II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 595

24. Das weite Land
400.
„Salzburger Wacht,
vem: 4A. GAf. 191 6
ige.
Theater und Kunst.
Das weite Land. Die Kenntnis dieser Schau¬
spiel=Novität von Artux=Schnitzler verdanken wir
dem Bersefiz des Frl. Brü###. Das
Haus wat sehr gut besucht, die Künstlerin wurde
bei ihrem (Auftreten mit herzlichem Beifall empfan¬
gen und nach dem zweiten Akte überreichte man
ihr eine stattliche Reihe prachtvoller Blumenspenden.
Unter den bramatischen Werken Schnitzlers gehört
„Das weite Land“ zu den schwächsten Schöpfungen
des Wiener Poeten. Eine Ehebruchskomödie, welche
mnder Durchführung wiederholt an die Technik
Südermanns erinnert. Der Fabrikant Hofreiter ist
ein notorischer Don Juan, dabei aber doch furchtbar
eifersüchtig auf seine Frau. Er verliebt sich als reifer
Mann in einen Backfisch, wird dabei von einerig
Leidenschaft erfaßt, daß er entschlossen ist, sich von
seiner Frau scheiden zu lassen. Ein Plötzlicher Um=?
schwung im Gefühlsleben Hofreiters tritt ein, als

er dahinter kommt, daß ihn seine Frau mit einem
Fähnrich betrügt. Er steht natürlich nicht auf dem
Standpunkt, daß auch für den einen billig sein soll,
jungen Mann, es kommt zum Pistolenduell, in wel¬
chme Otto fällt. Für Hofreiter aber scheint dieses Er¬
lebnis eine Läuterung zu bedeuten, die Innigkeit,
mit welcher er seinem Sohne Percy entgegen eilt,
läßt so etwas vermuten. Aber nicht nur die Haupt¬
personen spielen mit dem Leben in sehr frivoler
Weise, auch die Episoden des, Stückes erfreuen sich
verbotener Heimlichkeiten, kurzum diese ganze Gesell¬
schaft, der wir da in Baden und am Völser Weiher
begegnen ist moralisch angefressen und faul. Der
Dialog des Schauspiels ist eine Kette von geistvollen
Einfällen und überlegenen Weisheiten. Auch an
feinem Humor felht es den Reden der einzelnen Ge¬
stalten nicht. Hofreiter ist so eine Art Uebermensch,
mehr aber noch eine herrische und brutale Erschei¬
nung, die für sich alle möglichen Vorrechte in An¬
spruch nimmt, den andern aber mit spießerhafter
Engherzigkeit begegnet. Am meisten Sympathie ver¬
dient noch Frau Genia, die in großmütiger Weise
duldet, bis es auch ihr zu bunt werden muß. Daß
sie gleich beim ersten unerlaubten Schritte von ihrem
skruppellosen Gemahl ertappt wird, ist eben Pech.
Ein freches, egoistisches Geschöpf ist diese Erna, die
sich Höfreiter ohne viele Bedenken an den Hals
wirft. Ein Wesen, das den Konflikt des Stückes
eigentlich nicht wert ist. Und darin liegt auch die
Schwäche der Tragikomödie, daß sich der erfahrene
Hofreiter an diese unreife und dekadente Person verz
liert. Herr Miksch spielte den Hofreiter. Diesez
Roll erfordert einen Charakterliebhaber mit den
typischen Alluren des Bonvivant. Herr Misch war zu
hart und liebenswürdig, zu wenig ironisch und über¬
legener Demokritos. Mit großer Vornehmheit und
Zurückhaltung spielte Frl. Bruckschewska die
Genia. Wo ihr die Rolle Gelegenheit bot heraus zu
treten, war die Künstlerin meisterhaft. Frl. Schrat¬
tenbach war als Erna von verlangender Sinnlich¬
keit erfüllt, wodurch die Rolle an Farbe gewann.
