II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 814

Land
24. Das weite.
box 29/6
40 Dr. Carl Furtmüller, Schnitzler’s Tragikomödie „Das weite Land“.
ehelicher Untreue in vielen Variationen vor uns hingestellt und erst
durch dieses Nebeneinander der widersprechensten Reaktionen auf das
gleiche Erlebnis erlangt das Leilmotiv, „die Seele ist ein weites Land“,
seine volle Bedeutung. Wir ständen also vor der Aufgabe, auch die andern
Charaktere des Stückes zu analysieren, Hlier, wo der Diehter mit den
charakterisierenden Zügen sparsamer gewesen ist, sich oft mit wenigen
Strichen begnügt hat, kümen wir sehneller zum Ziele, sber nur deshalb,
weil wir ungleich mehr als bei der Gestalt des Hauptbeiden auf Ergün¬
zungen und Hypothesen angewiesen wären. Diese Analysen müssten daher
der überzeugenden Kraft, die die Analyse Hlofreiters zumindest haben
könnte, von vornherein entbehren. Es scheint uns aber, als ob man
schon von der Gestalt Hofreiters her zum Sinn dieses Leitsatzes gelangen
könnte, wobei wir es freilich dahingestellt lassen müssen, wie weit der
Sinn, den wir in dem Werke finden, sich mit dem Sinn deckt, den der
Dichter ihm geben wollte.
Das eine freilich dürfte dem Zweifel entrückt sein, dass der Dichter,
indem er den Ausdruck „das weite Land“ seiner Tragikomödie als Titel
vorangestellt hat, ihm eine ironische Note hat verleihen wollen. Das
„weite Land“ wird sich eben nur in gewissem Sinne als weites Land er¬
weisen.
Halten wir nun dazu, was wir gefunden haben. Wir haben ein
Drama vor uns, zwischen dessen Personen die mannigfachsten Liebes¬
beziehungen hinüber und herüber spielen, dessen einziger Inhalt Liebe
und Liebeshändel sind, in dem aber das eine Thema sich unablässig auf
die wunderlichste Weise variiert. Kein Widerspruch ist so krass, keine
Wendung so rätselhaft, dass wir sie hier nicht fänden. Die Seele dieser
Menschen ist wirklich ein weites Land voll unergründlicher Schluchten,
voll die Aussicht sperrender Berge, voll in die Irre führender Labyrinthe,
in dem es unmöglich scheint, sich zurecht zu finden. Dort aber, wo wir
näher eingedrungen sind, bei der Persönlichkeit Hofreiters, hat sich gezeigl,
dass trotz allem ein Zielpunkt gegeben war, den er nie aus dem Auge
verlor, dass trotz aller Irr- und Umwege ihm eine Richtung unabänderlich
vorgezeichnet war. Hinter all der verwirrenden Mannigfaltigkeit haben
wir eine einheitliche Leitlinie gefunden und die war nicht gegeben durch
die Libido, sondern durch den nrännlichen Protest.
Die Tragikomödie ist eine zwiespältige Dichtungsart. Aus der
Komödie soll überraschend und doch folgerichtig die Tragödie auftauchen.
Wir sollen zuerst durch die interessanten Verwicklungen des Zufalls und
der Laune gefesselt, dann durch die tragische Notwendigkeit erschüttert
werden. So zeigt uns auch Sehnitzler’s Drama ein doppeltes Gesicht: Auf
dem Grunde einer Komödie der Libido erhebt sich die Tragödie des
männlichen Protestes,



S
S
M

W

K