We
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24. DasTLeLand
schon ein bißchen aus Tradition feinen Leuten
abspielte. Der Titel wurde gerechtfertigt: was da
— es
vorging, mochte es zuletzt nicht fein sein -
vollzog sich in dem weiten Land der Seele, zeigte,
wie weit dieses Land der Widersprüche, das die
eigentlich reicht. In dieser neuen Aufführung,
auf derselben Bühne, erlebte man eine Verlage¬
rung des Stückes im Milieu — gleichsam in eine
inzwischen heraufgekommene neue Schicht. Was
jetzt da auf der Szene herumlief, war nicht mehr
das Bürgertum Brahms
— es war Bürgerium
von heute, neues, traditionloses und traditionlos
Gesehenes. Mit einer Kultur von gestern —,
während die bei Brahm immerhin schon etwas
älter war.
Das läßt sich vielleicht aus den Veränderungen
der Zeit, vielleicht aus den seelischen Verschieden¬
heiten der Regisseure herleiten: einst hieß der
Glaube Emil Lessing —
jetzt heißt er Oscar
Dr. Max Goldschmidt
Kanhl. Das Merkwurdige war nur, wie gut sich
das Stück dieser Abwandlung fügte. Wie seine
Bureau für Zeitungsausschnitte
müde seelisch=gesellschaftliche Feinheit mühelos ver¬
BERLIN N. 4
Telefon: Norden 3051.
schwand
und dafür eine junge Seele und eine
sehr junge Kultur im Literarischen sichtbar wurde.
Ausschnitt aus:
Das Stuck blieb langweilig und verschollen: sein
Autor aber wurde Problem. Was Brahm einst
Deutsche Allgemeine Zeizing, Bollp.,
verhüllt hatte, enthüllte Kanehl. Fraglich bleibt
Oez. 1921
nur, ob mit Absicht. Man erlebte drei langweilige
Akte voll mühsamer Feinheit — und zwei kurz¬
weiligere, voll straffen Theaters und straffer Sen¬
timentalität. Und mit möglichst viel Prominenten.
Schnitzler: „Das weite Land“.
Und das war auch sehr lustig. Man hatte zur
Eröffnung alles mögliche auf die Szene gestellt:
Lessing=Theater.
Frau Triesch und Frau Sandrock, Herrn Korff
Vier Monate Revue — nun zieht wieder die
und Josef Klein und Ferdinand Bonn und Herrn
Schroth und Herrn Falkenstein — versuchte es
Literatur ein. Allerdings — unter der Flagge
mit der üblichen Quantitatswirkung. Und cs
der Brüder Rotter. Wo einst Otto Brahm
herrschte wo Barnowsky jahrelang wirkte, zieht
ging nicht. Drei Akte lang standen alle ver¬
einzelt nebeneinander in der novellistischen Un¬
der Geist des Trianon — des kleinen Theaters
ein. Und zur Weihe des Hauses wird Schnitzler
bewegtheit der Komödie: erst die Theatralik des
gespielt.
vierten Akts schuf etwas wie ein Ganzes und
ein bißchen Atmosphäre. Es ist halt doch nicht
Dieses war nun nicht ohne Reiz. Während
genug, berühmte Schauspieler nebeneinander zu
der endlosen ersten drei Akte knackten ja manchmal
stellen: man muß auch etwas zwischen ihnen und
die Backenknochen vor Langeweile, soweit die
um sie herum schaffen.
