box 29/5
24. Das seite-Land
Dr. Maz Goldschmidt
Burcau für Zeitungsausschnitte
BERLIN N. 4
Telefon: Norden 5051.
Ausschnitt aus:
Berliner Tageblalt
1 U NEV. 13Z5
W
Schnitzler „Das weite Land.“
Lessing-Theater.
Also dieses Haus ist von Brahm auf die Rotters gekommen. Die
gloria mundi liebt den Transitverkehr.
In jedem Fall soll ohne Vorurteil gerichtet werden. Der erste
Abend brachte nur die Wiederaufnahme einer Wiederaufnahme.
Wenig Regie. Bekannte Schauspieler beherrschten die Bühne. Das
K.
Publikum beherrschte sich.
Schnitzler: „Das weite Land.
Lessingtheater.
S
Ist das ein Gesellschaftsstück? Ist das ein Seelenstück?
ist ein Anklagestück — wider die weichen Kreaturen einer Stadt:
SWien.
Wo das Gratten vom Liebsein umschlampt wird. Wo man Tod¬
feindschaft überzuckerlt. Wo der Mörder zu den Angehörigen „Küß
die Hand“ sagt.
Es ist in diesem Schauspiel ein Gipfel, wenn der Industrielle
S
4
Friedvich Hofreiter (ohne inneres Bedürfnis) jemand erschossen hat,
5
den seine Frau (ohne inneres Bedürfnis) zum Liebhaber nahm, —
und wenn er mit der noch unwissenden Mutter des Erschossenen
verbindlich=feig plauscht.
III.
Menschen ohne Widerstand balzen über Kreuz. Wollen, was sie
" nicht dürfen. Tun, was sie gar nicht wollen.
Sie lieben ohne Treue; sind untreu ohne Liebe; sündigen ohne
Not; rächen sich ohne Zorn; töten ohne Groll; sind eitel ohne Größe;
Ich finde
liebenswert ohne Verlaß; freundlich ohne Gewissen
*
kein besseres Wort: als daß ein Donau=Europäer am Werk ist.
I.
Etwas auseinander geht es. Kanehl, Spielwart, läßt im Ge¬
spräch Sandstrecken zu. Zwischendurch haben die Darsteller jene
schlampige Freiheit, wovor dem Dichter graut. Jedoch als Dar¬
steller.
—
Namen tummeln sich. Die Triesch ist wertvoll bei gezügeltem
Antlitz (aber nicht lachen; auch nicht im Schmerz). Der Korff ist, nal
—
der Korff. Aus einem Guß im Feschen. Liebenswert noch als
Schaufenstermensch; doch nicht, wenn er aus Eignem schaufenstert.
F. Bonn spielt mit, ohne mitzuspielen. Welcher Augenblick, wenn
S
(der) Bonn und (der) Korff selbander an einem Tisch mimen.
8
Die Sandrock dehnt und tränt. Erinnerung fliegt zur Bertens.
Der kostbare Falkenstein ist kein Dichter aus Donauland.
Noch ein puar Namen. Schroth kennzeichnet sicher. Josef Klein
— sehr anständig. Dem treuherzigen Aufsageton der Schauspielerin
Ellen Tietz gesellt sich ein haftend=saugender Blick.
Vergaß ich etwa Limburg, Schneider=Nissen, Alexanders Das
— wäre.
76
VI.
Die Rotters haben dies Haus. Schon andre Zuhörer drin, als es
gesehn. Brahm ist entsetzlich lange tot.
An den ausgemieteten Barnowsky einen Gruß. Und ein Dichter¬
wort: „Gefallen ist der bess’re Mann.
(Dies alles ohne Feierlichkeit mit einem Lächeln gesagt.)
Alfred Kerr.
24. Das seite-Land
Dr. Maz Goldschmidt
Burcau für Zeitungsausschnitte
BERLIN N. 4
Telefon: Norden 5051.
Ausschnitt aus:
Berliner Tageblalt
1 U NEV. 13Z5
W
Schnitzler „Das weite Land.“
Lessing-Theater.
Also dieses Haus ist von Brahm auf die Rotters gekommen. Die
gloria mundi liebt den Transitverkehr.
In jedem Fall soll ohne Vorurteil gerichtet werden. Der erste
Abend brachte nur die Wiederaufnahme einer Wiederaufnahme.
Wenig Regie. Bekannte Schauspieler beherrschten die Bühne. Das
K.
Publikum beherrschte sich.
Schnitzler: „Das weite Land.
Lessingtheater.
S
Ist das ein Gesellschaftsstück? Ist das ein Seelenstück?
ist ein Anklagestück — wider die weichen Kreaturen einer Stadt:
SWien.
Wo das Gratten vom Liebsein umschlampt wird. Wo man Tod¬
feindschaft überzuckerlt. Wo der Mörder zu den Angehörigen „Küß
die Hand“ sagt.
Es ist in diesem Schauspiel ein Gipfel, wenn der Industrielle
S
4
Friedvich Hofreiter (ohne inneres Bedürfnis) jemand erschossen hat,
5
den seine Frau (ohne inneres Bedürfnis) zum Liebhaber nahm, —
und wenn er mit der noch unwissenden Mutter des Erschossenen
verbindlich=feig plauscht.
III.
Menschen ohne Widerstand balzen über Kreuz. Wollen, was sie
" nicht dürfen. Tun, was sie gar nicht wollen.
Sie lieben ohne Treue; sind untreu ohne Liebe; sündigen ohne
Not; rächen sich ohne Zorn; töten ohne Groll; sind eitel ohne Größe;
Ich finde
liebenswert ohne Verlaß; freundlich ohne Gewissen
*
kein besseres Wort: als daß ein Donau=Europäer am Werk ist.
I.
Etwas auseinander geht es. Kanehl, Spielwart, läßt im Ge¬
spräch Sandstrecken zu. Zwischendurch haben die Darsteller jene
schlampige Freiheit, wovor dem Dichter graut. Jedoch als Dar¬
steller.
—
Namen tummeln sich. Die Triesch ist wertvoll bei gezügeltem
Antlitz (aber nicht lachen; auch nicht im Schmerz). Der Korff ist, nal
—
der Korff. Aus einem Guß im Feschen. Liebenswert noch als
Schaufenstermensch; doch nicht, wenn er aus Eignem schaufenstert.
F. Bonn spielt mit, ohne mitzuspielen. Welcher Augenblick, wenn
S
(der) Bonn und (der) Korff selbander an einem Tisch mimen.
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Die Sandrock dehnt und tränt. Erinnerung fliegt zur Bertens.
Der kostbare Falkenstein ist kein Dichter aus Donauland.
Noch ein puar Namen. Schroth kennzeichnet sicher. Josef Klein
— sehr anständig. Dem treuherzigen Aufsageton der Schauspielerin
Ellen Tietz gesellt sich ein haftend=saugender Blick.
Vergaß ich etwa Limburg, Schneider=Nissen, Alexanders Das
— wäre.
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VI.
Die Rotters haben dies Haus. Schon andre Zuhörer drin, als es
gesehn. Brahm ist entsetzlich lange tot.
An den ausgemieteten Barnowsky einen Gruß. Und ein Dichter¬
wort: „Gefallen ist der bess’re Mann.
(Dies alles ohne Feierlichkeit mit einem Lächeln gesagt.)
Alfred Kerr.