24. Das veite- Land
box 29/3
(Quellenangabe onne Gewanl.)
isschnitt aus: Arbeiterwille, Graz
19 00. 1515
m
Theater, Kunst und Literatur.
Schauspielhaus. „Das weite Land“ von Ar¬
tur Schnitzler. Ein neuer Schnitzler, aber diesmal
als tragikomödische Aufmächung. Vom „Leutnant
Bustl“ zum „Weiten Land“ (so der Titel) ist immer¬
shin eine Entwicklung. Dazwischen liegt Gutes und
Schlechtes, Süßes und Bitteres. Ohne „ s weite
Land“ in eine Kategorie der Erzeugnisse Schnitzlers
einzureihen, findet man gerade jetzt den richtigen Ab¬
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stand zu den Bildern, die sich in etwas gedehnter
Form abspielen. Es wird uns eine entartete (geistig,
seelisch und erotisch) Gesellschaft vorgeführt, deren
Gehaben und Reden uns (und zwar gleichmäßig) ab¬
stoßen, anekeln und wiederum verzeihendes Mitleid
auslösen. Das Treiben eines reichen, leichtlebigen
Wiener Fabrikanten, der neben seiner Frau noch
einige Frauen „liebt“ treibt zuerst einen jungen
Künstler (den Liebhaber seiner Gattin) in den Tod,
um dann einen zweiten Jüngling (den zweiten Lieb¬
haber der Gattin) im Duell niederzuknallen, ist rich¬
tunggebend für die ganze Gesellschaft, die Schnitzler!
diesmal in mehr als zwei Stunden vorführt. Es
versteht sich, daß manchmal Reden und Gegenreden
in feiner Schnitzlerscher Art wie Diamanten funkeln,
aber überwiegend ist wohl Farb= und Klanglosigkeit
der Dialoge. Die gewohnte Zierlichkeit und Pikan¬
terie der Sprache des Wiener Dichters fehlt diesmal
wohl zum größten Teil, und spät nachts geht man un¬
befriedigt aus dem Theater. Den zweideutigen Cha¬
rakter des Fabrikanten darzustellen, gelang Herrn
Brückner trefflich, wenn ihm auch anzuraten wäre,
die wienerische Note des Mannes etwas stärker zu
betonen. Dasselbe gilt auch für Frl. Imle, die Gat¬
tin des Fabrikanten. Für die übrigen Mitwirkenden
soll ein summarisches Lob gelten, das im Einklange
ist mit dem starken Beifall, der ihnen von dem ausver¬
kauften Hause zuteil wurde.
m. r.
Ausschnitt aus: #i#ser Tagespest
19 J0hl. 132 Graz, Steiermart
vom:
Theatervuhd Musik.
Schauspielhaus. Die SchnitzlerscheMeubelt
„Das weite Land“ hat auch in Graz ungemein
interessiert; das Haus war am Vormittag der Erst¬
aufführung bereits ausverkauft. Heute gelangt das
Werk zum zweitenmale zur Aufführung. Hat Schnitzler
uns Wien in gewissen Ausschnitten vorgeführt, so zeigt
uns Hermann Sudermann in seinem Drama „So¬
doms Ende“ Berlin W. In der unter Max Brückner
stehenden morgigen Aufführung des außerordentlich
theaterwirksamen Werkes sind in den Hauptrollen be¬
schäftigt die Damen Jmle, Kovacs=Schürmann, Schrötter,
Schweickhardt und Trieb, wie die Herren Beraun,
Brückner, Großmann, Kainz, Kaliger, Kneidinger,
v. Pindo, Staud und Labatt.
(Quelienangahe ohne Gewähr.)
4
stiner Borsen Cen#t# Berlin
Ausschnitt aus:
Morgenausgabe
2700A1915
vom:
Theater und Musik
Wiener Theater.
Wien, Mitte Juni.
