II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 564

We
24. Das1te Land
box 29/2
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schnitt aus:
Neue Badische Landes Zeitu.
Männheim
17 5 1912
Kreenen
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nen Abend schuld war, lasse ich dahingestellt. Es genügt
und bestimmter die Charaktere Hofreite##
Feuilleton.
mir, die beschämende Tatsache konstatiert zu haben, und ich
reißen. Infolgedessen haftet diesen et
beeile mich, dem Dichter selbst, diesem liebenswerten, klugen,
zuviel Absicht an. Das weite Land,
hellseherischen Seelenfinder meine Reverenz zu erweisen.
heißt, erscheint künstlich ausgeweitet.
tof= und Nationaltheater.
Schnitzler hat die Kunde von der modernen Seele auf
Mit dieser Seele aber hat es
eine ganz eigene, besondere Weise bereichert. Es ist Sitte ge¬
Zu Arthux Schnitzlers 50. Geburtstag.
Bewandtnis. Schnitzler nennt sie n
worden, die Eigenart seiner Kunst aus seinem ärztlichen Beruf
ein weites Land. (Denn dieser Verg
Das
zu erklären. Diese Sitte der Feuilletonisten ist mehr bequem
Dichter stammen soll, ist eher, wie
als begründet. Denn Schnitzler hält sich nirgends an das
(Erstaufführung.
einem Hoteldirektor zuzutrauen.) Aber
gegenständliche Phänomen, nirgends an die Körperlichkeit der
des Seelenlandes doch dazu, um in
Am 50. Geburtstage Arthur Schnitzlers wurde seine
Erscheinungen; er ist niemals Naturalist gewesen. Vielmehr
des Schicksals verschwinden zu lassen,
Tragikomödie „Das weite Land“ vom Mannheimer
gestaltet er stets die Grundstimmung einer Welt oder eines
theatralisch wirken. Vor allem ist
Hof= und Nationaltheater auf ihre Widerstandsfähigkeit ge¬
Lebens und läßt erst daraus die Umrisse einer Gestalt und
von Aigners eine Laune des Dichter
prüft. Der Jubilar und sein Drama hielten sich trefflich
einer Seele auswachsen. Er ist eine Ausnahme weiter Kom¬
Derlei paßt gewiß in ein „weites
und wirkten trotz der Unzulänglichkeit der Aufführung
plexe, ein Ueberschauer verschwimmender Perspektiven, einer
fremd und unorganisch im Seelenle#
ins Publikum. Dem Kritiker aber bleibt nichts anders
der Auserwählten, die mit dem Tastsinn der Seele begabt sind.
auch das Schicksal seiner Freunde, des
übrig, als den Dichter Arthur Schnitzler an seinem 50.
Meist liegt eine weiche, zarte Stimmung, durchsichtig und ver¬
Seite im Gebirge sich zu Tode fiel,
Geburtstag gegen das Mannheimer Hof= und National¬
hüllend zugleich wie ein Schleier, über seinen Werken. Aber
jenes Pianisten, der um Genias w
theater zu verteidigen, ihn gegen die Unbekümmertheit, mit
auch härtester Zusammenprall und glutigste Theatralik sind
dieses Schicksal ist mit spielerischer
der. man sich an seine letzte Bühnendichtung heranwagte,
ihm nicht fremd. Schnitzler ist bei aller Zartheit seiner Mittel
in Schutz zu nehmen. So ehrt das Hoftheater seine Dichter:
zu absichtsvoll zur künstlichen Ausn
und Wirkungen niemals ein Verweichlicher und Verwässerer.
perspektive benutzt.
Wenn der kultur= und kunstloseste Schmarren Otto Ernsts
Gewiß! In seinen Dichterträumen wandeln Anatol und
aufgeführt wird, umgibt man ihn mit neuen Dekorationen.
Wie aber drängt diese Dichtun
Medardus aber er scheut auch nicht vor den unbequemen Wirk¬
Für diese Schnitzler=Aufführung dagegen, die überdies aus¬
Seelischen und Theatralischen, zur äu
lichkeiten des (Geschlechts=) „Reigens“ und vor den brutalen
drücklich als Ehrung des Dichters bezeichnet wird, ist der
inneren Gehaltenheit! Es ist eine 2
Kämpfen der Renaissance (in dem wundervollen „Schleier der
alte Fundus gut genug. Man legte die verschiedenen Schau¬
Dialogs zu folgen, und zugleich eine t
Beatrice“) zurück.
plätze der zwei ersten Akte in einen zusammen und läßt es
tuung zu erkennen, wie fest aus diesen
In seiner Tragikomödie „Das weite Land“ ist Anatol,
dafür bei einem ärmlichen, poesielosen Gartenbilde ge¬
samtgebäude des Dramas sich fügt.
