II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 708

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24. DasLand
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so kibertin, wie je eine. Das verdächtigt die Form¬
wünsche zuweilen als Krampf. Die echte Form
ist vom Inhalt nicht zu trennen. Form ist Ethik,
Form ist Moral, die Form ist der Mensch selbst,
die Zeit selbst. „Die Liebe ist ein weiles Land.,
sagt eine Gestalt in dieser Tragikomödie aus dem
Jahre 1901. Sie hat geduldige Grenzen, kom¬
plizierte Wege. Die Treue liegt bei der Untreue,
den einen liebt man, dem anderen gibt man sich,
Enifernung und Verrat führen wieder zusannnen,
nichts ist einfach, nichts ist Wahrheit, nichte ist
Lüge. Aber über das Tohuwabohn eines Ge¬
schehens, das darin relativistischen Spuk des
Lebens darstellt, leuchten ganz stark und sehr
positiv die warmen Lichter der menschlichen Zu¬
sammengehörigkeiten, bleibt, sehr bejaht, die
Liebe. Und all das scheinbar willkürliche
Schweisende,
Durcheinander der Form, das
Nachgebende der Technik, das Verschwim¬
mende und Lockere schließt sich doch
sehr präzise zum dramatischen Erlebnis, all
die Ehebrüche und Ehebrüchkein, Dolomiten¬
abenteuer, Selbstmord= und Duellgeschichten,
Albernheiten und Gescheitheiten fügen sich zum
Drama einer Ehe, das ein Drama von großer
Allgemeingültigkeit ist. Mancherlei ist langatmig,
manches weise Wort steht allzu selbstgefällig da
— aber das Uebrige, das große Ganze, dieser
warme, immer zeitgemäße Lebensstoff, die immer
aktuelle dramatische Materie wäre durch Schau¬
spieler von jungem Leben und eine ins Zentrum
treibende, fest zugreifende Spielleitung zweifellos
gegen die Ablehnung auch des jüngsten Emp¬
findens sicherzustellen.
Soweit gelangt man im Lessingtheater freilich
nicht. Da kommt eine fleißige und tadellose Nach¬
bildung, eine mittelgute Aufführung von vor
fünfzehn Jahren zustande. Der Theaterzeitel
blendet förmlich durch ruhmvolle Namen — auch
von vor fünfzehn Jahren. Die Ehe im Mittel¬
punkt: Arnold Korff und Irene Triesch.
Korff wienerisch und geschmeidig, lebenslustig und
zweifelnd zugleich, mit einem hübschen Elan des
Frauenbesiegers, glaubhaft der über Gräbern
Tennis spielende Millionär — mit den ergrauten
Schläfen, der Riesenfabriken baut und schönen
Frauen nachjagt, indußtrielle Amerikareisen macht
und sich mit dummen Jungen schießt. Aber den
schönen Unterton dieser Gestalt, der ihr Eigent¬
licher ist, einen weichen traurigen Ernst jenseit
von Spiel und Abenteuer, den bleibt er schuldig,
macht er zu einer isolierten Pose. Die Triesch
hat nichts Leichtes, nichts Oesterreichisches, nichts,
was sich auf den Ton dieses lächelnden Stückes
stimmen ließe. Ihr Menschentum koimt un¬
widerruflich aus den Regionen der Hedda Gabler,
sie hat keinen Schmerz, kein Lächeln und keinen
Blick, die nicht bleischwer und tiefdeutig in eine
Welt skandinavischer Symbolen wiesen. Adele
Sandrock und Ferdinand Bonn vertreten nie
im Stück ihre Gestalten, so als Darsteller würdig
die älteste lebende Generation; die Sandrock
immer ein Denkmal jener beinahe heiligen Art,
Theater zu spielen, die man läugst abgelegt hat.
Ansonsten belebter Georg Alexander, Olga
Limburg, Ellen Tietz, graziös die kreuzenden
Pfade im weiten Land der Liebe. Josef Klein,
Heinrich Schroth, Gisela Schneider¬
Nissen und Julius Falkenstein spielten
gute Episoden auf der Passivseite der großen
Liebesgeschichte.
Alles in allem: ein Auftakt, für den das
Lessingtheater nicht unbedingt erobert werden
mußte — der aber auch die Erregung, mit der
man Barnowskys sogenannte Tradition gegen
diese Nachfolger schützen wollte, nicht rechtsertigt.
Walter Steinthal,
S