Im Burgtheater ist Arthur Schnitzlers
„Weites Land“ in durchweg neuer Besetzung,
aufgeführt worden. Diese bittersüße Tragikoncödie
einer eleganten Welt, die in Wahrheit ein sehr enges
Land bevölkert, in der alle Wichtigkeiten und Nichtig¬
keiten zu solch völlig falschen Proportionen verschoben
und verzerrt werden, und in der jede wirklich unge¬
brochene Empfindung verkünstelt und durch die
Ueberschätzungen verlogener Liebeleien und Lüstern¬
heiten, von Sportgeckenkümn
wird. Hary Walden hat die früher von Korff
verkörperte Figur des Fabrikanten Hofreiter gespielt.
Die Entgiltigkeit jeder Etikettierung geht so weit, daß
jene, die sie verleihen, es kaum je empfinden, wenn
sie nicht mehr stimmt: sie haben Harry Walden so
lange als den unwiderstehlichen Charmeur, als den
Schauspieler der großen Liebenswürdigkeit plakatiert,
daß sie es schon gar nicht mehr merken, wenn er
einmal anders ist. Diesmal war er anders; war
viel schroffer und herber, als Korff, der weit mehr
heiter brutaler Eroberer war, als er, spielte den Hof¬
reiter (wie ich meine: richtig) als einen, dessen
Energie das eigene Unbehagen, das gestörte Gewissen,
die innere Unordnung immer wieder überrennt, und
dessen geistige Kraft stark genug ist, auch dort durch¬
zuhalten, wo ihn die Konsequenz im Festhalten der
von ihm einmal angenommenen äußeren Art weiter
und in schwerere Schicksale treibt, als er selbst es
wollte. Walden hat all das vortrefflich gespielt,
geistreich, folgerichtig, mit der sorgfaltigsten schau¬
spielerischen Arbeit, auf alle naheliegenden Wirkungen
verzichtend und dadurch für den Augenblick vielleicht
weniger blendend, aber um so nachhaltiger exobernd.
Neu ferner: Marr als Doktor Mauer, einfach
wohltuend herzlich und gerade, gesund und schlicht wie
immer: Maria Mayer als große Tragödin Agathe
Meinhold, sehr nobel und klug, ohne doch ganz den
besonderen, schwingenden, etwas erhöhten und doch
zur Natur gewordenen Ton der Schauspielerin hohen
Stils zu finden und, wie ihre meisten Verkörperungen,
ganz ohne sinnliche Atmosphäre. Neu noch Fräulein
Mayen als Erna Wahl, immer angenehm, nett,
gescheit, einwandlos; aber man spürt nur in wenigen
Momenten die Torpedoseele des jungen Mädchens,
das sein eigenes Leben führen will, gleichviel, ob es
andere Seelen dabei havariert; schließlich Herr
Romberg als Dichter Albert Rhon, boshafterweise
in der gelungenen Maske eines sehr bekannten Wiener.
Schriftstellers, aber nicht nur durch diese Aeußerlich¬
keit, sondern durch gutgeschaute ironische Charakteristik
und durch malitiösen Humor sehr wirksam. Die Ver¬
treter der übrigen Rollen sind dieselben wie vordem.
Der Rest ist Bauerntheater. Die Innsbrucker
Exltruppe mit tüchtigen Leistungen im Deut¬
schen Volkstheater, die Schlierseer mit
bewährten im Reimundtheater. Allüberall
sonst die ununterbrochene Fortführung der Winter¬
erfolge. Nur in der Neuen Wiener Bühne
haben zwei Herren den Versuch gemacht, mit den
Schauspielern der Hauses und einem kläglichen
Schwank: „Der Unt ergang von Pompeji“
von Max Neal, dessen Aufführung zu einem wüsten.
Stegreifulk der Schauspieler ausartete, für das Amü¬
sement während der Sommerszeit zu sorgen. Der
Versuch ist mißlungen, wenn auch der erste Abend
darüber täuschen mochte; offenbar aber lachte das
Publikum nur darüber, wie glänzend sich die Dar¬
steller über ihren eigenen haarsträubenden Unsinn
unterhielten. Das Stuck ist schon abgesetzt; wodurch
der Berichterstatter jedes Wort über solch eine, auch
in diesen Zeiten äußerster Nachsicht unerträgliche Zu¬
mutung derartiger, nur bei getrübtem Sensorium
mitzumachender Kneipenscherze überhoben wird.