Herr Marx verkörperte den Fähnrich in schneidiger
Weise. Anerkennung verdienen noch die Herren
Czernitz (Aigner). Andersen (Maurer) und
Weyrich (Natter), sowie die Damen Lerach
(Aigner) und Krüger (Natter). Das Publikum
folgte der Vorstellung mit großem Interesse und
dankte den Darstellern nach jedem Aktschlusse durch
lebhaftem Beifall.
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Theater, Kunft und Musik.
Die Einrichtung der Benefizvorstellungen mit ihren Ent¬
täuschungen und Ungerechtigkeiten ist ganz gewiß kleinstädtisch
und veraltet; sie hat aber auch ihre Vorzüge, weil sie mitunter
Bühnenwerke an das Rampenlicht bringt, denen der Direktor
im weiten Bogen aus dem Wege geht. Grete Bruck¬
schewska wählte für ihren Ehrenabend die Tragikomödie
„Das weite Land“ von Artur Schnitzler. Schönherr, der¬
ebenso wie Schnitzler aus der Medizin in die Literatur gekom¬
men ist, hat einmal die Bemerkung gemacht, daß Aerzte und
Priester es sind, die den tiefsten Blick in die Seele des Menschen
tun dürfen; besonders der Priester sieht Frau und Mann wien
aufgeschnitten vor sich. Keine innere Regung kann ihm ver¬#
borgen bleiben, soferne sein Auge zu schauen vermag. Die tiefe
Psychologie des Arztes, die sich bei Schnitzlenielleicht am
deutlichsten in den „Letzten Masken“ findet, macht auch „Das
weite Land“ zu einem wertvollen Dokument menschlichen
Wesens. In dem Fabrikanten Hofreiter zeigt uns der Dichten
den Typus des Herrenmenschen, der mit brutaler Kraft nun
sich und seinem Glücke lebt; er hat den Willen zur Macht, er
leidet nicht am Leben, sondern er bejaht es mit dem fester
Entschlusse zum Genuß. Mag um ihn her alles in den Staut
sinken! Die Seele ist ein weites Land. Ihren Trieben nachzut
spüren, hat keinen Sinn; es hat keinen Sinn, sie in Gesetze
und Fesseln schlagen zu wollen, denn sie ist tausendfältig in
ihren Zuckungen, unberechenbar in den Aeußerungen ihres
Seins. Hofreiter lacht der Moral der Menschen, er lebt sein
Leben, ohne nach rechts oder links zu schauen. Und doch gib
es Dinge, die auch so robuste Naturen einen Augenblick lang
zum Wanken bringen können. Es ist ein feiner dichterischen
Zug, wenn Schnitzler am Schlusse des letzten Aktes den Fabrik
kanten Hofreiter in tiefer Erregung seinem Sohne entgegen
eilen läßt. Die Stimme des Blutes siegt in dem Augenblick
da der Mann im Begriffe steht, sich von allem loszusagen
Bei Anerkennung aller Mühe, die sich die Darstellung gegeber
hat, konnte doch nur ein Teilerfolg zustande kommen. Karl
Miksch kann nicht aus seiner Haut; er war ein nervöser,
überarbeiteter Fabrikant, ließ aber nicht einen Augenblick die
Gewaltnatur Hofreiters überzeugend durchblicken. Grete Bruck¬
schewska, als Benefiziantin mit Blumen und Beifall reichlich
bedacht, vermochte auch als Frau Genia die Starrheit nicht
zu lösen, die ihr Inneres gefangen hält; ihre Figuren haben
etwas Puppenhaftes an sich, etwas Seelenloses, das sie aller
intimen Reize entkleidet. Ein wahrhaftes Miterleben schien mir
nur aus der Szene mit Frau Meinhold (Maria Lerach) zu
wehen. Die Herren Andersen, Marx, Weyrich, Czer=
nitz und Janko stellten sich im Vereine mit den Damen
Schrattenbach und Czernitz willig in den Dienst des
interessanten Abends. Daß manches anders gewesen ist, als
es sein sollte, muß in solchen Fällen immer in den Kauf ge¬
nommen werden.