II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 642

24. Das veite Land
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Burgtheater.
Erstes Auftreten des wiedergewonnenen Herrn Korff
zals Fabrikant Hofreiter in Schnitzlers „Das weite Land“
Herr Korff ist zu seinem Vorkeil gealtert. Insofern man
unter altern verstehen will, daß ein Gesicht charakteristischer
wird, wenn Kunst und Erlebnisse die Andeutungen der
Natur sozusagen ausgebaut haben. Jetzt ist die einstige
Bonvivantphysiognomie Korffs irgendwie ins Tragische
gewendet. Und auch sein Hofreiter (immer eine seiner besten
Leistungen) hat noch an Herbheit, an verhaltener, man
könnte sagen Don Juannester Dämonie gewonnen. So
etwas ist nämlich auch in dem verwienerten Deutsch möglich,
das Korff so graziös behandelt. Es war ein richtiges Emp¬
finden der neuen Burgtheaterleitung sich eines interessanten
Schauspielers wieder zu versichern, der inneres Tempo
besitzt und eine die Bühne füllende Persönlichkeit. Herrn
Korffs Leistung erwies sich freigeblieben von dem Deka¬
dententum des Gastierens. Viel eher wäre man versucht ge¬
wesen das Burgtheater mit einer besseren Provinzbühne zu
verwechseln auf deren Programm es heißt: „Hofreiter: Herr
Korff als Gast.“ Denn, wenige Rollen ausgenommen (hier
sind in den Hauptrollen Maria Mayer, Herr Heine Herr
Devrient, Herr Paulsen zu nennen), war eine dichte Staub¬
schichte über die Leben vretretenden Darsteller dieses so
lebensvollen Schauspieles gebreitet. Wie Jede und Jeder
seinen Part abhaspelte, ohne irgend eine Fühlungnahme
mit seinem Partner erraten zu lassen; wie jede Szene abge¬
hackt, isoliert einsetzte und schloß, ohne Uebergang, ohne
vermittelnde Valeur zu der nächstfolgenden; wie keiner
dieser Menschen seinem Schicksal eine Farbe zu geben ver
mochte, und wie man sich nicht darum scheerte die Atmosphär
dieses Schauspiels wahr werden zu lassen, das ja vor allen
schon durch sein Problem auf seelische Ambianz gestellt ist
beist auf den Verlust von allem, was einst im Konversations= z#
ück Burgtheater=Tradition hieß.
Dies gilt vom Schauspieler, gilt von der Regie. Ichs?
nöchte in diesem Zusammenhang heute ein ganz spezielles! z
Gebiet berühren. Die Vorstellung „Das weite Land“ ist
mir ein willkemmener Anlaß, über die im Burgtheater ver¬ h
nachlässigte Forderung zu sprechen, daß esAufgabe derRegei
wäre, die Schauspielrinnen des modernen Theaters zur Ele¬

ganz zu erziehen. Für eine erste Bühne ist es keineswegs
gleichgültig, wie ihre Damen sich kleiden. Denn es gilt doch
mmer, einem bestimmten Milien seine Charakteristik zu
geben. „Das weite Land“ ist nebst seiner Problematik und
seiner Beseeltheit auch ein mondaines Schaussiel. Da geht
es nicht an, daß die Linie der ersten Salendame einem ver¬
alteten Modebild entspricht Selbst zu einer Zeit wie diese,
in der die Toilettenfrage für jede Schauspielerin ein schweres
Problem ist, kann Ungrazie und Geschmecklosigkeit ver¬
mieden werden. Es muß möglich sein (wie die „Vogue“
dies auf geistreiche Weise in ihrer illustreetten Rubrik
„For a war income“ zeigt), auch unmoderne Kleider mits
geringen Kosten in die Silhouette der allerletzten Mode um¬
zugießen. Auch für Farbensymbolik sollie Empfindung
geweckt werden Zwei Toiletten zum Beispiel, in Nonnen¬
grau, von Schauspielerinnen nebeneinander getragen, ins
einem Akt, der ganz auf Sommerblüte gestimmt ist, und in
dem die Frauen wie farbige Blumen wirken müßten,
fälichen irgendwie die Intentionen des Bühnenbildes.
Denn auch Bühnenkunst ist ein Block. Der Lebemann Hof¬
#eiter, der Frauenkenner und Erkenner, muß auch durch das
Henre der Frauen die ihm wichtig sind, charakterisiert
werden Genia, seine Gattin, Adele, die verabschiedete,
Erna, die kommende Geliebte, jede ist in ihrer Art eine
ihres besonderen Typus auch sinnlich sich be¬
wußten Frau. Und die mit Erotik geladene Atmosphäre
im Kreise Hofreiter verlangt gepflegteste Toiletten¬
haltung. Denn Mode ist in höherem Sinn doch nichts
anderes als vergeistigte Crotik.
Daß, der vernachlässigten Vers#ellung ungeachtet
„Das welte Land“ ein warm mitgehendes Publikum fand
verdankt dieses Schauspiel allein dem dramatischen Puls¬
schlag seiner Menschen erschaffenden Kunst. Jede derartige,
noch unrevidierte Vorstellung aber, beschwert die Last der
von Hermann Bahr übernommenen Aufgabe. Dieser
Wiederaufbau wird von ihm den hingebungsvollsten Ein¬
atz seiner Kraft fordern.
B. Z.