II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 607

24. Das eiteLand
Ausscnnitt gns: Tegritrres Wiener Prheree
GU0N 1915
vom:
Theaterzeitung.
Burgtheater. In Artur Schu##lers Tragi¬
komödie „Das weite Land“ waren gestern sechs
Rollen neu besetzt, darunter die wichtige, die Haupt¬
rolle des Fabrikanten Friedrich Hofreiter. Nach Arnold
Korff nun Harry Walden. Dieselbe Melodie von
einem ganz anderen Instrument gehlasen. Walden ist
Flöte, „picksüßes Hölzel“ — Korff war Oboe. Der
Vorgänger liebte es energisch und scharf zu
konturieren
Walden
Umriß
ohne
Kanten, Ecen
und
Ghärten
fanft
onduliert und er verfließt ost in den Ton des
Hintergrundes. Walden ist gewiß ein guter,
sicherer, gewiegter und gewandter Schauspieler. Aber er
weiß es, er fühlt es, er läßt es uns auch gerne mit¬
fühlen. Er hat Charme, ist sich seines Charmes bewußt.
Walden wird nie eine Rolle verderben. Wohl aber
wird die Rolle, wenn sie ihm nicht sehr entgegen¬
kommt, ihn verderben. Der Hofreiter kommt ihm auf
halbem Weg entgegen. Deshalb holt er ihn auch ein.
Waldens Hofreiter ist ein verwöhnter. verzärtelter
Frauenliebling, — Korff war Frauenbezwinger, Frauen¬
beherrscher, ein Solneß der Liebe der nicht abdanken,
der nachstürmendet= Liebesjugend durchaus nicht Raum
geben wollte. Wo Korff trotzte, dort schmollt Walden.
Aber er schmollt so reizend, so liebenswürdig, sogar
geistreich, man kann ihm unmöglich etwas nach¬
tragen. Er macht alles so charmant, so soigniert,
es muß sogar ein Vergnügen sein, sich gelegent¬
lich von ihm ein bischen totschießen zu lassen. —
Herr Marr spielte
— nach Paulsen — den Arzt
Dr. Fkanz Mauer in seiner redlichen knorrigen
Art, einfach, mitten aus der deutschen Anständigkeit der
eigenen Natur heraus. — Fräulein Mayer war als
Anna Meinhold=Aigner Frau Bleibtreus Nachfolgerin.
Ein schwerer Stand. Es war
so ziemlich alles
beisammen; bloß fehlten: das tiefinnerliche mütterliche
Gefühl, die letzte geistige Ueberlehenheit, die Logik
des Herzens und mehrere ähnliche gute Dinge. —
Fräulein Mayen ist künstlerisch noch nicht ganz
bereit reif und fertig für die Erna, bot aber doch
manch liebreizenden Ton und innig
zarten Blick,
holden,
der
echtes
Talent verriet
und in eine nahe schöne Zukunft deutete.
Herr
Romberg entdeckte als Dichter Rhon seinen trockenen
Humor und spielte die Affektation des eitten Literatur¬
gigerls mit eleganter Natürlichkeit. — Fräulein Schopf
fand als seine Gattin nur Gelegenheit, durch ihr pikantes
Profil und ihre brennrote Perücke auschfallen. Die
ganze Vorstellung behagte dem zahlreich erschienenen
Publikum sehr. Aber den stärksten Erfolg hatte doch
— Korff. Im Burgtheater haben seit jeher die Ab¬
wesenden, die Ab= und Ausgeschiedenen Recht. .
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yprlignangabe Ointe Gekrum.,
Wiener Allgemeine Zeitung, Wien
Ausschnitt aus:
vom: 1/000.1915
Theater, Kunst und Titeratur.
Wien, 17. Juni.
Burgtheater.
Vielfache Neubesetzungen brachten uns Dienstag
die langgewünschte Wiedereinfügung des Schnitzserscen.—
Schauspiels „Das weite Land“. Es ist gut in deser Zeit,
da das Menschenleben so sehr im Preis gesunken ist, daß
die einfachsten Richtlinien des primitiven Kampfes ums
Dasein der Welt ihr einstiges Barbarenantlitz wieder¬
gegeben haben, im Theater der Ehrfurcht zu begegnen, welche
Artur Schnitzlers Glaubensbekenntnis ist: der Ehrfurcht
vor dem Leben. Vor dem herrlichsten Besitz des Menschen:
der Bewußtheit seines Daseins. Daraus quellen diese
Probleme der Seele, quellen diese ungestümen, herrischen,
tragischen Forderungen, die der Dichter aus Tiefen holt.
