II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 782

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Sinnlichkeitenparfüm leise wittert, dieselben Kreise alltäglichen Umgangs
bei der Jause, auf dem Tennisplatz, im Kurpark. Und wiederum Ehe¬
gatten, die sich geliebt haben, sich lieben mit Fragezeichen, sich „treu" oder
„untreu“ sind und es sich halb gestehen halb verschweigen — „die Wahr¬
heit erfährt man ja nie" — dieselbe Getrübtheit der Gefühle und damit
verbunden die Instinktivität der Entschlüsse. Dieselbe? Ein Dichter
wiederholt sich nicht. Es charakterisiert den echten, daß er nicht bekanntes
sondern unbekanntes Wesen zeigt. Aber nicht jeder Teil seines Schaf¬
fens braucht neu zu sein — die Glasstücke des Kaleidoskops bleiben sich
immer gleich; und in Schnitzlers Werken waren Gleichheit und Ungleich¬
heit mit den Vorigen meist etwa gleichstark. Das Ende der Liebespiele
ist diesmal, daß ein Gatte — Hofreiter — in plötzlichem Entschluß dem
Geliebten seiner Frau Feigheit vorwirft, um ein Duell zu erzwingen.
Moralisch, wie der Alltag sagt, ohne Recht, da er seine Frau nicht stark
liebt und selbst mit andern Frauen oft Beziehungen hat. Er tötet den
jungen Verehrer. Und im letzten Akt erfahren es seine Frau und seine
Geliebte: jene verläßt ihn, diese will ihm treu folgen. Aber er ist durch
alle Ungewißheit des Daseins, aus der nun die furchtbare Gewißheit des
Todes entsprungen ist, dem Leben entfremdet. Auf Hofreiters oben
angeführte Bemerkung im dritten Akt, über die Dichter, antwortet der
Dichter: „Und wissen Sie, was Fabrikanten von Glühlichtern gewöhnlich
sind, Herr Hofreiter?
Glühlichterfabrikanten — sonst nichts.“ „Wär
gut, wenn's wahr wäre .. .“, erwidert der Fabrikant. Er gehört zu
denen, die „sich in Unkosten stürzen“, und als am Schluß sein Kapital
an Herz vergeben ist, erwidert er der Geliebten: Ich gehöre niemand auf
der Welt. „Niemandem. Will auch nicht ...
Solche Züge zeigen vielleicht, daß auch Schnitzler, der so fertig war,
so Abgerundetes schuf, noch Entwicklung, noch Vertiefung erlebt. Hier
gestaltet er Entwicklung. In ganz leisen Worten und in Geschehnissen,
die um so lauter, dröhnender hineinhallen. Das hatte er früher nicht
so; selten zeigte seine Dichtung ein so ernstes, durchfurchtes, charak¬
terreiches Gesicht mit eindringlichen Zügen.
Das „weite Land“ ist natürlich mit Worten nicht zu erschöpfen. Man
muß sich hineinverlieren können — und auch wieder heraus. Eins sei
noch angemerkt. Es wolle, wer das erste nicht kann, den Dichter dafür
nicht verantwortlich machen. Man kann sich ja andre wählen, etwa
Lilieneron oder Polenz. Aber Worte wie „müde“, „blasiert“ und ähn¬
liche treffen wie schlechtes Geschoß nicht in den Lebensknoten. „De¬
plaziert“ sind sie; man sollte mehr Achtung haben vor dem Schmerz und
der Qual, die allzeit mitgedichtet hat an solchen Werken, und vor dem
Können überhaupt und dem seienden Wert. Wer aber nicht wieder
„heraus“ kann aus dieser Welt, wolle freundlichst bedenken, daß sie trotz¬
dem nicht die einzige ist, beispielweise ist sie zur Lieferung ethischer
Maximen schon aus rein pragmatischen Gründen ungeeignet. Das Stück
ist an vielen Städten aufgeführt worden, meist mit dem Erfolg, daß man
ihm „Achtung“ entgegenbrachte. Gewiß ist, daß Achtung nicht die Stim¬
mung ist, die für den Weg ins „weite Land“ genügend ausrüstet. Geduld,
feines Hören, Unvoreingenommenheit, Vertrauen zum Führer, wohl auch,
mit einem guten Wort gesagt: Liebe wird dazu gehören, um all seiner
Wesenhaftigkeiten inne zu werden.
Ezard Ridden
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Kunstwart NWV 4