II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 778

24. Das veite Land
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um Liebe“ heraus, eine an vielem Edelgestein reiche,
aber im Kerninnersten verworrene und in ihrer Sym¬
belik gänzlich undurchsichtige Komödie, die nur wenige
der besten Freunde des Dichters zu fesseln vermochte.
Am gleichen Abend erlehte das gleiche Stück in Ham¬
burg seine Erstaufführung, — mit dem gleichen Er¬
folg oder vielmehr Mißerfolg. Eben lese ich, daßidie
Zensur in Königsberg (die wir schon in Sachen Wede¬
kind als besonders weise, einsichtsvoll und freigesinnt
kennen lernten) die Aufführung seines Dramas „Anna
Walewska“ verboten hat, während dieses Stück döch,
meines Erinnerns, in Hannover ungehindert gespielt
werden durfte. Also, obwohl Geschäfte mit ihm
nicht zu machen sind, bemühen sich unsere Theater¬
herrscher doch sehr um Herbert Eulenberg, — eine
Tatsache, die zu erklären in dieser knappen Spalte
unmöglich ist, über die aber ein hübsches, freund¬
schaftlich-warmes Büchlein von Peter Hamecher*) Auf¬
schluß gibt, das ich dieser Tage mit viel Freude las.
In diesem Herbst hat nun das „Lessingtheater“
es unternommen, Eulenbergs Drama „Alles um Geld“
herauszubringen; Herr Otto Brahm scheint also den
furchtbaren Theaterskandal schon vergessen oder ver¬
schmerzt zu haben, den desselben Dichters Werk
„Ritter Blaubart“ — ich glaube, anno 1907 war’s —
in den Räumen seines Kunstinstitutes entfesselte;
oder er ist sehr wagemutig. Nun, zu einem Theater¬
skandal kam es diesmal ja nicht, aber eine starke
Spaltung der Geister machte sich doch bemerkbar.
Das Drama beabsichtigt, die allzerstörende Macht des
Geldes zu illustrieren. Es findet sich viel phantasti¬
sche Charakteristik, viel Dichterglut und eine Fülle
schöner Szenen darin; aber es leidet an dem, was
man Eulenberg immer und immer wieder vorhalten
muß: an mangelnder Ausgeglichenheit, Technik und
Sicherheit. Eulenberg ist eine Erscheinung, die Wede¬
kind in vielem verwandt ist: auch er ist viel mehr
Dichter als Künstler. Aber ohne die Zucht der Kunst
ist alles Dichtertum unfruchtbar, und solange Eulen¬
berg hierin nicht umlernen wird, solange darf das
deutsche Drama von ihm keine Bereicherung erhoffen.
Lernt er aber um, paart er die elementaren Kräfte
seines Dichtertums mit einer ihnen adäquaten Form,
dann darf man viel, sehr viel von ihm erwarten; denn
niemand kann leugnen, daß er augenblicklich einer
unserer reichsten und ursprünglichsten Dichter ist. —
*) Peter Hamecher: Herbert Eulenberg. Ein Orientie¬
rungsversuch. Leipzig, Ernst Rowohlt. 0.80 Mk.
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S (Ur. 4
Arthur Schnitzlema
„Das weite
Land“, dessen--Bekänntschaft uns ebenfalls das
Lessingtheater vermittelte, ist nicht eigentlich das,
was man unter einem „Schnitzler“ zu verstehen
pflegt. Zum zweiten Male arbeitet Schnitzler mit
großem Apparat, unter Verzicht auf die Knappheit,
das Exklusive, das Kammermusikhafte, dem er seine
schönsten Wirkungen verdankt. (Zum ersten Male
verzichtete er darauf im „Jungen Medardus“; hier
sei die Frage angefügt, warum Max Reinhardt, der
gegebene Regisseur dafür, dieses halbhistorische
Stück nicht spielt?) Aber der große Apparat hat
mit dem Kern des Stückes nichts zu tun, er läuft
nebenher und lenkt mit seinem lärmenden Durch¬
einander die Aufmerksamkeit von der Hauptsache
ab. Und diese Hauptsache? Es ist in gewissem
Sinne Schnitzlers Tragik, daß er alles Feine und
Komplizierte, was er über das Verhältnis der Ge¬
schlechter zu einander zu sagen wußte, schon im
„Zwischenspiel“ gesagt hat und daß er sich wieder¬
holt, wenn er es noch einmal sagt, wie in dieser
Tragikomödie. Ich möchte dem Dichter des „Zwi¬
schenspiels“ wünschen, daß er sich einmal hinaus¬
begibt aus dem engen Kreis seiner bisherigen Pro¬
bleme; daß er einmal die biblia pauperum aufschlägt
und sich von dort einen Stoff holt; daß er einmal
seelisch weniger komplizierte Menschen gestaltet.
„Der junge Medardus“ war ein erster Schritt auf
diesem Wege; „Das weite Land“ will mir, bei aller
bewundernswerten Feinheit, — oder gerade um ihfer „
willen? — als ein Rückschritt erscheinen.-
Im „Neuen Schauspielhaus“ bot die bekannte
Firma Holzélerschke, die Fabrikantin des „Trau¬
mulus“, ein neues Erzeugnis: die dreiaktige Komödie
„Büxl“. Sie erwies sich als hübsch ersonnenes und
recht lustiges Stück, das einen Abend über gut unter¬
hält; aber mit dramatischer Kunst hat sie schiechter¬
dings keine wesentliche Verwandtschaft. Man hält
es nicht für möglich, daß dieser Arno Holz einmal
unsere Literatur reformieren wollte! —
Sudermann bietet einen ähnlichen Anblick,
wenngleich sein Verhältnis zur Kunst ja von vorn¬
herein ein etwas anderes war als das von Arno Holz.
Sudermann war, auch in seinen wirksamsten Stücken,
niemals ein Künstler von Reinheit und Lauterkeit;
auch in der „Ehre“ auch in „Sodoms Ende“ schlägt
nicht das Herz eines Dichters, — sondern sie sind
mit der kalten Hand eines geschickten Routiniers