II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 707

24. Das ie dieete e e e ee e e
Dr. Man Goldschmiet
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BERLIN N 4
Ausschnitt aus:
Die Zeit, Berlin
1. Dez. 1920
Rotters im Lessingtheater.
Die viel umstrittenen Gebrüber Rotter haben
jetzt ihren Einzug auch im „Lessingtheater“ ge¬
halten, womit sie sich das vierte Berliner Schau¬
spieltheater einterleibten.
Mit der Eröffnungsvorstellung machten sie es
sich nicht gerade schwer. Sie verlegten einfach
ihre Aufführung von Schnitzlers Tragi¬
komödie „Das weite Land“ aus ihrem Resi¬
denztheater in ihr Lessingtheater. Was dort gut
war, wird hier nicht schlecht sein. So zeigten sie
im „literarischen“ Lessingtheater, daß sie auch schon
im Residenztheater hatten „literarisch“ sein kön¬
nen, wenn sie wollten, was noch von niemandem
bestritten worden ist.
Sie boten Irene Triesch, Arnold Korff,
Heinrich Schroth, Josef Klein und andere
auf. Das sind so gute und bühnenkundige Schau¬
spieler, daß sie wohl auch ohne jeden Direktor und
Regisseur eine anständige Schnitzleraufführung
zustande brächten. Für die künstlerischen Quali¬
täten der Brüder Rotter und ihres Regisseurs
Oskar Kanehl beweist also eine solche Aufführung
wirklich nicht viel.
Der Fabrikant Hofreiter, dieser österreichische
Industriekapitän, der sich vor allem durch seine
unzerstörbare Vorliebe für das weibliche Geschlecht
und durch alle Zeit gut abgerundete Manieren
nach erzherzoglichen Vorbildern von den Industrie¬
kapitänen anderer Länder unterscheidet, ist eine
der besten, wienerischsten Leistungen Korffs, seit¬
dem er die allererste Jugend hinter sich gebracht
hat. Irene Triesch ist immer noch eine er¬
greifend seelenvolle Genia, in die sich wohl immer
noch ein so hübscher junger Bursch und Marine¬
fähnrich wie Georg Alexander verlieben kann,
wenn Adele Sandrock als seine Mama nachgerade
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auch nicht mehr sehr überzeugend wirkt, deren ge¬
schiedener Mann (Ferdinand Bonn) auch nicht gut
eine große Zukunft noch ror sich haben kann. Und
bei allem Respekt vor Olga Limburg und Julius
Falkenstein, der genius loci im „Kleinen Theater“
ist ihnen günstiger als im „Lessingtheater“.
1911 erschien diese Tragikomödie aus der Wie¬
ner Gesellschaft, gesehen durch das Auge eines
psychologisch gar hellsichtigen Schriftstellers, der
bei dieser Krankheitsgeschichte als gelernter Arzt
keine Mienen verzieht, so weh es ihm dabei auch
ums Herz sein mag. Von der Liebe ist nur die
Erotik übrig geblieben, und die Erotik ist zu
einem mehr oder weniger angenehmen Gesell¬
schaftsspiel geworden, in das auch Genia schlie߬
lich hineingezogen wird, was bei dem Zuschauer
immer noch wie ein besonders schmerzhafter, fast
unerträglicher Griff an sein Herz wirkt. Mehr
tragisch als tragikomisch. Hier spricht Schnitzler
einer Gesellschaftsschicht das Urteil, die ihrer Ver¬
nichtung nahe ist, ohne es 1911 selbst zu ahnen,
Wie sie es einst auch 1790 nicht geahnt hat.
Kurt Aram.

Pr. Mas O.
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Aussehnitt aus: Feut Hrittaer 10 gg.-Pig,
1
7.Dez. 1925
„Das weite Land“.
Erstaufführung im Leisingtheater.
Soviel steht nach der Premiere der Rötters:
im Lessing=Theater (Sonnabend, Schnitz¬
ler: „Das weite Land“) fest: Herrn Bar¬
nowsky braucht man keine Träne nachzuweinen.
Die Regie des Herrn Oskar Kanehl, das ganze
künstlerische Prinzip dieser Aufführung standen
zwar nicht über dem Niveau des bisherigen
Lessing=Theaters, aber es war mehr Anständigkeit,
mehr Anspruchslosigkeit darin und der Verzicht auf
die Barnowskyschen Charlatanerien. Eine Arbeit,
die zwar keine weiten Ausblicke eröffnet — Dar¬
steller, deren Entwicklung schon gewesen ist, ein
Stück, das auch nicht gerade Neuland bedeutet —,
das aber das Lob der Sauberkeit und Gewissen¬
haftigkeit verdient.
Schnitier, sein Tempo, seine Lebensauffassung,
seine Form stehen im Widerspruch zu dem, was
man das heutige Theater nennt. Aber es ließe
sich über diesen Widerspruch allerlei sagen, was
nicht zum Vorteil des heutigen Theaters wäre.
Auch „Das weite Land“ hat die Lässigkeit und
Mepsis des Lebensgedanken, das scheinbare Zer¬
fallen der Form — das „Ungsballte“, wie man
heute sagt. Aber es hat immerhin eine innere
Einheit, die moderne Dramen seltener haben.
Gedanke und Form sind eins. Der ironischen und
resignierten Liberalität der Ethik entspricht, wie
es gestaltet und entspricht eine liberake, scheinbar
lockere Dramaturgie. Die Zeit heute, die so heftige
Forderungen der Knappheit, der Konzentriertheit,
der Afkese im Formalen aufstellt, ist im Sittlichen
so kibertin, wie je eine. Das verdächtigt die Form¬
wünsche zuweilen als Krampf. Die echte Form
ist vom Inhalt nicht zu trennen. Foren ist Ethik,
Form ist Moral, die Form ist der Mensch selbst,
die Zeit selbst. „Die Liebe ist ein weites Land.,
sagt eine Gestalt in dieser Tragikomödie aus dem
Jahre 1901. Sie hat geduldige Grenzen, kom¬
plizierte Wege. Die Treue liegt bei der Untreue,
den einen liebt man, dem anderen gibt man sich,
Entfernung und Verrat führen wieder zusammen,
nichts ist einfach, nichts ist Wahrheit, nichts ist
Lüge. Aber über das Tohuwabohu eines Ge¬
schehens, das darin relativistischen Spuk des
Lebens darstellt, leuchten ganz stark und sehr
positiv die warmen Lichter der menschlichen Zu¬
sammengehörigkeiten, bleibt, sehr bejaht, die
Liebe. Und all das scheinbar willkürliche
Schweisende,
Durcheinander der Fonmn, das
Nachgebende der Technik, das Verschwim¬
sich doch
mende und Lockere schließt
sehr präzise zum dramatischen Erlebnis, all
die Ehebrüche und Ehebrüchkein, Dolomiten¬
abenteuer, Selbstmord= und Duellgeschichten,
Albernheiten und Gescheitheiten fügen sich zum
Drama einer Ehe, das ein Drama von großer
Allgemeingültigkeit ist. Mancherlei ist langammig,
manches weise Wort steht allzu selbstgefällig da
aber das Uebrige, das große Ganze, dieser
warme, immer zeitgemäße Lebensstoff, die immer
aktuelle dramatische Materie wäre durch Schau¬
spieler von jungem Leben und eine ins Zentrum
treibende, fest zugreifende Spielleitung zweifellos
gegen die Ablehnung auch des jüngsten Emp¬
findens sicherzustellen.
Soweit gelangt man im Lessingtheater freilich
nicht. Da kommt eine fleißige und tadellose Nach¬