II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 657

24. Das weite-Land
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Beun NO. 43, Georgenkirchplatz 21
Zeitung: Berliner Börsen-Courier
Ort:
Datum: # -un
Das weite Land.
Residenztheater.
Diefes so fünfaktige Schnitzler=Werk „Das
weickg Land“ ist in den# seit der Ur¬
auffthrung (im Lessingtheater) nicht klarer in seinen
Absichten, nicht unkomplizierter in den beiden sich
grundlos überschneidenden und ineinanderwirrenden
Handlungen und nicht zwingender im Seelischen ge¬
worden. Man hört sehr viel wienerisch=graziösen,
schnitzlerisch=geistvollen Dialog, spürt ein heißes Be¬
mühen, Worte als Führer auf den verschlungenen!
Pfaden durch das weite Land der Seele mitzugeben.
Aber all die Worte bleiben — Worte. Sie sprühen
leicht auf, sie tropfen schwer hernieder. Und klingeln
am Ohr vorbei, ohne zum Verstand zu dringen, ohne
ihm zu sagen: Dies ist so, weil es nicht anders sein
kann.
Darauf kommt es an: auf das Nicht=anders=sein¬
können. Der ganze Aufwand für den Beweis ist nutz¬
los, und immer neue Fragezeichen drängen sich. Denn
die Logik setzt sich dafür ein, daß es durchaus anders
sein könnte, weil es anders sein müßte, und
was im psychoanalykischen Roman mit breiter Aus¬
malung den Leser vielleicht eingefangen hätte, bleibt —
trotz breiter Ausmalung — im Drama gegenstands¬
los Und das Ehepaar Hofreiter, das sich liebt, sich
nicht liebt, sich doch liebt; das einander betrügt, weil
es sich liebt; das sich anzieht und abstößt: es ist ein
zu weites Land, auf das hier der Blick gelenkt wird.
Für die Darstellung der Tragikomödie hatte man
ein „Prominenten“=Aufgebot in Marsch gesetzt.
[Korff zeichnet für die Spielleitung. Zeichnete er
nur für sie, oder hatte er sie neben der umfangreichen
Rolle des Hofreiter wirklich inne? Dann würde es auf
sein Konto kommen, daß ab und zu jemand sich vor
den Soufsleurkasten setzte oder stellte und nach schlech¬
tem Opernbrauch die für den Mitspieler bestimmte An¬
sprache an die Zuschauer richtete. Auf Korffs Konto)
kämen ebenso die zerfließenden Gesellschaftsauftritte
und die mancherlei Stilarten des Agierens. Aber man
kann nicht wissen — auch das Papier der Programm¬
hefte ist geduldig ...
Irene Triesch war die Genia Hofreiter. Sie war
sie schon damals, im Lessingtheater. Sie hat für diese
Frauengestalten das besondere Format, hat die
Feinnervigkeit, die Rassigkeit, die ein fester Wille
bändigt, und die jähen, schnell wieder gedämpften!
Temperamentsentladungen, die wie ein Wetterleuchten
aufzucken. Sie ist Trieb und beherrschte Kraft, sie
hat Verstandskühle und Blutwärme. Korff, als
Hofreiter, entwickelte die Figur aus der eleganten
Farblosigkeit einer gut auswendig geleinten Aufgabe
allmöhlich zur Plastik scharf gesehener Menschlichkeit.
Gertrud Welker, vom Film zur Bühne zurück¬
gekehrt, war bewußt, sicher, im Empfinden selbstver¬
ständlich als das Mädel, das sich Hofreiter leidenschaft¬
lich an den Hals wirft. Der Kavalier als Hotel¬
direktor: Franz Schönfeld. Die drollige Charge
einer geistig beschränkten, schwatzhaften Frau: Gisela
Schneider=Rissen. Eine andere Charge: Rosa
Bertens (voll mütterlichen Gefühls). Eine vierte:
Heinrich Schroth. Den Freund Hgfreiters, dem
dieser folgerichtig die Liebste nimmt, vertrat Josef
Klein. Ein Herr teilte vor Beginn mit, daß Klein
trotz eines „körperlichen Unfalls“ spielen werde, und
sagte: „Ich bitte, ihm deshalb besondern Dank zu
wissen.“ Aber trotzdem und jedennoch ..
R. W.
box 29/4
Berlin NU. 43, Georgenkirchplatz 21
Zeitung: Bölseh. 219
Ort:
Datum: .O.RrPSePPRePRePRRRE
NOT.
70
Schnitzler im Residenz=Theater.
„Das weite Land“.