R. Sp.
r
.—
box 29/3
(Quellenangabe onne Gewanl.)
isschnitt aus: Arbeiterwille, Graz
19 00. 1515
m
Theater, Kunst und Literatur.
Schauspielhaus. „Das weite Land“ von Ar¬
tur Schnitzler. Ein neuer Schnitzler, aber diesmal
als tragikomödische Aufmächung. Vom „Leutnant
Bustl“ zum „Weiten Land“ (so der Titel) ist immer¬
shin eine Entwicklung. Dazwischen liegt Gutes und
Schlechtes, Süßes und Bitteres. Ohne „ s weite
Land“ in eine Kategorie der Erzeugnisse Schnitzlers
einzureihen, findet man gerade jetzt den richtigen Ab¬
2
stand zu den Bildern, die sich in etwas gedehnter
Form abspielen. Es wird uns eine entartete (geistig,
seelisch und erotisch) Gesellschaft vorgeführt, deren
Gehaben und Reden uns (und zwar gleichmäßig) ab¬
stoßen, anekeln und wiederum verzeihendes Mitleid
auslösen. Das Treiben eines reichen, leichtlebigen
Wiener Fabrikanten, der neben seiner Frau noch
einige Frauen „liebt“ treibt zuerst einen jungen
Künstler (den Liebhaber seiner Gattin) in den Tod,
um dann einen zweiten Jüngling (den zweiten Lieb¬
haber der Gattin) im Duell niederzuknallen, ist rich¬
tunggebend für die ganze Gesellschaft, die Schnitzler!
diesmal in mehr als zwei Stunden vorführt. Es
versteht sich, daß manchmal Reden und Gegenreden
in feiner Schnitzlerscher Art wie Diamanten funkeln,
aber überwiegend ist wohl Farb= und Klanglosigkeit
der Dialoge. Die gewohnte Zierlichkeit und Pikan¬
terie der Sprache des Wiener Dichters fehlt diesmal
wohl zum größten Teil, und spät nachts geht man un¬
befriedigt aus dem Theater. Den zweideutigen Cha¬
rakter des Fabrikanten darzustellen, gelang Herrn
Brückner trefflich, wenn ihm auch anzuraten wäre,
die wienerische Note des Mannes etwas stärker zu
betonen. Dasselbe gilt auch für Frl. Imle, die Gat¬
tin des Fabrikanten. Für die übrigen Mitwirkenden
soll ein summarisches Lob gelten, das im Einklange
ist mit dem starken Beifall, der ihnen von dem ausver¬
kauften Hause zuteil wurde.
m. r.
Ausschnitt aus: #i#ser Tagespest
19 J0hl. 132 Graz, Steiermart
vom:
Theatervuhd Musik.
Schauspielhaus. Die SchnitzlerscheMeubelt
„Das weite Land“ hat auch in Graz ungemein
interessiert; das Haus war am Vormittag der Erst¬
aufführung bereits ausverkauft. Heute gelangt das
Werk zum zweitenmale zur Aufführung. Hat Schnitzler
uns Wien in gewissen Ausschnitten vorgeführt, so zeigt
uns Hermann Sudermann in seinem Drama „So¬
doms Ende“ Berlin W. In der unter Max Brückner
stehenden morgigen Aufführung des außerordentlich
theaterwirksamen Werkes sind in den Hauptrollen be¬
schäftigt die Damen Jmle, Kovacs=Schürmann, Schrötter,
Schweickhardt und Trieb, wie die Herren Beraun,
Brückner, Großmann, Kainz, Kaliger, Kneidinger,
v. Pindo, Staud und Labatt.
(Quelienangahe ohne Gewähr.)
4
stiner Borsen Cen#t# Berlin
Ausschnitt aus:
Morgenausgabe
2700A1915
vom:
Theater und Musik
Wiener Theater.
Wien, Mitte Juni.
