildeten, die „Stützen der Ge¬
sten, die Mollusken gleich ihre weichen, schleimi= einen Streit vom Zaune und schießt ihn
sellschaft“ hausen und sich in all der offenen und k
gen Glieder durcheinanderflechten. Ihre Seele istl kaltblütig über den Haufen. Weshalb? Weil er
verborgenen Herrlichkeit ihrer Seele manifestie¬
in weites Land, das Raum gibt für unzählige die beleidigte Gattenehre reinwaschen will? Nein,
ren. Dieser von Schnitzler vertretene Wiener
Regungen, vor allem in Dingen der Liebe oder
so viel Ehrgefühl steckt nicht in dieser schlassen
Naturalismus
— von anderer Art, als der un¬
vielmehr der Liebeleien, denn von Amouren und
Seele, sondern aus wilde mGrimm gegen den
barmherzige norddeutsche Wirklichkeitsfanatis=
wieder von Amouren handelt das Stück, nicht von begünstigten Rivalen und überhaupt, well's nach
mus, und ihm doch nohe verwandt — läßt den
großer, starker Liebe, von packenden, hinreißenden dem Ehrenkodex so Brauch ist. Sonderbare Men¬
Pulsschlag jener Welt fühlen, behorcht die Stim¬
Gefühlen. Im Gegenteil, wo Gesühl sich zeigt, da
schen, die allen möglichen und unmöglichen See¬
men und die Stimmung, die unter der gleißneri¬
wird es gelstreich zerredet, und krampfhaft fast
lenregungen Raum geben, denn ihre Seele ist ein
sich breit
schen Oberfläche heimlich, unheimlich
hüten sich diese gelstreichelnden Dialektiker, ihre
weites Land ...
macht und ist so ein sensitives, untrügliches Baro¬
„Herzensschlampereien“, in Liebe ausarten zu
meter der Wiener „Kultur“, die es so herrlich weit!
lassen. So hat dieser Ausflug in das weite Land!
Können solche Menschen die allesamt nach rein
der Seele auf den ersten Blick für uns derbge¬
gebracht hat. Vielleicht auch unsere?
egoistischen Motiven handekn, Träger eines kraft¬
sunde Nord= und Niederdeutsche, denen das ästhe¬
vollen Dramas, einer wuchtigen Tragödle sein?
tisierende schwelgerische Wien der oberen Zehn¬
Unmöglich; denn ihre nihilistisch sentimental=Le¬
Schnitzler ist weniger Dramatiker alls Ge¬
tausend, diese lin de siecle=Menschheit, der kreuz
benswetsheit vernichtet à priori jeden Heldenwir¬
und quer versippte Kreis verwöhnter Frauen und
seuschaftsphilosoph. Ein Intellektueller, ein nach¬
len und damit jede wirkliche Tragik. Die einzige
denklicher Kopf, der mit scharfen Blicken seine
verweichlichter Männer, mit seinem zynischen
Tragik, von der sie heimgesucht werden, ist die,
Umwelt beobachtet und die Menschen darin mit!
Empfindungsleben, fern liegt, etwas Unerquick¬
daß sie, wenn der graue Katzenjammer des Lebens!
über sie kommt, und sie niemandem gehören kön= all ihren Regungen: Liebe und Haß, Sehnsucht
liches, fast Abstoßendes.
und Zynismus, Treue und Verrat, verstandes= 5
nen, so viele sich ihnen auch zu eigen gegeben ha¬
So ist auch seine Tragikomö¬n
mäßig durchforscht.
den, daß sie dann erschauernd am Ende ihren „ein¬
die eine an psychologischen Feinheiten reiche
Friedrich Hofreiter, der so etwas von Baumei=samen Weg“ gehen müssen.
Dichtung. Aber da die Seele ein weites Land
Aber Schnitzler hat ja gar keine Tragödie
ster Solneß an sich hat, ist der verfüherischste und
und die Funktionen unserer Nervenbündel unbe¬ h
zugleich abschreckendste Typ jener Dekadenz, die jschreiben wollen, sondern uns eine Tragikomödle,
rechenbar sind, so schwelgt Schnitzler förmlich in
alles, was Wert hat, niedertreten, verwüsten und wie der Titel sagt, beschert. Gemuch! Eine Tra¬
den Aeußerungen und Regungen kompliziertert
in den Tod jagen.
Jahrelang schon lebt er ne¬gödie soll das Stück im Grunde sein, dus Komö¬
ben, nicht mit seiner Frau Genia. Trotzdem trägtIdienhafte steht nur in den Nebenthemen, in aller=Psychen. Jede Person, die nur einigermaßen zur
= allmählich dämmert uns das auf im tie= hand kleiner Gesellschaftssatire, in der Verhöh= Ider des Stückes in Beziehung steht, hat ihre be¬
er
die im Mittelpunkt der
fen Herzen eine sublime Liebe zu seiner Frau und nung der Tennisfexerei, in niedlichen Witzen über lsondere Regung;
sie liebt ihn ehrlich und wahr. Hofreiter liebelt! Rucksacktouristen und in sonstigen die eigentliche! Handlung Stehenden aber hat er sie dutzendweises
auf Lager, und so entstehen schwer definterbare 5
bald hier, bald dort, hat eben mit einer lockeren! Tragödie umrankenden Begleiterscheinungen.