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box 29/5
Böltischer Beebachter, München
2 8. ADr. 4024
Münchner Schauspielbaus
Erstaufführung: Das weite Land.
Diese fünfaktige Tragikomödie aus der Feder
des Seniors der Wiener Literaturhebräer, Ar¬
thur Schnitzler, hat einen Titel, der zu dem
Inhalt ungefähr so paßt wie eine edle Rhein¬
weinmarke zu einem Rachenputzer. Was denkt
man sich alles unter weitem Land, und was
geht in dem Schnitzlerschen Stücke vor, das
übrigens schon bald 20 Jahre alt sein wird,
Wir sehen in einem eleganten Dolomitenhotel
eine sogenannte vornehme Gesellschaft aus der
Wiener Umwelt, die tagsüber Tennis svielt,
wenn sie nicht faulenzt oder Bergpartien
macht, hauptsächlich aber flirtet, und des
Nachts klettern junge Männer aus den Fen¬
stern der Schlafzimmer „unverstandener“ Ehe¬
frauen, deren Männer wieder jungen Mädchen;
Unterricht in der Liebe geben. Damit die Ge¬
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schichte aufregender wird, beginnt sie mit dem
Allgemeine Zeitung, München
gebeimnisvollen Selbstmord eines berühmten
Virtuosen, und schließlich platzt noch ein blutiges
Duell in diese Sommeridylle hinein. Dabei
reden nun alle diese Drohnenexistenzen ein Lan¬
& u Apr 1926
ges und Breites, über ihre ein oder höchstens
zweinächtigen uns fürchterlich gleichgültigen;
Liebesaffären, so daß man diesem im Grunder
genommen höchst langweiligen Zeug, worin
nur im dritten Akte einige lustige Szenen wie
Fettaugen auf einer Bettlersuppe schwimmen,
Von
den
eine viel zutreffendere Benennung geben könnte,
nämlich: Der philosophasternde Kaninchenstall.
Das weite Lano
Forster=Larrinagas Inszenierung war
in einem solchen Andante moderato gehalten,
Tragikomödie von Schnitzler.
daß die aus dem Ganzen gähnende Langeweile.
ihr Maul so klaffend weit aufriß wie ein ver¬
Schauspieshaus.
schlafenes Krokodil den Rachen. Dem genannten
Die Seele des Menschen ist ein „weites Land“.
Schauspieler selbst aber möchten wir dringendst
die Orientierung davin zuwellen etwas schwierig,
besonders, wenn die Wegezeichen darin so ver¬
empfehlen, selbst einmal deutlich sprechen zu!
worren und unklar markiert sind.
krnen und dafür zu sorgen, daß dies auch seine
Daß die Frau eines Industviellen ihren Mann
Kollegen samt und sonders tun. Strecken¬
mit einem Fähnrich zur See betrügt, daß ein
weise verstand man von dem Dialog
junges Gehirn im Liebesaufruhr sich eine Kugel
überhaupt nichts. Aber klar und deut¬
zwischen die Schläfen jagt daß ein alter aus¬
lich reden, ist das Geringste, was man von
gekochter Lebemann um ein junges, schnippisches
einem Schausvieler verlangen kann, sozusagen
Mädchen bettelt, alles das sind noch keine Be¬
das ABC seiner Kunst. Nehmt euch, meine
weise einer besonderen Weite.
Herrschaften, eure beiden Kollegen Otto Fra¬
mer und Hanns Fritz Gerhart zum Vor¬
Die Tragik wird ausschließlich vom Revolver
bild, die die beiden besten Leistungen des
bestritten. Eine schöne Leiche am Anfang und
eine schöne Leiche am Schluß, — beidesmal wegen
Abends boten, und die so sprachen daß man
jede Silbe verstand!
der Liebe. Dazwischen 5 Akte, deren komischer
J. St—g.
Einschlag von einer ganzen Batterie von Tennis¬
schlägern bestritten wird.
Zwischen diesen Tennisschlägern finden Dialoge
tatt, in denen das Thema Liebe in Wehmut
pariiert wird.
Wehmütig klettert das Abendrot über die Berge
der Kulissen.
Das Spiel der Gefühle wird stilvoll eingetaucht
in Resignation. Serous, die Liebe; —
Im weiten Land aber verenden Konflikte, deren
Zwangsmäßigkeit dunkel und ungestaltet
ist.
Manche Gefühle sind ein weites Land, in dem
ganze Dramen hoffnungslos sich verlieren.
Die Konflikte haben keine innere Gesetzmäßig¬
keit. Einige Konfliktsstoffe werden einfach anein¬
andergekettet, um eine Handlung zu erzeugen.
Der Fabrikant Hofreiter hängt zwischen den
Frauen. Er taumelt spielerisch von Inbrunst zu
Inbrunst. Und immer wird das Männliche in
ihm zum Verhängnis für die Konkurrenten der
Liebe.
So sprüht aus seinem spielerischen Ge¬
tändel Unheil.
Das Unheil der Liebe überhaupt? Eine düstere
Bühnen
Atmosphäre wird aus den Abenteuern gebraut.
