II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 649

W
box 29/4
24. Das iteLand
& Seidel
ür Zeitungsausschnitte
J. 45, Georgenkirchplatz 21!
Vossische 2t.

Ber!
I R
Jatulft.
8 N0V.
820
„Das weite Land“.
2. Schnitzler im Residenztheater.
Archur Schnitzlers Tragikomödie „Das weite Land“ ist gestern im
Residenz=Theater wiedererstanden — just zur rechten Zeit, um uns
daran zu erinnern, mit welcher eigenartigen Mischung von weh¬
gnütigem Humor und taciteischem Ernst der Dichter den Reigen der
Weltkinder spiegelt und beleuchtet. „Das weite Land“ ist zunächst die
große Wahlstatt eines „Eroberers“ im Sinne einer leichtfertigen
Gesellschaft — aber der Titel paßt auch für die breite Oberfläche
einer sinnlich überreizten Genießerwelt, in der es von grotesken Ge¬
stalten wimmelt und der mit satirischer Meisterschaft die Farbe
jener Wiener Leichtfertigkeit aufgedrückt ist, die den Elegant zum
Ideal erhebt und im geschickten Tennisspiel das Symbol des Le¬
benskampfes erblickt. Technisch ist das Stück durch dieses Bemühen,
das Wurzelgeflechte einer dekadenten Gesellschaft bis zur Zerfase¬
rung auseinanderzulegen, zu einem Wagnis geworden; aber es ge¬
lingt dem Dichter, den Blick und die Teilnahme aus dieser Ver¬
schlingung tragischer und närrischer Schicksale immer wieder auf
die beiden Hauptgestalten zurückzulenken, an denen sich der Fluch
des Selbstbetrugs erfüllt. Auf den Mann, der in halbbewußter
Brutalität sich selbst zerstört und auf die sensitive Frau, die, an
seine zur Willkür entartete Willenskraft gefesselt, zur Märtyrerin
wird und an dem verzweifelten Versuch, sich ihm anzugleichen, um
so sicherer und rascher zugrunde geht.
Von der Darstellung dieser Charaktere hängt die Wirkung des
Stückes ab, und da sich gestern im Residenz=Theater dafür zwei
rbenbürtige schnitzlerreife Kräfte fanden, war der Erfolg der Tragi¬
komödie, die seit ihrer Erstaufführung im damals Brahmschen,
Lessing=Theater (1910) nicht an uns herangetreten war — nach
einem Jahrzehnt, das unsäglich viel geändert, aber den Sinn für
das gesellschaftliche Anklagestück nur noch verschärft hat — aufs
neue gesichert.
Arnold Korff gab den Scheinhelden des Stückes, den Tri¬
umphator im Getriebe der Lebensspieler, mit vollendeter Treff¬
sicherheit. Unsere heutige Theaterentwicklung läßt wenige Dar¬
steller reifen, die dem Psendoidealismus der unfehlbaren Form in
solchem Maße beherrschen. Dieser Weltmann Hofreiter, der das
erotische Triebleben als sein Herrenrecht in Anspruch nimmt, und
dem die Maske der Liebenswürdigkeit, hinter der seine Brutalität
waltet, zur zweiten Natur geworden, war glaubwürdig in jedem
Zuge. Bis zum Zusammenbruch konnte man den energischen Selbst¬
betrug in jeder Miene, in jeder Bewegung verfolgen. Wie unbe¬
wußt brach aus der anscheinend sonnigen Heiterkeit die
inerliche Roheit, harte Falten ins Gesicht grabend,
Mlose G Seiden
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkiichplatz 21
Zeitung:
lottenbuy.
Ort:
Datum: sssasksaPePAPRRRPRRRPPPPPPPrPe RRePRrREE
1
Das weite Land.
Schnitzler im Relidenz -Theater.