(Pie Direktion Rotter nützt die „Reigen“=Konjunktur
noch schleunigst aus. Holt aus altem Schnitzler=Bestand
eines seiner gedehntesten, am wenigsten komprimierten,
warmeichsten Werke. In dem ein großer Apparat von
Nebensächlichkeiten aufgeboten wird, um die Eheirrungen
möglichst zu verschleiern. Wie viel hat man in den Jahren
seit Erscheinen dieses Stückes doch gelernt! Zum mindesten
die Kunst der Konzentration, des Sichbeschränkens.
Braucht Schnitzler hier noch ein Massenaufgebot von acht¬
zehn Persone so kommt heute etwa Kurt Götz, der sich an
Schnitzler gebildet hat, mit drei Personen aus.
Kein
Zweifel, daß da auch die strenge Dialogführung Strind¬
bergs von Einfluß gewesen ist. Schnitzler also jedenfalls
macht hier noch umständliches Theater und gerät dabei
seltsamer Weise in Verlegenheit, wie er das Massen¬
aufgebot eigentlich rechtfertigen soll. Er weiß im Grunde
mit all den Leuten verzweifelt wenig anzufangen und
schickt sie darum alle Augenblicke wieder hinter die Kulissen
entweder zu einer Tennis= oder auch zu einer Hochgebirgs¬
Partie. Damit hat er so viel zu tun, daß er nicht einmal
zu einer sorgfältigen Konstruktion des üblichen Dreiecks
kommt. Der Dritte im Bunde ist, glaube ich, so ziemlich
der am wenigsten entwickelte und charakterisierte, der blut¬
loseste und gleichgültigste Verführer, der je in der dramati¬
schen Literatur die Dreiecksbildung vollzogen hat.
Bleiben also Mann und Frau. Man bedauert fast,
daß nicht zwischen ihnen allein der Dialog sich spinnt.
So oft (oder so sellten) es geschieht, ist das Vergnügen voll¬
kommen, denn dann eröffnen sich in der Tat tiefe Aus¬
blicke in „das weite Land“ der Seele, der seelischen und
erotischen Beziehungen zwischen den Geschlechtern, und man
fühlt sich jedesmal vor den Kopf geschlagen, wenn allzu
schnell eine gleichgültige Person sich einmischt und sich
vor den Ausblick stellt. Wie kann die Frau an der
Seite eines Mannes leben, für den Treue aus innerer
Notwendigkeit ein leerer Wahn ist? Muß sie schließlich
nicht — wahrhaftig nicht auch aus innerer Notwendigkeit,
sondern aus dem Gefühl des Auge um Auge — Gleiches
mit Gleichem vergelten? Schnitzler meint hier, es gebe
für sie, gewissermaßen zur Aufrechterhaltung ihres
Stolzes, zur inneren Erlösung, nur diesen Weg, und es ist
sein gutes Recht, einen Einzelfall nach freier Schöpfer¬
laune zu gestalten. Aber man wird ihm sein eigenes
Bonmot, daß die Seele ein „weites Lund ist, entgegen¬
halten und aussprechen dürfen, daß in diesem weiten
Lande andere Frauen andere Wege finden werden. Und
man wird sich auch nicht einmal bekehren lassen können, daß
es für die Frau, wie er sie gezeichnet, nur und gerade
diesen Weg gab, So fehlt hier auch in der Cha¬
rakteristik des Wesentlichen das Zwingende, Schlüssige,
Ueberzeugende
und trotz einzelner weiter Ausblicke
bleibt schließlich das Ergebnis der umständlichen, langen
fünf Akte doch recht dünn und unensprießlich.
Ja, schließlich bleibt nur die Charakterstudie des
Mannes, der sich alles erlaubt, zur Sühne seines verletzten
Stolzes aber zur Waffe greift. Auf diesse Figur fiel auch
durch die Darstellung Arnold Korffs alles Licht —
so lange wenigstens, als er sich in seinem Element des
leichten Lebensgenießers bewegen kann. Wenn der Mann
seriös und
tragisch
wird,
kann
man
ammer, noch an
den
geschmackvollen, kultivierten
schauspielerischen Mitteln erfreuen, mit denen Korff die
Figur vor lächerlicher Ueberhebung bewahrt. Neben ihm
bestand eigentlich nur noch Schroth in der Rolle des
Bankiers mit dem symbolischen Namen Natter. Der Frau
weiß heute Frau Triesch nicht mehr wie vor zehn Jahren
die Illusion zu retten, und um alle die anderen Personen
glaubte sich der Regisseur Korff wohl nicht liebevoller
kümmern zu müssen, als es der Dichter getan.
Franz Köppen.