II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 650

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24. Das weite Land
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se & Seidel
Zureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
Zent
ZeitunsChariottenbung
Ort:
Datum:
Das weite Land.
T Schnißler im Relldenz-Theater.
Fast zur gleichen Stunde, in der die Richter sich klar ge¬
worden, ob der Reigen“ ein unzüchtig Ding oder nicht, erlebt
ein anderer alfer. Schnitzler „Das weike Land“ seine Auferstehung,
in Berlin. Ein (Schnitzler, der, wenn man sich auf den Stand¬
punkt der Brinsler und anderer Leute stellen würde, nicht minder
unmoralisch wäre wie der „Reigen?. Und vom natürlichen, rein
menschlichen Standpunkt nicht unmoralisch, absolut rein ist; ist es
dort die Tak, ist es hier der Gedanke. Ist es der Gedanke des
Ehebruchs, nicht in ländelnder, pendelnder Lustspiel-Auffassung,
sondern in der ernsten kritischen Belrachtung eines Dichter¬
Philosophen, und dieweil dieser Philisoph glaubt, ein lachender
zu sein, hak er augenscheinlich auch das „Welte Land' eine
Tragikomödie genannt. Zu Unrecht; es ist eine Tragödle, besten¬
falls ein Schauspiel, und eine Komödie ist höchstens das äußer¬
Antlitz des Mannes, um den sich alles drehl. Nicht das ###
das man sieht, sondern das gedankliche Gesicht, da
kennen läßt. Fabrikank Hofreiker ist eine ganz merkwürnige
Figur. Er ebebrechert fortwährend, ob mil Frau oder Mädchen,
und möchte, daß seine Frau, die unendlich darunter leidet, sich
darüber hinwegsetzt. Scheinbar eine Nohelt und psychologisch
doch recht verständlich. Denn er liebt im Grunde seine Frau, liebt
sie mit aller Glut und Empfindung; wenn auch auf seine Weise;
ein wenig absonderlich. Liebt sie sogar so, daß er auch eifer¬
süchtig ist; und well er sie liebt, versteht er nicht, daß sie diese
seine Liebe nicht spürt, daß sie nur seine Außen= und nicht seine
Innenseike sieht; und aus der Verständnislosigkelt dieser Liebe
gegenüber seinen äußerlichen Ehebrecheleien nicht entsprechend
einschätzt. Und diese Eifersucht führt ihn dazu, daß er den Geliebten
seiner Frau — den sie nicht wie er, aus Bedürfnis an Ehe¬
brecheln genommen, sondern nur, um sich gegen ihn zu wehren —,
nachdem er ihn zunächst angeblich nur Eitelkeil und äußerer
Reinlichkeitsgründe halber zum Duelle gefordert, nieberschießt;
niederschießt, weik er in dem Auge des jungen Gegners etwas
aufblitzen sieht, was in ihm die Befürchtung aufkommen läßt,
daß sich die Liebe seiner Frau endgültig abwenden würde.
Dieser innere Konflikt ist das Tragische und Ernsthafte an diesem
Werk, dessen Titel wohl bedeuten soll — der Verfasser läßt es
auch durch Hofreiter einmal aussprechen —, daß das innere Ge¬
sicht des Mannes, seine Seele, ein weites, unerforschtes Land
Dieser Fabrikant Hofreiter ist Arnold Korff, ein
Wiener, der in Berlin bislang mehr als Filmist, denn als Schau¬
spieler hervorgetreten und der mit seiner Darstellung des Hof¬
reiters, der ja schließlich ebenfalls wie er aus Wiener Boden
hervorgewachsen, eine Kabinettsleistung geschaffen, die man
weniger als Charakterdarstellung, denn als Zeichnung des geistigen
Ichs — eben dieses weiten Landes — ansprechen muß. Ihm
zur Seite Irene Triesch; scheinbar die unverstandene Frau,
in Wirklichkelt die nichtverstehende, und man hätte wünschen
dürfen, daß sie gerade diese Seite mehr unterstrichen häfte; sonst
natürlich von überragender Darstellung und Empfindungskunst.
Neben diesen beiden kraten alle anderen ein wenig zurück, ob¬
wohl Rosa Bersens recht viel mütterliche Empfindung,
Gertrud Welker nicht minder wahrhaftig zur Darstellung
gebrachte Liebesleidenschaft — mil beherrschter Keuschheit des
jungen Mädchens — und Josef Klein, eine zweile, recht fein¬
sinnig angesetzte Männerstudie erzeigten.
Arnold Korff, der auch die Regie mil anerkennens¬
werter Subtilität geführt, heimste demenksprechend die Haupt¬
ehren des Abends unter nimmer endendem Beifall ein, der
troß aller gedanklichen Feinheiten der Dichlung schließlich doch¬
mehr der Darstellung al edem Dichter gehört.

Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplats 21
Zeitung: Tägliche Rundschau
Berlin
Ort:
Datum:
1021—
Residenz-Theater.
Arthur Schnitzler: „Dagweite Land.“
Diese Tragikomödie schildert Bummler des Lebens,
reiche Leute im ehemals sorglosen Wiener Walde, die sich
ihr Dasein gegenseitig durch ihre ungehemmten Liebesgelüste
erschweren und verpfuschen. Das ist der nackte Inhalt. Eine
Begründung aus edler Leidenschaft etwa ist nirgends zu
suchen. Schnitzler genügen triebhafte Ursachen, man kann
auch sagen, eine Mischung von Naivität und Uebersättigung,
vielleicht dem Scheine nach ein Widerspruch und doch keiner,
wenn man sich die österreichische Seele, specics Vindobonensis,
in ihrer tändelnden Liebenswürdigkeit, Unzuverlässigkeit und
Abenteuerlust vergegenwärtigt. Eine alte, ausruhende und
infolge Einkapfelung durch Inzucht bedrohte Kultur ist der
Nährboden der Schnitzlerschen Kunst.
In der Aufführung hätte sich manches retten lassen, wie
überhaupt die Schnitzlerschen Sachen in hohem Grade ab¬
hängig sind von der Einführung der Schauspieler in ihre
weiche wienerische Luft.
Arnold Korffs Fabrikant Hofreiter wollte nüchtern
sein, wurde aber zu hart, und Irene Triesch gelang es
nicht immer, wenn auch oftmals, den Dichter zu übertreffen
und der Genia eine Seele zu verleihen, die nach Liebe tastet
und um Verständnis bettelt. Gertrud Welker als Erna#
zeigte sich von ihrer frischesten Seite. Wo es sich aber der
Dichter dadurch besonders bequem gemacht hat, daß er alles
der Künstlerin anvertraut, da verblaßt sie plötzlich. Dr. Maur
war bei Joseph Klein sicherlich in sehr guten Händen.
Aber mit Gemessenheit ist es nicht ganz getan. Die Rolle
erlangt vieles, was unausgesprochen bleibt und doch zum
Ausdrucke kommen muß. Dis Unfall, der dem Künstler zu¬
gestoßen war, mag ihn behindert haben. Im ganzen war
das Spiel auf dem Hintergrunde einer behaglichen Dekora¬
tion flott, der Dank des Theaters lebhaft, den auch Harry
Hardt als Fähnrich und Rosa Bertens als seine
Mutter in Anspruch nehmen durften.
Fragen wir uns aber in unverbesserlichem Idealismus,
wozu die Aufführung letzten Endes getaugt hat, so müssen
wir mit der gleichen Resignation die Achseln zucken, wie der
Dichter es tut, wenn am Schlusse des Stückes, das nicht
endigt, sondern sentimental abreißt, der Vorhang fällt.
Dr. Robert Volz.
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