24. Das ueite-Land
box 29/5
„Das weite Land“ im Lessing=Theater.
S
40
2
2
2
—
%8
S
S 0
AS
31
—
.—
#¬
□
Arnold Korff, Olga Limburg, Adele Sandrock, Ferdinand Vonn und Irene Triesch.
Der Zuschauer verspürt nicht das mindeste Verlangen, hinter die
Schnitzlers Tragikomödie: „Das weile Land“.
Konstruktion und das Geheinenis so verzwickter Vorgänge zu dringen
Von
Die tragische Geste steht Schnitzler nicht. Er sprüht und funkelt,
so lange er den Komödienton wahrt und Liebeln und Flirten mit
Felir Hollgender.
Ironie betrachtet. Darum sind sein Anatol und sein Reigen Meister¬
Nun haben die Brüder Rotter mit Schnitzlers Tragi¬
werke, und seine Tragödien schon im Keime vom Tode gezeichnet.
komödie endlich das Lessing=Theater eröffnen dürfen. Sie konnten
Die Hauptfiguren spielen Irene Triesch und Arnold
einem schon ein bißchen leid tun. Der Weg war ihnen mit Dornen 1
Korff, mit einer Virtuosität, die bereits etwas Mechanisiertes hat.
gepflastert worden. Besonders hilfreich hatten die engeren Kol¬
legen sich ihrer angenommen. Nichts geht über die Solidarität!
Den Tonfall eines Dialogs treffen sie mit unfehlbarem Instinkt.
Wir wollen die künstlerischen und geschäftlichen Fragen hübsch
Wie sie ein Satzgebilde auflösen — mitten im Satze stocken, dazu
voneinander trennen — uns lediglich an die Leistung halten.
gehört ein nicht alltägliches Raffinement.
Aber während Herr Korff, dem es an jeder Wärme und Inner¬
Mit einem Aufgebot erster Darsteller erreichte der Spielleiter,
Herr Kanehl, eine Aufführung, die aus dem Rahmen der Tradi¬
lichkeit gebricht, im Pathos und Affekt seine Dürftigkeit enthüllt.
tion nicht herausfiel Ein besonderes Kunststück war es in diesem
vermag Frau Triesch den Jammer des Herzens bis zum seelischen
Falle nicht. Denn das innere und äußere Bild der Komödie ist
Erlebnis zu steigern. Sie hat die Züge einer mater dolorosa,
fixiert — ihr seelischer Inhalt ausgeschöpft — sofern von einem
und in der Stimme den wehen Klang, der aus einem zerrissenen
solchen überhaupt die Rede sein kann.
Menschen tönt. Darüber vergißt man, daß sie eigentlich das Fach
Vor fühfzehn Jahren hat Schnitzler sein Werk geschrieben. Unter¬
wechseln, das Reich der Mütter suchen sollte. Jetzt ist Frau Alving
an der Reihe.
sucht man es heute auf Herz und Nieren, so erschrickt man vor dem
Befund.
Klar, kühl, blond, äußerst beherrscht steht innerhalb der Ko¬
Ohne dieses Oesterreichers literarische Sendung herabsetzen —
mödie die jungen Ellen Tietz. Wie weit es bei ihr reicht, ist aus
seine Grazie und sein Formgefühl schmälern zu wollen — ich vermag
ihrer Rolle nicht ersichtlich. Sie hat Haltung, und ein Hauch des
mich eines Lächelns nicht zu erwehren, wenn er seelische Abgründe,
Persönlichen geht von ihr aus.
menschliche Irrungen und Wirrungen aufzudecken versucht.
Ferdinand Bonns schauspielerische Intelligenz und
Er hat den Sitz des Herzens in den Uterus verlegt. Er wird
Ueberlegenheit, seinen Takt und seine Diskretion spürt man in der
feierlich, tiefsinnig, wenn er die Konsequenzen nächtlicher Freuden
kleinsten Rolle. Und Herrn Falkensteins unwiderstehliche
zieht.
vis comica macht sich noch geltend, sobald er mit aufgestülpter
Die Seele ist ein weites Land, sagt zur Erklärung des Titels
Nase in den leeren Raum starrt, oder mit tiefem Ernst ein
einer seiner Ehebruchshelden. Bei Schnitzler wird sie zu einem
Zeitungsblatt überfliegt.
ach so engen Bezirk, der durchmessen ist, kaum, nachdem man ihn
In kleineren Aufgaben wirken die Herren Georg
betreten hat.
Alexander, Heinrich Schroth und Josef Klein durch
Alles dreht sich bei ihm um sexuelle Erregungen, um ein Liebeln
Selbstverständlichkeit ihres Konversationstons.
Frau
ohne Leidenschaft.
Schneider=Nissen ist von belustigender Schwatzhaftigkeit.
