II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 518

24. Das weite Land
box 29/2
tätig sich die behördlichen Maßnahmen nach dieser Richtung Hin schon
erwiesen haben, beweist die Stranddistel (Eryngium. maritimum).
Vor Jahren an unserer samländischen Küste nahezu ausgerottet, hat
sich diese schöne und für die Strandbefestigung durch ihre Wurzel¬
verzweigungen wichtige Pflanze wieder so stark vermehrt, daß sies
S Hc
vornehmen Ratur heraus. Denn ob sie es auch ableugnet, sie hofft
ist es, daß er, der so viele gewonnen, doch schließlich allein bleibt.
immer noch auf seine Umkehr und vielleicht ahnt sie, daß sie die
agikomödie
Die Frau sagt sich los von ihm, das Mädchen, das er sich eben zu
einzige ist, die er wirklich noch lieben könnte. Mit den andern liebelt
eigen gemacht, schüttelt er wie etwas Fremdes selbst ab.
urdalsGast.
und genießt er nur. Da erschießt sich ihretwegen ein schwärmerischer
„Hineinschauen in mich kannst du doch nicht — das kann
es entdecken sich
Künstler, der vergeblich um sie geworben. Daß an Genias Tugend
keiner“, sagt Hofreiter zu seiner Frau. Daß freilich auch der Dichter
eicht übersehbare
ein Mensch zu Grunde gehen konnte, begreift Hofreiter einfach nicht.
nicht tiefer in ihn hineingeschaut hat, oder uns von seinem tieferen
Durchsichtigkeit
Für den immer ungetreuen Mann mit Lebemannsallüren bedeutet
Einblick wenig gewahren läßt, ist ein Fehler des Werkes. Erst
tisches Gefüge,
solche Treue nichts als ein Phantom, verstiegene Scham, Aengstlich¬
wenn man kleine gelegentliche Hinweise zu Hilfe nimmt, weiß
spiel.
nödie,
keit, Ziererei. Er könnte Verzeihung finden für eine Frau,
man, daß es Hofreiter und Genias Tragik ist: einander zu lieben, ohne
gewir
trotz
die wie er ist. Daß Genia so viel reiner, höher, adliger
einander halten zu können. Sie verlieren sich, erst er, ganz zuletzt auch
cher 11
olfen¬
kals er, ist seiner feelischen Brutalität unbequem und un¬
sie, in das Niedrige und Unklare, weil sie sich das eine, reine Glück
heit.
C
ie liegt
heimlich. So reißt ein Erlebnis ungewöhnlicher Frauentreue
nicht erkämpfen konnten. Aehnlich geht es ja allen Menschen des
ortführ:
uing, des
die Kluft nur tiefer. Das ist psychologisch kühn und ver¬
Stücks. Die Liebe ist ihnen Schicksal und Qual, aber sie versuchen
nicht nur
wegen argumentiert, aber überzeugend unter Voraussetzung der
Spiel und Sport daraus zu machen. Sie sind von ihrem Liebesleben be¬
, die uns,
inneren Verrohung Hofreiters. Bis hierhin führt der Dichter in
herrscht, von unberechenbaren Nervenfunktionen und Triebmächten, sie
igen und
den beiden ersten Akten. Im dritten biegt er in die Episode ab. Leben!
taumeln in einem Reigen von Liebeleien dahin und leiden doch
in einer
und Treiben in einem österreichischen Alpenhotel wird lustig, nicht ohne
alle trotz ihrer Leichtlebigkeit. Zur Aufhellung hat der Dichter dem
lachenden
Schwankscherze und Schwankfiguren, aber doch mit geistreicher Frische
Huuptvaar ein anderes gleichsam als Spiegelbild entgegengestellt:
tragische
geschildert. Auch Hofreiter hat sich vor der unheimlichen Tugend
die Eltern des Fähnrichs Aigner. Sie sind auseinandergegangen,
pöttisch
seiner Frau dorthin geflüchtet, um wieder einmal ein Abentener zu
die Frau hat sich vom ungetreuen Gatten losgesagt, aber er liebt
ehr echter
erleben und sich ins weite Land der Erotik zu verlieren. Diesmal
sie nach zwanzig Jahren immer noch, obwohl er sich schad¬
ödie des
ist es ein junges Mädchen, die dunkeläugige Erna Wahl,
los hält, und sie kann ihn nicht vergessen und hat keinen nach
die an ihn die letzte Unschuld, die sie noch zu verlieren
ihm geliebt. Weiter der Bankier Natter: er weiß, daß seine Adele
die mensch¬
hat, die physische, mit lebhaftem Entgegenkommen verliert.