der die Liebe in ihrer ewigen Variation liebt, älter geworden
nügen. Dieses Aeußerliche ist schon bezeichnend genug für
Von alledem merkte man der
und verheiratet. Hofreiter liebt seine Frau und der Reihe
die Qualität der Dichterehrung. Aber der äußerlichen ent¬
wenig oder gar nichts an. Ueber alle
nach viele andere Frauen, jetzt gerade die abenteuerlustige
sprach auch die innere Struktur der Aufführung. Man
Hummel als Genia empor. Sie wa
Erna Wahl. Genia seine Frau, weiß von allem und ist ihm
sprach ein Libretto herunter, zum Teil sehr undeutlich, fast
nerlichkeit. Diese Darstellerin hat
dennoch treu. Ein Pianist, dem sie sich versagte, hat sich um
durchweg aber grob nuancen= und stimmungslos. Eine
sich, eine Differenziertheit des Gefüh
ihretwillen erschossen. Nun aber naht sich ihr Otto von
ganze Reihe von Schauspielern stand absolut nicht in ihren
wieder in rührender Schlichtheit endig
Aigner, ein junger, stiller Mensch, und wie ihr Gatte die
Rollen, sondern neben ihnen oder blieb ihnen ganz fern,
Herr Koch als Hofreiter ziemlich pl
Jugend Ernas gierig an sich reißt, läßt sie sich selbst von
Von einem Zusammenspiel war keine Rede. Herr Richter
frei, souverän und liebenswürdig gen#
der unverbrauchten Jugend Ottos verführen, Hofreiter erfährt
B. mimte in einem übertriebenen Wiener Dialekt einen
von einer unwandelbaren Echtheit der
es und erschießt Otto von Aigner im Duell. Seine Frau aber
Originalsketch vom Tennisplatz, und störte dadurch, so oft
und von einer (manchmal zu wenig ##
weicht entsetzt von ihm. Dies Gerippe, das einer Troubadour¬
er auch nur auf der Bühne erschien, das Ensemble der
schauspielerischer Mittel. Im letzten
Ballade anzugehören scheint, trägt in Schnitzlers Drama ein
übrigen, die sich, aber ihrerseits wieder kaum ein einziges
ebenso diskret wie beredt. Herr Ro
breit und weit gemaltes modernes Kulturbild. Die Handlung
Mal wirklich zu einem Ensemble zusammenfanden. Jeder
jungen Otto viel zu sehr aufs Ungefäh
verästelt sich in viele Episoden, die aber immer Exponenten
hielt nach den Worten des Dichters seine Monologe und
Dieser junge Mensch ist aber eine Chal
der Haupthandlung sind. Ein verhaltener Strom lebendiger
sehnte sich vergeblich nach Zwiesprach' mit den Mitspielern,
Sinne des Wortes. Gänzlich versagte
Energieen fließt von Seele zu Seele und ist bald von komi¬
auf daß ein Dialog entstünde Aber es entstand keiner! Ein
Sie spielte dieses junge Mädchen als
schen, bald von tragischen Lichtern überfärbt. Die Charak¬
paar Tage nach dem Mahlerfest, das zeigte, wie man Künst¬
aber auch in dieser Verstiegenheit
teristik sowohl Hofreiters als auch Genias wird aus all diesen
ler ehren soll, bemühte sich das Theater zu zeigen, wie man
leer. Sehr echt und diskret war Frl.
Episoden gespeist, wie ein stiller Weiher aus vielen unruhigen
sie nicht ehren soll. Herr Reiter begnügt sich als Re¬
ter Otto von Aigners, sehr delika
Bächen. Die beiden Gatten stehen glaubhaft in einer Kultur
gisseur mit bescheidener Inspizientenarbeit und Herr Gre¬
als verflossene Geliebte Hofreiters
(nicht in einer Natur!), weil diese sich in ihnen wie in allen
gori schweigt dazu und verhindert es nicht, daß man
Geradezu ein Labsal in dieser grob
andern Personen individualisiert. Auch in diesem Drama ist
lich in seinem Theater an einem Dichter derartig vergeht.
rung war die Darstellung des Bankier#
das Milien das Primäre und das Individuum erst das
derr Gregori wird sich von dem Vorwurf der Pietätlosigkeit
Kolmar. Diese Gestalt war ein kle#
Produkt einer Stimmung, einer allgemeinen Lebenssituation.
mungsvoller Charakterschöpfung für
gegen einen deutschen Dichter nach dieser Vorstellung schwer= Schnitzler hat aber aus der Grundstimmung der dramatischen
Von allem andern laßt mich sch
lich reinigen können. Wasund wer an diesem kunstverlasse= Handlung zuviele Einzelbeispiele losgelöst. um desto sicherer ##agiertensmie in einer sremden oder