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We
DasLand
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[Wir geben im folgenden die letzte Szene des vierten Aktes und den
Schlußakt aus Schnitzlers neuem Werk wieder. So verschlungen die Fäden
sind, welche sich in der Dichtung von Person zu Person spinnen, es spricht
doch das Wesentliche der Geschehnisse auch aus dem Bruchstück; selbst die
starke Spannung, welche sich in der Beleidigung hier löst, wird man nach
wenigen Worten fühlen können. — Dr. Mauer, der in der folgenden
Szene mit Frau Genia Hofreiter spricht, ist ein alter Freund Hofreiters,
ihres Mannes; er will aber nun sich von diesem Kreis zurückziehen, da
Hofreiter (im 3. Akt) mit der jungen Erna Wahl ein sehr leidenschaft¬
liches Liebeverhältnis angefangen hat, derselben Erna, deren Liebe Mauer
zu gewinnen hoffte. Diese heimliche Eifersucht ist es, welche Mauer „von
hier forttreibt". Während Hofreiter, der früher mit Frau Natter intime
Beziehungen hatte, am Völser Weiher im Gebirge das neue Verhältnis
mit Erna Wahl fand, hat seine Frau Genia, die sich lange von aller Lüge
freigehalten hat, endlich auch des Fähnrichs Otto von Aigner Liebe
gewonnen und ihn an sich gefesselt. Diesen zwingt nun Hofreiter zum
Duell. Warum? „Man will nicht der Hopf sein.“ Das leicht klingende
Wort hat schwerstes Gewicht. Ein Drang heraus aus dem Wirrnis
liegt darin, ein Moment tiefster Erbitterung. Aber es ist besser, solche
Worte klingen, in sich wirken zu lassen, als sie zu deuten. Frau und
Geliebte Hofreiters stehen stumm und hören das krasse Wort, und über
allem liegt es wie ein Fatum.
Im fünften Akt vollendet sich das Spiel. Erna, die Hofreiter mit
voller Hingabe der ersten Liebe liebt, tritt noch ganz sicher auf; ganz
aus der Bahn geworfen Frau Genia. Da kündigt das Telegramm die
Ankunft ihres Sohnes Percy an. Hofreiter hat ihn — wohl in dem
Instinkt, ihn dem zerrissenen Leben seines Hauses entziehen zu müssen —
nach England zur Erziehung gegeben. Er sollte schon längst zurück sein
zum Ferienbesuch. Vieles wäre dann vielleicht anders, denn gerade um
ihr Verhältnis mit dem Fähnrich leichter geheim halten zu können, hat
seine Mutter Genia ihn noch ferngehalten. Nun trifft er ein mutter¬
loses Heim, und seine frohe Stimme zerbricht zuletzt allen Halt in der
Seele seines Vaters. Frau Meinhold, die einzige unangetastete Frauen¬
gestalt der Dichtung, die stolz und gütig lebt, ist auch die einzige, die
im Allertiefsten getroffen wird. Sie verliert mit Otto von Aigner,
ihrem Sohn aus geschiedener Ehe, alles was das Leben für sie noch hatte.
Noch lebt sie in dem Irrtum, er sei nur abgereist, und kommt aus
ihrer ungewohnten Einsamkeit zu der Frau, die sie gern hat und die
ihrem Sohn lieb war. Da tritt der ein, der ihn erschossen hat.
Das „weite Land“ ist im Verlag von S. Fischer in Berlin erschienen.]
Das weite Land
Vierter Akt, Schlußszene
Mauer: Ich muß leider fort, gnädige Frau.
Genia: Und es ist wohl anzunehmen, daß man Sie in der nächsten
Zeit hier nicht sehn wird ...
Mauer: Es ist anzunehmen, gnädige Frau.