ihn alle paar Wochen mit einem andern betrügt — ein Leben ohne sie
elüste, die
Er nimmt das Mädchen, obwohl er sie zugleich seinem Freunde
erscheint ihm dennoch sinnlos. Sie alle suchen einander, erniedrigen
dnung bar
Dr. Mauer, dem einzigen geraden und reinen Menschen des ganzen
sich, sind bei allem Genuß glücklos und einsam. Der Dichter hat¬
Man sucht
Stückes, wegnimmt. Zwischen diesen abbiegenden, aber amüsanten
ein gütiges Lächeln, eine wehmütige Ironie und leisen Schmerz
g ist doch nur
Akt und den vierten legt Schnitzler eine Wandlung Frau Genias, die
für dieses seltsam traurige Getriebe, und er ist nur zu sehr
er Gestalten des
zwar vorbereitet, aber nicht klar genug geschildert ist. Auch Frau Genia
resignierter Weltmann, um nicht gleich mit seinem Dr. Mauer
en Moraltendenz
hat sich jetzt, nach der erneuten Kränkung und Enttäuschung, aus Trotz
das ganze „Ineinander von Zurückhaltung und Frechheit, von feiger
ht der begüterten
oder aus Sehnsucht nach einem einfachen. ehrlichen Menschen in das „weite
Eifersucht und leerer Lust“ trübselig und grauenhaft zu finden. Er
hr Dasein ist ein
Land“ verloren. Sie ist die Geliebte eines jungen Fähnrichs geworden,
sieht auch die Komik, die Ironie, das Lächerliche dieses schillernden
sie Kreuz und die
der Gatte entdeckt das Verhältnis, zwingt den Liebhaber zum Duell
Chaos, das im „weiten Land“ Herrscher ist.
vergnüglicherem
und schießt ihn nieder! Er erzählt zwar seinem Freunde mit
Schnitzler hat unmittelbarer wirkende Stücke geschrieben, aber
auch zur Tragik
zynischer Heiterkeit, wie er sich Gewißheit von der Untreue seiner
vielleicht keins, das so viel Probleme aufwirft, so feine psycho¬
dem Fabrikanten
Frau verschafft hat, aber er, der Amoralist, der Vertreker eines
logische Seelenmalerei bringt. Vielleicht ist seine Beweisführung,
haben einander
praktischen Sexualkommunismus, der seiner Frau Genia in
seine Problemlösung zu richtig, zu rechnerisch, zu spitzfindig,
herrenmensch,er
der Unterhaltung ironisch die gleichen ehelichen Freiheits¬
um überall wahr und klar zu scheinen — bei allen Mängeln fühlt
schsteckt, und die
rechte zugestanden hat, nimmt doch, um sich
man sich doch immer im Bannkreis eines Dichters.
zu
trügt er sie eit
rächen, zum konventionellen Ehrenkodex seine Zuflucht. Das
Mit der Aufführung hatte das Neue Schauspielhaus eine
Lebensgier. Hie
ist nicht nur eine tragikomische Pointe Schnitzlers, das zeigt zugleich,
komplizierte Aufgabe übernommen, die unter Herrn Direktor Geissels
scher Resignation.
daß neben der verletzten Eitelkeit noch ein tieferes, elementareres
Leitung im ganzen überraschend gut gelöst ward. Die Enge der Bühne
hat dem Untreuen
Gefühl in Hofreiter getroffen ward, die Liebe zu seiner Frau, die bot der Regie in den Gartenakten zwar manche nicht überwindbare
bedürfnis einer unter einer Aschenschicht doch immer noch foriglomm. Seine Tragik] Schwierigkeit — aber man mußte da vorlieb nehmen und sich an das