Sache die Literatur anging. Dafür kam man aber
sofort auf die Kosten, sobald man die Geschichte
Die Verbindung zu der einstigen Aufführung
ein bißchen daraufhin besah, was sich denn an
bei Brahm schuf Frau Triesch, schon damals
Seelischem der Zeit wie der Menschen in ihr
Frau Hofreiter. Und an ihr erlebte man den
arkellte und enthüllte. Die einzelnen Gestalten
Wandel des übrigen am deutlichsten. Denn sie
derf Komödie und ihr Geschick hat für uns kein
war so fein und diskret geblieben wie damals,
gedämpft und noch im Theatralischen ganz zurück¬
Interesse mehr. Staub liegt dick auf diesem
haltend
Hin= und Herlieben dieser Menschen, von denen
— und stand damit ziemlich fremd und
einsam neben den andern. Friedrich Hofreiter
keiner aus dem Lebendigen herausgestaltet ist,
sondern lediglich von Gnaden einer verschollenen
war Herr Korff. Sehr geschickt, etwas zu sehr
Literatur lebt. Die Geschichte von Herrn Hofreiter
auf Worte ohne Substanz gestellt — vielleicht
auch ein bißchen zu sehr auf den Fabrikanten,
und seiner Frau, die einander so fremd sind und
den Tatmenschen: Hofreiter ist immerhin auf dem ##
doch zusammengehören: er, der berühmte Schnitz¬
Umweg über Schnitzler mit dem Toren Hoff¬
lersche Vierziger greift nach allem Weiblichen, das
mannsthals entfernt verwandt. Der Dr. Mauer,
in seine Nähe kommt, sie geht leidend neben ihm,
der moralische Räsonneur ohne Räsonnement,
bis sie schließlich dem jungen Fähnrich in die Arme
einst Herr Marr, war Herr Josef Klein, in der#
fällt, den nun der Mann der freien Redensarten
Marke Schnitzlers; der Doktor v. Aigner, den
schleunigst über den Haufen knallt
diese
damals Reicher machte, sprach Ferdinand Bonn.##
Geschichte, auf die wir, jung und dumm, einst
Den tragischen Fähnrich machte Herr Alexander,
hereinfielen, ist für uns ferne Historie, aus einer
seine Mutter war Frau Sandrock. Forests Rolle
Welt, deren Rhythmus verschollen und meilenfern
des Albertus Bohn hatte Herr Falkenstein be¬
hinter uns liegt. Wenn man sich aber an die
kommen.
Erstaufführung bei Brohm erinnerte
damals
erlebte man etwas, was sich unter anterzogen, Der Veifall war zunächst ziemlich matt; erst
nach dem vierten und fünften Akt wurde das
Publikum lebendiger und klatschte die Schau¬
spieler immer wieder heraus.
Dem Beleuchtungsmann soll man noch ein
paar Proben gewähren: das prompte Dunkel¬
werden im ersten Akt, bevor Hofreiter den Brief
lesen will, wirkt genau so komisch wie das
stimmungsvolle Alpenglühen im dritten eine
Minute vor dem Andrehen des Kronleuchters.
Fechter.
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24. DasTLeLand
schon ein bißchen aus Tradition feinen Leuten
abspielte. Der Titel wurde gerechtfertigt: was da
— es
vorging, mochte es zuletzt nicht fein sein -
vollzog sich in dem weiten Land der Seele, zeigte,
wie weit dieses Land der Widersprüche, das die
eigentlich reicht. In dieser neuen Aufführung,
auf derselben Bühne, erlebte man eine Verlage¬
rung des Stückes im Milieu — gleichsam in eine
inzwischen heraufgekommene neue Schicht. Was
jetzt da auf der Szene herumlief, war nicht mehr
das Bürgertum Brahms
— es war Bürgerium
von heute, neues, traditionloses und traditionlos
Gesehenes. Mit einer Kultur von gestern —,
während die bei Brahm immerhin schon etwas
älter war.
Das läßt sich vielleicht aus den Veränderungen
der Zeit, vielleicht aus den seelischen Verschieden¬
heiten der Regisseure herleiten: einst hieß der
Glaube Emil Lessing —
jetzt heißt er Oscar
Dr. Max Goldschmidt
Kanhl. Das Merkwurdige war nur, wie gut sich
das Stück dieser Abwandlung fügte. Wie seine
Bureau für Zeitungsausschnitte
müde seelisch=gesellschaftliche Feinheit mühelos ver¬
BERLIN N. 4
Telefon: Norden 3051.
schwand
und dafür eine junge Seele und eine
sehr junge Kultur im Literarischen sichtbar wurde.
Ausschnitt aus:
Das Stuck blieb langweilig und verschollen: sein
Autor aber wurde Problem. Was Brahm einst
Deutsche Allgemeine Zeizing, Bollp.,
verhüllt hatte, enthüllte Kanehl. Fraglich bleibt
Oez. 1921
nur, ob mit Absicht. Man erlebte drei langweilige
Akte voll mühsamer Feinheit — und zwei kurz¬
weiligere, voll straffen Theaters und straffer Sen¬
timentalität. Und mit möglichst viel Prominenten.
Schnitzler: „Das weite Land“.
Und das war auch sehr lustig. Man hatte zur
Eröffnung alles mögliche auf die Szene gestellt:
Lessing=Theater.