Es kommt keine Bejahung zum Zuge.
Im weiten Lande laufen viele Irrwege kreuz
und quer.
Der Regie Forster Larrinagas gelang es
nicht völlig, diese Irrwege zu entwirren. Die
Stimmung blieb zerrissen und müde. Das
Komische und Tragische ergänzen sich nicht, son¬
dern schlagen sich oft in der Wirksamkeit. Man¬
ches ist zu kaut, manches zu leise. Aber das liegt
in erster Linie am Thema; — es ist schwer zwi¬
schen die vielen aneinandergeflickten Dialoge
dramatische Effekte einzuschieben.
Forster selbst als Hofreiter war das bin¬
dende, stärkste Element. Das geheimnisvolle
Unbeständige in der männlichen Seele wurde zu
einer selbstverständlichen Natürlichkeit gesteigert.
In Hofreiter wurde der Typ gestaltet, vor dem
gut und böse belanglos ist. Die Erkenntnis des
Verhängnisbringers starrt in unfäglich traurig
ergreifender Maske. Vor dieser Intensität
verblaßte das übrige. Margarethe Anton. —
die passio erlebende Dulderin, Framer, vollen¬
deter Kavalier im Menschlichen, von gewinnender
Beherrschung, — Max Werner Lenz, — jugend¬
licher Lebensphilosoph von zynischer und doch
versöhnlicher Abgeklärtheit, — Katsch, — über¬
legener Bankier, — Schieber im Gefühlsmäßigen,
letzte Erkonntnis vom Gebrauch der Dinge und
Menschen;
Heß,
der verstehende, breite, ruhige Arzt,
leutseliger Erkenner aller Konsticte, Hertha
Hambach, anspruchsvolles, lebenshungriges
Mädchen, ohne zu ahnen, daß sie durch ihr Weib¬
tum Entsetzliches heraufbeschwört.
Lust und Tod, — eng aneinandergekuppelt.
Dumpf verebben die Triede im weiten Land.
Wer weiß noch Ausweg?
Ueberschätzung des Besitzbewußtseins der Liebe!
Der Ruf nach einem Kinde geht schrill durch
die ganze gepflegte Künstlichkeit dieser Gefühls¬
welt.
Die Geschichte einiger trauriger Flirts und ihre
gewaltsame Wandlung ins Schicksathafte!
Im letzten ganz eng: Flirt als einzige Lebens¬
unschiuug und einziger Lebensinhalt.
K. N. Nicolaus.
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Böltischer Beebachter, München
2 8. ADr. 4024
Münchner Schauspielbaus
Erstaufführung: Das weite Land.
Diese fünfaktige Tragikomödie aus der Feder
des Seniors der Wiener Literaturhebräer, Ar¬
thur Schnitzler, hat einen Titel, der zu dem
Inhalt ungefähr so paßt wie eine edle Rhein¬
weinmarke zu einem Rachenputzer. Was denkt
man sich alles unter weitem Land, und was
geht in dem Schnitzlerschen Stücke vor, das
übrigens schon bald 20 Jahre alt sein wird,
Wir sehen in einem eleganten Dolomitenhotel
eine sogenannte vornehme Gesellschaft aus der
Wiener Umwelt, die tagsüber Tennis svielt,
wenn sie nicht faulenzt oder Bergpartien
macht, hauptsächlich aber flirtet, und des
Nachts klettern junge Männer aus den Fen¬
stern der Schlafzimmer „unverstandener“ Ehe¬
frauen, deren Männer wieder jungen Mädchen;
Unterricht in der Liebe geben. Damit die Ge¬
—
schichte aufregender wird, beginnt sie mit dem
Allgemeine Zeitung, München
gebeimnisvollen Selbstmord eines berühmten
Virtuosen, und schließlich platzt noch ein blutiges
Duell in diese Sommeridylle hinein. Dabei
reden nun alle diese Drohnenexistenzen ein Lan¬
& u Apr 1926
ges und Breites, über ihre ein oder höchstens
zweinächtigen uns fürchterlich gleichgültigen;
Liebesaffären, so daß man diesem im Grunder
genommen höchst langweiligen Zeug, worin
nur im dritten Akte einige lustige Szenen wie
Fettaugen auf einer Bettlersuppe schwimmen,
Von
den
eine viel zutreffendere Benennung geben könnte,
nämlich: Der philosophasternde Kaninchenstall.
Das weite Lano
Forster=Larrinagas Inszenierung war
in einem solchen Andante moderato gehalten,
Tragikomödie von Schnitzler.
daß die aus dem Ganzen gähnende Langeweile.
ihr Maul so klaffend weit aufriß wie ein ver¬
Schauspieshaus.
schlafenes Krokodil den Rachen. Dem genannten
Die Seele des Menschen ist ein „weites Land“.