Die Liebe und die Achtung vor dem Sein und vor dem*

Recht des Menschen, aus der Sekunde, die die Ewigkeit
ihm schenkt, das höchste Maß des Erlebens zu pressen, das
sind die Führer, die den Dichter durch das weite Land der
Seele geleiten. In sich versenkte Menschen, Menschen, die
sich michtig sind, Menschen, die irren, weil sie Glück im
Irrtum suchen, weil sie leiden wollen, um sich leben zu
fühlen, und Menschen, die Zeit haben und Aufrichtigkeit
genug, ihr Seelen= und Sinnenabenteuer in die vorderste
Linie aller Lebensinteressen zu rücken, sie bilden einest
Welt, die unbesigbar bleiben wird als des Dichters
ewiger Besitz. Vor, während, nach dem Krieg. So wie jetzt
unmittelbar hinter den Schützengräben jedes Stücktger
Erde zur Ernte bereitet wurde, weil man den Frieden
gibt es auch geistige
des Ackers nicht missen kann, so
Reservate, die schützen und aufdauen. Vielleicht war es die
Sehnsucht nach entspannenden unblutigen Kämpfen von
Scele zu Seele, die es vermochten, an einem Juni=Abend
im übervollen Haus ein warm teilnehmendes Publikum
zu sammeln.
Herr Harry Walden schien für die Figur des Hof¬
reiter vorbestimmt zu sein. Er weiß sonst die schwankenden,
verschlossenen, verführerisch kühlen und verräterisch heißen
Männlichkeiten wohl zu gestalten. Und doch schien er mir
diesmal nicht das Wesentliche zu verkörpern. Indem
er einen Mann
den kritischen Jahren des
herannahenden Alterns zeichnete, der, bereits als
ein Erliegender, mehr
mit Gier um Genuß
kämpft als mit noch leidenschaftlichem Verlangen,
brachte er den Hofreiter um sein Bestes, um die verschwen¬
derische Laune einer über das Maß des Alltagslebens
langenden Phantasic. Wenn dieser Mann nicht aus Ueber¬
fülle verarmt, sondern als ein bereits sich vermindert
Fühlender, nach Abenteuern lechzt, dann ist er nichts anderes
als ein brüchig gewordener Lebemann. Hofreiter aber darf
nur als eben von der Melancholie einer noch in vollster
Sonne stehenden Natur gestreift erscheinen, der von Ferne
erst die Abendschatten sieht. Er muß noch trotz aller Seelen¬
subtilität, die ihn beschwert, brutalen Energien erliegen.
Das eben ist die Moral dieses „Weiten Land“=Bewohners.
Diese Lebendigkeit, dieses wirre Blühen aller Triebe, der
gütigen und der giftigen.
Fräulein Mayen war die Erna. Vielmehr, sie war!
nicht die Erna. Dieses geradlinige, wahre, impulsive, aktive,
furchtlose Geschöpf, die es als Lebensberuf betrachtet,
unkonventionell zu sein. Die Manier, welche Fräulein
Mayen Natur ersetzt, das verzierlichte, versüßlichte Zögern
und Staunen, mit der sie scheu und wissend zugleich die
Welt anblinzelt, mag gelten als modernere Ablösung von
jenem Stil der Naiven, die mit fliegenden Zöpfen hüpfende
und girrende Jugend neckisch spendeten. Erna aber ist
modern in anderem, besserem Sinn. Gerade ihre innnere¬
Vielart verlangt äußere Einsachheit, verlangt als Dar¬
stellungsstil Vereinfachung. Diese Forderung, welche über¬
haupt „Das weite Land“ an die Schauspieler stellt, erfühlten
und erfüllten ganz Fräulein Maria Mayer und Herr
Marr, die die Rollen der Frau Meinhold und des Doktor.
Mauer zum erstenmal spielten. Vielmehr, was das