Frau Triesch und Frau Sandrock, Herrn Korff
Vier Monate Revue — nun zieht wieder die
und Josef Klein und Ferdinand Bonn und Herrn
Schroth und Herrn Falkenstein — versuchte es
Literatur ein. Allerdings — unter der Flagge
mit der üblichen Quantitatswirkung. Und cs
der Brüder Rotter. Wo einst Otto Brahm
herrschte wo Barnowsky jahrelang wirkte, zieht
ging nicht. Drei Akte lang standen alle ver¬
einzelt nebeneinander in der novellistischen Un¬
der Geist des Trianon — des kleinen Theaters
ein. Und zur Weihe des Hauses wird Schnitzler
bewegtheit der Komödie: erst die Theatralik des
gespielt.
vierten Akts schuf etwas wie ein Ganzes und
ein bißchen Atmosphäre. Es ist halt doch nicht
Dieses war nun nicht ohne Reiz. Während
genug, berühmte Schauspieler nebeneinander zu
der endlosen ersten drei Akte knackten ja manchmal
stellen: man muß auch etwas zwischen ihnen und
die Backenknochen vor Langeweile, soweit die
um sie herum schaffen.
Sache die Literatur anging. Dafür kam man aber
sofort auf die Kosten, sobald man die Geschichte
Die Verbindung zu der einstigen Aufführung
ein bißchen daraufhin besah, was sich denn an
bei Brahm schuf Frau Triesch, schon damals
Seelischem der Zeit wie der Menschen in ihr
Frau Hofreiter. Und an ihr erlebte man den
arkellte und enthüllte. Die einzelnen Gestalten
Wandel des übrigen am deutlichsten. Denn sie
derf Komödie und ihr Geschick hat für uns kein
war so fein und diskret geblieben wie damals,
gedämpft und noch im Theatralischen ganz zurück¬
Interesse mehr. Staub liegt dick auf diesem
haltend
Hin= und Herlieben dieser Menschen, von denen
— und stand damit ziemlich fremd und
einsam neben den andern. Friedrich Hofreiter
keiner aus dem Lebendigen herausgestaltet ist,
sondern lediglich von Gnaden einer verschollenen
war Herr Korff. Sehr geschickt, etwas zu sehr
Literatur lebt. Die Geschichte von Herrn Hofreiter
auf Worte ohne Substanz gestellt — vielleicht
auch ein bißchen zu sehr auf den Fabrikanten,
und seiner Frau, die einander so fremd sind und
den Tatmenschen: Hofreiter ist immerhin auf dem ##
doch zusammengehören: er, der berühmte Schnitz¬
Umweg über Schnitzler mit dem Toren Hoff¬
lersche Vierziger greift nach allem Weiblichen, das
mannsthals entfernt verwandt. Der Dr. Mauer,
in seine Nähe kommt, sie geht leidend neben ihm,
der moralische Räsonneur ohne Räsonnement,
bis sie schließlich dem jungen Fähnrich in die Arme
einst Herr Marr, war Herr Josef Klein, in der#
fällt, den nun der Mann der freien Redensarten
Marke Schnitzlers; der Doktor v. Aigner, den
schleunigst über den Haufen knallt
diese
damals Reicher machte, sprach Ferdinand Bonn.##
Geschichte, auf die wir, jung und dumm, einst
Den tragischen Fähnrich machte Herr Alexander,
hereinfielen, ist für uns ferne Historie, aus einer
seine Mutter war Frau Sandrock. Forests Rolle
Welt, deren Rhythmus verschollen und meilenfern
des Albertus Bohn hatte Herr Falkenstein be¬
hinter uns liegt. Wenn man sich aber an die
kommen.
Erstaufführung bei Brohm erinnerte
damals
erlebte man etwas, was sich unter anterzogen, Der Veifall war zunächst ziemlich matt; erst
nach dem vierten und fünften Akt wurde das
Publikum lebendiger und klatschte die Schau¬
spieler immer wieder heraus.
Dem Beleuchtungsmann soll man noch ein
paar Proben gewähren: das prompte Dunkel¬
werden im ersten Akt, bevor Hofreiter den Brief
lesen will, wirkt genau so komisch wie das
stimmungsvolle Alpenglühen im dritten eine
Minute vor dem Andrehen des Kronleuchters.
Fechter.