II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 658

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24. Das weite Land
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
Zeitung: Vorwärts
Ort:
Berlin
Datum: s e
1 O. MTI
Residenz=Thegter: In keinem Stücke plaudert Artur Schnitz.
rso leicht über Leben und Lüge, über Liebe und Todehinweg,
vie in der Tyckgikomödie „Das weite Land“. Es ist eines der
reifsten Werze des Wieners, obwohl es sich szenenlang in uferlose
Bespräche glbst. Aber die Gesprächigkeit, die in Geschwätzigkeit
entartet, wird doch geadelt durch die wundervolle Anmut, mit der
die Dinge des Daseins erörtert werden.
Vor zehn Jahren spielte man diese Tragikomödie in Berlin
und die Hand des Regisseurs lag wuchtig und vom Gewissen ge¬
leitet auf den Schauspielern. Heute stehen zwei Generationen
von Bühnenkünstlern im Residenz=Theater beisammen: die Ueber¬
reifen und die Unreifen. Frau Triesch, Arnold Korff Frau
Bertens leben von der Ueberlieferung einer großen Theater¬
zeit. Sie können sich nicht vollkommen verlieren, obwohl sie führer¬
los bleiben. Der Schatten der Jahre ist an den Frauen keines¬
wegs spurlos vorübergegangen. Der Schmelz ihres Wesens ver¬
härtete ein wenig. Es schien, daß Korff den weichen Schnitzler¬
Stil, den er am Wiener Burgtheater gelernt hatte, gefällig ent¬
falten würde. Aber er ermattete bald. Die Künstler spielten
bald nebeneinander, gegeneinander, durcheinander.
Sehr schnell
regierte nur der Wirrwarr die Aufführung, die dem Schnitzlerschen
Geste nur spärlich gerecht wurde.
M. H.
Nene Aarten
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Ort: —
Datum: —
6 NÖV

Das weite Land.
Im Residenz -T heater.
Artur Schnitzlers weites Land sind jene Ge¬
füde, in denen on Seile des Mannes ..
ein, genauer gesagt, ein Ehemann, der aus poly¬
gamer Veranlagung seine Frau dauernd betrügt,
wird von ihr und seinem Hausarzt, dem er die
Beinahebraut wegnimmt, gezwungen, seine eige¬
nen Seitensprünge, sehr wider Willen, ernst zu
nehmen und da spricht er in einer sentimentalen
Aufwallung die drei Worte aus, denen die Tragi¬
komödie ihren Titel verdankt. Also der Gatte
nimmt das Leben leicht. Aber gerade dadurch
macht er es der Gattin schwer. So schwer, daß
ihr nichts übrigbleibt, als Gleiches mit Gleichem
zu vergelten. Nicht etwa in tändelndem Spiel
nach dem Rezept Pariser Burlesken. Sondern
erst nach Ueberwindung so schwerer seelischer Hem¬
mungen, daß gerade dieser Ehebruch, sozusagen
der sittlichste des Stückes, vom ästhetischen Stand¬
punkt aus, am unsittlichsten wirkt. Kurz gesagt,
sie ist ein so wertvoller Mensch, daß ihr Mann
sie, wie man sich auszudrücken verdient, gar nicht
verdient. Sein Verhalten ist deshalb unverzeih¬
lich, also — verständlich. (Bewahre uns Gott
davor, daß Professor Brunner diese Zeilen liest!)
Alle Menschen, die einander betrügen — es
sind noch viel mehr — verzeihen sich auf die
Dauer. Zwei junge Männer büßen allerdings die
Spielereien mit dem Leben. Die anderen
kommen auch nicht ohne Knacks davon. So daß
ihnen schließlich die Lust an der Spielerei gründ¬
lich vergeht. Im sechsten Akt, den man sich selbst
auf der Heimfahrt ausdenken kann, leben zweifels¬
ohne alle Beteillgten so moralisch, daß ein Brun¬
ner sie ohne Gefahr in christliche Jünglingsvereine
einführen könnte. Ihnen bleibt trotzdem, als
Trost, die Erinnerung.
Jenselts all dieser Probleme, die keine Pro¬
bleme sind, liegen die Gründe, die die Wieder¬
aufnahme der alten Tragökomödie in den Spiel¬
plan eines Berliner Theaters begrüßenswert er¬
scheinen lassen: Die Sehnsucht, ein brauchbares
Konversationsstück in (fast) mustergültiger Be¬
setzung zu hören, wird erfüllt. Am wirksamsten,
weil am ausgeglichensten, ist wohll die Dialog¬
stelle, die nur Irene Triesch und Rosa Ber¬
tens bestreiten. Gibt auch sonst die Triesch
Tiefstes, Innerlichstes, gelang es ihr doch nicht,
gerade dort, wo sie durch Weichheit gewinnen
will, ihre herbe Note gänzlich auszuschalten. Ge¬
legentlich entschlüpft ihr sogar ein schriller Ton.
Arnold Korff, der Beau vom Wiener Burg¬
theater, der zugleich für die Regie verantwortlich
zeichnet und zu Hause enfant gaté ist, erringt,
verdientermaßen, seinen ersten großen Erfolg in
Berlin. Nach den Aktschlüssen oft gerufen, darf
er sich endlos verneigen. Josef Klein zeichnet,
trotz Behinderung durch einen kleinen körperlichen
Unfall, den Doktor Maur mit Liebe, Sorgfalt und
=Geschmack. Gertrud Wolker ist, sie beweist es
aufs neue, eine der stärksten Hoffnungen, die der
Nachwuchs verspricht. Von bewährten Charakter¬
stellern wie Heinrich Schroth und Giesella
Schuerder=Rissen weiß man ohnehin, daß
auf sie Verlaß ist.