II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 634

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24. Das weite Land
studiert hat und zu erfassen versieht, vermag an das nicht auf dem Präsentierbrett aufgetragenen Wit.
„weite Land“, die Seile und ihre Probleme zu rühren. Montag soll das interessante Werk mie¬
Das Problem eheliche Treue zwischen Mann und Weib, derholt werden.
Eheirrung (wie man es im Jargon hergebrachter Mo¬
CR.
ral zu nennen beliebt) und Ehebruch (mit keiner
Silbe wird es hier genannt und ist stets auf der
Szene, in der Handlung) verdichtet sich hier zu mehr:
zu dem Schnitzlerschen Motiv: Vergeben oder nur
Verstehen? Friedrich Hofveiter hat von der dem
Manne heute mehr oder minder eingeräumten Frei¬
heit reichlich Gebrauch gemacht, zuletzt einen Seiten¬
sprung zur Bankiersgattin Adele Natter getätigt.
Genia, seine Gattin, die nicht mit, sondern neben ihm
gelebt hat, zweifellos geistig nicht auf ganz gleicher
Höhe stehend, wurde von dem russischen Pianisten
Korsakow umworben; sie liebte ihn, hatte aber nicht
den Mut, die Schranken überspringend, seine Geliebte
zu werden, was ihn in den Tod trieb. Friedrich zürnt
ihr merkwürdiger Weise, statt, wie ein normaler Ehe¬
mam, ihre Entsagung und ihre Moval dankbar an¬
zuerkennen; später zeigt sich der Grund: wäre sie un¬
terlegm, so hätte er nicht die Schuld allein getragen.
Auf einer Bergpartie findet er sich mit Erna Wahl
zusammen, einem 20jährigen Mädchen, das ihn und
seine Reife, sein Fichlen und seine Intelligenz wie sein
meisterliches Tennisspiel schon lange geliebt hat —
nicht etwa die exaltierte Anhängerin freier Lüste oder
ein verhimmelndes Backfischchen, sondern impulsiv, in
den lodernden Flammen echter Leidenschaft versinkend.
Inzwischen hat Genia den jugendlichen Schiffsfähnrich
Otto v. Aigner erhört, dessen Eltern auch um einer
Liebessache willen, infolge des Starrsinns nicht ver¬
gebend, ausemander gegangen sind. Friedrich belauscht
Otto, wie er nächtlich das Schlafzimmer Genias ver¬
läßt, und — treibe ihn, nicht aus Liebe zu Genia, son¬
dern aus verletzten Eitelkeit, durch den Vorwurf der
Feigheit zum Duell, just da, wo Genia Schluß machen
und dem Gatten alles gestehen will. Otto fällt, Fried¬
rich wird sich dem Gerichte stellen und dann weit weg
gehen. Erna will ihm folgen, sie gehört zu ihm, Fried¬
rich lehnt es ab, er hat jetzt Genta verloren, selbst aber
gehört er niemandem mehr, das überläßt er der Ju¬
gend. So greift Schnitzler hier an Probleme, die er
dann sechs Jahre später in seinem Einakterzyklus „Ko¬
mödie der Worte“ noch vertieft hat. Man muß das
Leben nehmen, wie es sich gestaltet, muß viel Ererbtes
und Traditionelles zurückzustecken, um dem Gedanken¬
gang Schnitzlers billigend folgen zu können, den er
trefflich „Tragikomödie“ nennt, und der lebendige,
frische, so von Gemeinplätzen reine und doch so ganz
natürliche Dialog gleitet wirklich mit uns darüber hin¬
weg. Eine stille Ivonie, eine Heiterkeit im Ernst bei
aller Tragik! Und welche feine Menschenzeichnung!
Man nimmt die Längen, inobefendere den für die
Handkung zu breiten dritten Akt mit in Kauf.
Die Aufführung war vortrefflich; Brandts be¬
währte Hand hatte so ziemlich jeden der zahlreichen
Mitwirkenden an den richtigen Platz gestellt und jeder
soweit es seine Eigenart zuläßt — gab sein Bestes.
Behalten wir die Gesellschaft beisammen, so sind die
Einflüsse der sommerlichen Gäste auf Darstellung und
Spielleitung, zumal bei künstlerischen Persönlichkeiten
wie Kramer, Kouff u. dergl., auch für den Winter
von Vorteil. Arnold Korff ist nicht der flache Plau¬
derer, nicht der vulgäre Bonvivant und Lebemann, er
ist bei aller Leichtigkeit und Saloppheit der Denker und
Gestalter, dessen überlegene Sicherheit im Scherz wie
im Düstern dem Zuhörer die Rolle auch vom Stand¬
punkt des Gefühls und des Verständnisses förmlich
aufzwingt, vollendete künstlerische Charakteristik, hin¬
reißend auch in seinem Schmarz, in der Tragik am
Schlusse des Stückes. In letzterem Punkte versagte die
sonst durch ihre Zeichnungsgabe so treffliche Helene
Stfastny= Boruttau; die Echtheit des Schmerzes