Genia (sieht ihn an): Es tut mir leid, daß ich einen Freund ver¬
loren habe. Auch ich, die wahrhaftig ohne Schuld ist, wenigstens gegen
Sie. Warum antworten Sie mir nicht, Doktor? Ich will mich nicht in
2. Novemberheft 1911
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[Wir geben im folgenden die letzte Szene des vierten Aktes und den
Schlußakt aus Schnitzlers neuem Werk wieder. So verschlungen die Fäden
sind, welche sich in der Dichtung von Person zu Person spinnen, es spricht
doch das Wesentliche der Geschehnisse auch aus dem Bruchstück; selbst die
starke Spannung, welche sich in der Beleidigung hier löst, wird man nach
wenigen Worten fühlen können. — Dr. Mauer, der in der folgenden
Szene mit Frau Genia Hofreiter spricht, ist ein alter Freund Hofreiters,
ihres Mannes; er will aber nun sich von diesem Kreis zurückziehen, da
Hofreiter (im 3. Akt) mit der jungen Erna Wahl ein sehr leidenschaft¬
liches Liebeverhältnis angefangen hat, derselben Erna, deren Liebe Mauer
zu gewinnen hoffte. Diese heimliche Eifersucht ist es, welche Mauer „von
hier forttreibt". Während Hofreiter, der früher mit Frau Natter intime
Beziehungen hatte, am Völser Weiher im Gebirge das neue Verhältnis
mit Erna Wahl fand, hat seine Frau Genia, die sich lange von aller Lüge
freigehalten hat, endlich auch des Fähnrichs Otto von Aigner Liebe
gewonnen und ihn an sich gefesselt. Diesen zwingt nun Hofreiter zum
Duell. Warum? „Man will nicht der Hopf sein.“ Das leicht klingende
Wort hat schwerstes Gewicht. Ein Drang heraus aus dem Wirrnis
liegt darin, ein Moment tiefster Erbitterung. Aber es ist besser, solche
Worte klingen, in sich wirken zu lassen, als sie zu deuten. Frau und
Geliebte Hofreiters stehen stumm und hören das krasse Wort, und über
allem liegt es wie ein Fatum.
Im fünften Akt vollendet sich das Spiel. Erna, die Hofreiter mit
voller Hingabe der ersten Liebe liebt, tritt noch ganz sicher auf; ganz
aus der Bahn geworfen Frau Genia. Da kündigt das Telegramm die
Ankunft ihres Sohnes Percy an. Hofreiter hat ihn — wohl in dem
Instinkt, ihn dem zerrissenen Leben seines Hauses entziehen zu müssen —
nach England zur Erziehung gegeben. Er sollte schon längst zurück sein
zum Ferienbesuch. Vieles wäre dann vielleicht anders, denn gerade um
ihr Verhältnis mit dem Fähnrich leichter geheim halten zu können, hat
seine Mutter Genia ihn noch ferngehalten. Nun trifft er ein mutter¬
loses Heim, und seine frohe Stimme zerbricht zuletzt allen Halt in der
Seele seines Vaters. Frau Meinhold, die einzige unangetastete Frauen¬
gestalt der Dichtung, die stolz und gütig lebt, ist auch die einzige, die
im Allertiefsten getroffen wird. Sie verliert mit Otto von Aigner,
ihrem Sohn aus geschiedener Ehe, alles was das Leben für sie noch hatte.
Noch lebt sie in dem Irrtum, er sei nur abgereist, und kommt aus
ihrer ungewohnten Einsamkeit zu der Frau, die sie gern hat und die
ihrem Sohn lieb war. Da tritt der ein, der ihn erschossen hat.
Das „weite Land“ ist im Verlag von S. Fischer in Berlin erschienen.]
Das weite Land
Vierter Akt, Schlußszene
Mauer: Ich muß leider fort, gnädige Frau.
Genia: Und es ist wohl anzunehmen, daß man Sie in der nächsten
Zeit hier nicht sehn wird ...
Mauer: Es ist anzunehmen, gnädige Frau.
Genia (sieht ihn an): Es tut mir leid, daß ich einen Freund ver¬
loren habe. Auch ich, die wahrhaftig ohne Schuld ist, wenigstens gegen
Sie. Warum antworten Sie mir nicht, Doktor? Ich will mich nicht in
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