Im Burgtheater ist Arthur Schnitzlers
„Weites Land“ in durchweg neuer Besetzung,
aufgeführt worden. Diese bittersüße Tragikoncödie
einer eleganten Welt, die in Wahrheit ein sehr enges
Land bevölkert, in der alle Wichtigkeiten und Nichtig¬
keiten zu solch völlig falschen Proportionen verschoben
und verzerrt werden, und in der jede wirklich unge¬
brochene Empfindung verkünstelt und durch die
Ueberschätzungen verlogener Liebeleien und Lüstern¬
heiten, von Sportgeckenkümn
wird. Hary Walden hat die früher von Korff
verkörperte Figur des Fabrikanten Hofreiter gespielt.
Die Entgiltigkeit jeder Etikettierung geht so weit, daß
jene, die sie verleihen, es kaum je empfinden, wenn
sie nicht mehr stimmt: sie haben Harry Walden so
lange als den unwiderstehlichen Charmeur, als den
Schauspieler der großen Liebenswürdigkeit plakatiert,
daß sie es schon gar nicht mehr merken, wenn er
einmal anders ist. Diesmal war er anders; war
viel schroffer und herber, als Korff, der weit mehr
heiter brutaler Eroberer war, als er, spielte den Hof¬
reiter (wie ich meine: richtig) als einen, dessen
Energie das eigene Unbehagen, das gestörte Gewissen,
die innere Unordnung immer wieder überrennt, und
dessen geistige Kraft stark genug ist, auch dort durch¬
zuhalten, wo ihn die Konsequenz im Festhalten der
von ihm einmal angenommenen äußeren Art weiter
und in schwerere Schicksale treibt, als er selbst es
wollte. Walden hat all das vortrefflich gespielt,
geistreich, folgerichtig, mit der sorgfaltigsten schau¬
spielerischen Arbeit, auf alle naheliegenden Wirkungen
verzichtend und dadurch für den Augenblick vielleicht
weniger blendend, aber um so nachhaltiger exobernd.
Neu ferner: Marr als Doktor Mauer, einfach
wohltuend herzlich und gerade, gesund und schlicht wie
immer: Maria Mayer als große Tragödin Agathe
Meinhold, sehr nobel und klug, ohne doch ganz den
besonderen, schwingenden, etwas erhöhten und doch
zur Natur gewordenen Ton der Schauspielerin hohen
Stils zu finden und, wie ihre meisten Verkörperungen,
ganz ohne sinnliche Atmosphäre. Neu noch Fräulein
Mayen als Erna Wahl, immer angenehm, nett,
gescheit, einwandlos; aber man spürt nur in wenigen
Momenten die Torpedoseele des jungen Mädchens,
das sein eigenes Leben führen will, gleichviel, ob es
andere Seelen dabei havariert; schließlich Herr
Romberg als Dichter Albert Rhon, boshafterweise
in der gelungenen Maske eines sehr bekannten Wiener.
Schriftstellers, aber nicht nur durch diese Aeußerlich¬
keit, sondern durch gutgeschaute ironische Charakteristik
und durch malitiösen Humor sehr wirksam. Die Ver¬
treter der übrigen Rollen sind dieselben wie vordem.
Der Rest ist Bauerntheater. Die Innsbrucker
Exltruppe mit tüchtigen Leistungen im Deut¬
schen Volkstheater, die Schlierseer mit
bewährten im Reimundtheater. Allüberall
sonst die ununterbrochene Fortführung der Winter¬
erfolge. Nur in der Neuen Wiener Bühne
haben zwei Herren den Versuch gemacht, mit den
Schauspielern der Hauses und einem kläglichen
Schwank: „Der Unt ergang von Pompeji“
von Max Neal, dessen Aufführung zu einem wüsten.
Stegreifulk der Schauspieler ausartete, für das Amü¬
sement während der Sommerszeit zu sorgen. Der
Versuch ist mißlungen, wenn auch der erste Abend
darüber täuschen mochte; offenbar aber lachte das
Publikum nur darüber, wie glänzend sich die Dar¬
steller über ihren eigenen haarsträubenden Unsinn
unterhielten. Das Stuck ist schon abgesetzt; wodurch
der Berichterstatter jedes Wort über solch eine, auch
in diesen Zeiten äußerster Nachsicht unerträgliche Zu¬
mutung derartiger, nur bei getrübtem Sensorium
mitzumachender Kneipenscherze überhoben wird.
R. Sp.
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