Schauspieler selbst aber möchten wir dringendst
die Orientierung davin zuwellen etwas schwierig,
besonders, wenn die Wegezeichen darin so ver¬
empfehlen, selbst einmal deutlich sprechen zu!
worren und unklar markiert sind.
krnen und dafür zu sorgen, daß dies auch seine
Daß die Frau eines Industviellen ihren Mann
Kollegen samt und sonders tun. Strecken¬
mit einem Fähnrich zur See betrügt, daß ein
weise verstand man von dem Dialog
junges Gehirn im Liebesaufruhr sich eine Kugel
überhaupt nichts. Aber klar und deut¬
zwischen die Schläfen jagt daß ein alter aus¬
lich reden, ist das Geringste, was man von
gekochter Lebemann um ein junges, schnippisches
einem Schausvieler verlangen kann, sozusagen
Mädchen bettelt, alles das sind noch keine Be¬
das ABC seiner Kunst. Nehmt euch, meine
weise einer besonderen Weite.
Herrschaften, eure beiden Kollegen Otto Fra¬
mer und Hanns Fritz Gerhart zum Vor¬
Die Tragik wird ausschließlich vom Revolver
bild, die die beiden besten Leistungen des
bestritten. Eine schöne Leiche am Anfang und
eine schöne Leiche am Schluß, — beidesmal wegen
Abends boten, und die so sprachen daß man
jede Silbe verstand!
der Liebe. Dazwischen 5 Akte, deren komischer
J. St—g.
Einschlag von einer ganzen Batterie von Tennis¬
schlägern bestritten wird.
Zwischen diesen Tennisschlägern finden Dialoge
tatt, in denen das Thema Liebe in Wehmut
pariiert wird.
Wehmütig klettert das Abendrot über die Berge
der Kulissen.
Das Spiel der Gefühle wird stilvoll eingetaucht
in Resignation. Serous, die Liebe; —
Im weiten Land aber verenden Konflikte, deren
Zwangsmäßigkeit dunkel und ungestaltet
ist.
Manche Gefühle sind ein weites Land, in dem
ganze Dramen hoffnungslos sich verlieren.
Die Konflikte haben keine innere Gesetzmäßig¬
keit. Einige Konfliktsstoffe werden einfach anein¬
andergekettet, um eine Handlung zu erzeugen.
Der Fabrikant Hofreiter hängt zwischen den
Frauen. Er taumelt spielerisch von Inbrunst zu
Inbrunst. Und immer wird das Männliche in
ihm zum Verhängnis für die Konkurrenten der
Liebe.
So sprüht aus seinem spielerischen Ge¬
tändel Unheil.
Das Unheil der Liebe überhaupt? Eine düstere
Bühnen
Atmosphäre wird aus den Abenteuern gebraut.
Es kommt keine Bejahung zum Zuge.
Im weiten Lande laufen viele Irrwege kreuz
und quer.
Der Regie Forster Larrinagas gelang es
nicht völlig, diese Irrwege zu entwirren. Die
Stimmung blieb zerrissen und müde. Das
Komische und Tragische ergänzen sich nicht, son¬
dern schlagen sich oft in der Wirksamkeit. Man¬
ches ist zu kaut, manches zu leise. Aber das liegt
in erster Linie am Thema; — es ist schwer zwi¬
schen die vielen aneinandergeflickten Dialoge
dramatische Effekte einzuschieben.
Forster selbst als Hofreiter war das bin¬
dende, stärkste Element. Das geheimnisvolle
Unbeständige in der männlichen Seele wurde zu
einer selbstverständlichen Natürlichkeit gesteigert.
In Hofreiter wurde der Typ gestaltet, vor dem
gut und böse belanglos ist. Die Erkenntnis des
Verhängnisbringers starrt in unfäglich traurig
ergreifender Maske. Vor dieser Intensität
verblaßte das übrige. Margarethe Anton. —
die passio erlebende Dulderin, Framer, vollen¬
deter Kavalier im Menschlichen, von gewinnender
Beherrschung, — Max Werner Lenz, — jugend¬
licher Lebensphilosoph von zynischer und doch
versöhnlicher Abgeklärtheit, — Katsch, — über¬
legener Bankier, — Schieber im Gefühlsmäßigen,
letzte Erkonntnis vom Gebrauch der Dinge und
Menschen;
Heß,
der verstehende, breite, ruhige Arzt,
leutseliger Erkenner aller Konsticte, Hertha
Hambach, anspruchsvolles, lebenshungriges
Mädchen, ohne zu ahnen, daß sie durch ihr Weib¬
tum Entsetzliches heraufbeschwört.
Lust und Tod, — eng aneinandergekuppelt.
Dumpf verebben die Triede im weiten Land.
Wer weiß noch Ausweg?
Ueberschätzung des Besitzbewußtseins der Liebe!
Der Ruf nach einem Kinde geht schrill durch
die ganze gepflegte Künstlichkeit dieser Gefühls¬
welt.
Die Geschichte einiger trauriger Flirts und ihre
gewaltsame Wandlung ins Schicksathafte!
Im letzten ganz eng: Flirt als einzige Lebens¬
unschiuug und einziger Lebensinhalt.
K. N. Nicolaus.
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