Eine gähnende Leere tut sich auf. Gefühle und Gefühlchen werden
und Frau Limburg zeichnet eine Dame, für die heliche
zerredet und zermanscht. Ueber innere Armut soll ein geistreicher
Treue ein lächerlicher Begriff ist, mit sicherer Routine. Um
Dialog, sollen seingeschliffene Epigramme hinwegtäuschen.
Nlemanden zu vergessen, seien noch die Herren Westerholdt,
Es strömt aus dem Hirn — nicht aus dem Herzen. Deshalb
Labatt und Hardt erwähnt.
die Füllsel, deshalb die vielen toten Stellen.
Das Außerordentliche des Abends — sein Kostbares und Ueber¬
Oesterreichische Melancholie mit einem Unterton Ibsenscher
ragendes gibt Adele Sandrock. Die Entwicklung dieser Frau
Grundstimmung verhilft dieses Dichters Geschöpfen zu einem kurz¬
gehört zu den Wundern der Schauspielkunst. Wenn ihre Stimme
fristigen Dasein. Peinlich, seinen tragischen Gestalken nach kaum
plötzlich bricht — und sie die letzten Worte eines Satzes nicht mehr
einem halben Menschenalter den Totenschein ausstellen zu müssen.
auszusprechen vermag — wenn ihre Züge Würde und Schmerz¬
Aber was geht mich schließlich der Uebermensch aus der Westen¬
haftigkeit in letzter Noblesse und Wahrhaftigkeit widerspiegeln, ist
tasche an den er zum Helden seines Spiels macht.
der Zuschauer aufgerührt und erschüttert. Herr Kanehl, der
Dieser Unhold und Schürzenjäger ist das eine Mal tief verstimmt
eine saubere Aufführung zuwege gebracht hat, beherrscht, noch nicht
über die alberne Treue seiner Gattin, die ihren Anbeter in den
die Klaviatur des Beleuchtungsapparats. Vor himbeerroten Sonnen¬
Selbstmord treibt. Das zweite Mal erbost er sich über ihre Treu¬
untergängen, diesem Kitsch von vorvorgestern, wird er dringend
gewarnt.
losigkeit, obwohl er sie selbst dringend um einen kleinen Fehltritt er¬
Das Publikum quittierte mit wohltemperiertem Beifall.
sucht hat. Er schießt den armen, kleinen Fähnrich mausetot.
box 29/5
„Das weite Land“ im Lessing=Theater.
S
40
2
2
2
—
%8
S
S 0
AS
31
—
.—
#¬
□
Arnold Korff, Olga Limburg, Adele Sandrock, Ferdinand Vonn und Irene Triesch.
Der Zuschauer verspürt nicht das mindeste Verlangen, hinter die
Schnitzlers Tragikomödie: „Das weile Land“.
Konstruktion und das Geheinenis so verzwickter Vorgänge zu dringen
Von
Die tragische Geste steht Schnitzler nicht. Er sprüht und funkelt,
so lange er den Komödienton wahrt und Liebeln und Flirten mit
Felir Hollgender.
Ironie betrachtet. Darum sind sein Anatol und sein Reigen Meister¬
Nun haben die Brüder Rotter mit Schnitzlers Tragi¬
werke, und seine Tragödien schon im Keime vom Tode gezeichnet.
komödie endlich das Lessing=Theater eröffnen dürfen. Sie konnten
Die Hauptfiguren spielen Irene Triesch und Arnold
einem schon ein bißchen leid tun. Der Weg war ihnen mit Dornen 1
Korff, mit einer Virtuosität, die bereits etwas Mechanisiertes hat.
gepflastert worden. Besonders hilfreich hatten die engeren Kol¬
legen sich ihrer angenommen. Nichts geht über die Solidarität!
Den Tonfall eines Dialogs treffen sie mit unfehlbarem Instinkt.
Wir wollen die künstlerischen und geschäftlichen Fragen hübsch
Wie sie ein Satzgebilde auflösen — mitten im Satze stocken, dazu
voneinander trennen — uns lediglich an die Leistung halten.
gehört ein nicht alltägliches Raffinement.
Aber während Herr Korff, dem es an jeder Wärme und Inner¬
Mit einem Aufgebot erster Darsteller erreichte der Spielleiter,
Herr Kanehl, eine Aufführung, die aus dem Rahmen der Tradi¬
lichkeit gebricht, im Pathos und Affekt seine Dürftigkeit enthüllt.
tion nicht herausfiel Ein besonderes Kunststück war es in diesem
vermag Frau Triesch den Jammer des Herzens bis zum seelischen
Falle nicht. Denn das innere und äußere Bild der Komödie ist
Erlebnis zu steigern. Sie hat die Züge einer mater dolorosa,
fixiert — ihr seelischer Inhalt ausgeschöpft — sofern von einem
und in der Stimme den wehen Klang, der aus einem zerrissenen
solchen überhaupt die Rede sein kann.