Fast zur gleichen Stunde, in der die Richter sich klar ge¬
worden, ob der „Reigen“ ein unzüchtig Ding oder nicht, erlebt
ein anderer alker Schnißzler „Das weite Land“ seine Auferstehung
in Berlin. Ein Schnißler, der, wenn man sich auf den Sband¬
punkt der Brunner und anderer Leute stellen würde, nicht minder
unmoralisch wäre wie der „Reigen“. Und vom natürlichen, rein
menschlichen Standpunkt nicht unmoralisch, absoluk rein ist; ist es
dort die Tak, ist es hier der Gedanke. Ist es der Gedanke des
Ehebruchs, nicht in ländelnder, pendelnder Lustspiel-Auffassung,
sondern in der ernsten kritischen Betrachkung eines Dichter¬
Philosophen, und dieweil dieser Philisoph glaubt, ein lachender
zu sein, hat er augenscheinlich auch das „Wette Land' eine
Tragikomödie genannt. Zu Unrecht; es ist eine Tragödie, besten¬
falls ein Schauspiel, und eine Komödie ist höchstens das äußere
Ankliß des Mannes, um den sich alles drehl. Nicht das Gesicht,
das man sieht, sondern das gedankliche Gesicht, das er er¬
kennen läßt. Fabrikank Hofreiter ist eine ganz merkwürdige
Figur. Er ehebrecherk fortwährend, ob mit Frau oder Mädchen,
und möchte, daß seine Frau, die unendlich darunker leidet, sich
darüber hinwegseßt. Scheinbar eine Roheit und psychologisch
doch recht verständlich. Denn er liebt im Grunde seine Frau, liebt
sie mit aller Glut und Empfindung; wenn auch auf seine Weise;
ein wenig absonderlich. Liebt sie sogar so, daß er auch eifer¬
süchtig ist; und weil er sie liebt, versteht er nicht, daß sie diese
seine Liebe nicht spürt, daß sie nur seine Außen= und nicht seine
Innenseite sieht; und aus der Verständnislosigkeit dieser Liebe
gegenüber seinen äußerlichen Ehebrecheleten nicht entsprechend
einschätzt. Upd, diese Eifersucht führt ihn dazu, daß er den Geliebten
seiner Frgü — den sie nicht wie er, aus Bedürfnis an Ehe¬
brecheln genommen, sondern nur, um sich gegen lhn zu wehren —,
nachdem er ihn zunächst angeblich nur Eitelkeit und äußerer
Reinlichkeitsgründe halber zum Duelle gefordert, niederschießt;
niederschießt, weil er in dem Augg des jungen Gegneks etwas
aufblitzen sieht, was in ihm die Isfürchtung aufkommen) läßt,
daß sich die Liebe seiner Frau; andgültig abwenden würde.
Dieser innere Konflikt ist das Tragische und Ernsthafte an diesem
Werk, dessen= Titel wohl bedeuten ###l — der Verfasser läßt es
auch durch Hefreiker einmal aussprechen —, daß das innere Ge¬
sicht des Mannes, seine Seele, ein weites, unerforschtes Land. ...
Dieser Fabrikank Hofreiter ist Arnold Porff. „ein
Wiener, der in Berlin bislang mehr als Filmist, denn als Schau¬
spieler hervorgetreten und der mit seiner Darstellung des Hof¬
reiters, der ja schließlich ebenfalls wie er aus Wiener Böden
hervorgewachsen, eine Kabinetksleistung geschaffen, die man
weniger als Charakterdarstellung, denn als Zeichnung des geistigen
Ichs — eben dieses weiten Landes — ansprechen muß. Ihm
zur Seite Irene Triesch; scheinbar die unverslandene Frau,
in Wirklichkeit die nichtverstehende, und man hälte wünschen
dürsen, daß sie gerade diese Seite mehr unterstrichen hätte; sonst
nalürlich von überragender Darstellung und Empfindungskunst.
Neben diesen beiden kraten alle anderen ein wenig zurück, ob¬
wohl Rosa Beriens recht viel mütt#che Empfindung,
Gertrud Welker nicht minder wahrhaftlg zur Darstellung
gebrachte Liebesleidenschaft — mil beherrschter Kenschheit des
jungen Mädchens — und Josef Klein, eine zweite, recht fein¬
sinnig angesetzte Männerstudie erzeigten.
Arnold Korff, der auch die Regie mit anerkennens¬
werter Subtilität geführk, heimste demenksprechend die Haupt¬
ehren des Abends unker nimmer endendem Beifall ein, der
trotz aller gedanklichen Feinheiten der Dichlung schließlich doch
mehr der Darstellung „al sdem Dichter gehört.