Menschen tönt. Darüber vergißt man, daß sie eigentlich das Fach
Vor fühfzehn Jahren hat Schnitzler sein Werk geschrieben. Unter¬
wechseln, das Reich der Mütter suchen sollte. Jetzt ist Frau Alving
an der Reihe.
sucht man es heute auf Herz und Nieren, so erschrickt man vor dem
Befund.
Klar, kühl, blond, äußerst beherrscht steht innerhalb der Ko¬
Ohne dieses Oesterreichers literarische Sendung herabsetzen —
mödie die jungen Ellen Tietz. Wie weit es bei ihr reicht, ist aus
seine Grazie und sein Formgefühl schmälern zu wollen — ich vermag
ihrer Rolle nicht ersichtlich. Sie hat Haltung, und ein Hauch des
mich eines Lächelns nicht zu erwehren, wenn er seelische Abgründe,
Persönlichen geht von ihr aus.
menschliche Irrungen und Wirrungen aufzudecken versucht.
Ferdinand Bonns schauspielerische Intelligenz und
Er hat den Sitz des Herzens in den Uterus verlegt. Er wird
Ueberlegenheit, seinen Takt und seine Diskretion spürt man in der
feierlich, tiefsinnig, wenn er die Konsequenzen nächtlicher Freuden
kleinsten Rolle. Und Herrn Falkensteins unwiderstehliche
zieht.
vis comica macht sich noch geltend, sobald er mit aufgestülpter
Die Seele ist ein weites Land, sagt zur Erklärung des Titels
Nase in den leeren Raum starrt, oder mit tiefem Ernst ein
einer seiner Ehebruchshelden. Bei Schnitzler wird sie zu einem
Zeitungsblatt überfliegt.
ach so engen Bezirk, der durchmessen ist, kaum, nachdem man ihn
In kleineren Aufgaben wirken die Herren Georg
betreten hat.
Alexander, Heinrich Schroth und Josef Klein durch
Alles dreht sich bei ihm um sexuelle Erregungen, um ein Liebeln
Selbstverständlichkeit ihres Konversationstons.
Frau
ohne Leidenschaft.
Schneider=Nissen ist von belustigender Schwatzhaftigkeit.
Eine gähnende Leere tut sich auf. Gefühle und Gefühlchen werden
und Frau Limburg zeichnet eine Dame, für die heliche
zerredet und zermanscht. Ueber innere Armut soll ein geistreicher
Treue ein lächerlicher Begriff ist, mit sicherer Routine. Um
Dialog, sollen seingeschliffene Epigramme hinwegtäuschen.
Nlemanden zu vergessen, seien noch die Herren Westerholdt,
Es strömt aus dem Hirn — nicht aus dem Herzen. Deshalb
Labatt und Hardt erwähnt.
die Füllsel, deshalb die vielen toten Stellen.
Das Außerordentliche des Abends — sein Kostbares und Ueber¬
Oesterreichische Melancholie mit einem Unterton Ibsenscher
ragendes gibt Adele Sandrock. Die Entwicklung dieser Frau
Grundstimmung verhilft dieses Dichters Geschöpfen zu einem kurz¬
gehört zu den Wundern der Schauspielkunst. Wenn ihre Stimme
fristigen Dasein. Peinlich, seinen tragischen Gestalken nach kaum
plötzlich bricht — und sie die letzten Worte eines Satzes nicht mehr
einem halben Menschenalter den Totenschein ausstellen zu müssen.
auszusprechen vermag — wenn ihre Züge Würde und Schmerz¬
Aber was geht mich schließlich der Uebermensch aus der Westen¬
haftigkeit in letzter Noblesse und Wahrhaftigkeit widerspiegeln, ist
tasche an den er zum Helden seines Spiels macht.
der Zuschauer aufgerührt und erschüttert. Herr Kanehl, der
Dieser Unhold und Schürzenjäger ist das eine Mal tief verstimmt
eine saubere Aufführung zuwege gebracht hat, beherrscht, noch nicht
über die alberne Treue seiner Gattin, die ihren Anbeter in den
die Klaviatur des Beleuchtungsapparats. Vor himbeerroten Sonnen¬
Selbstmord treibt. Das zweite Mal erbost er sich über ihre Treu¬
untergängen, diesem Kitsch von vorvorgestern, wird er dringend
gewarnt.
losigkeit, obwohl er sie selbst dringend um einen kleinen Fehltritt er¬
Das Publikum quittierte mit wohltemperiertem Beifall.
sucht hat. Er schießt den armen, kleinen Fähnrich mausetot.