—. —Jfege
des Semmeringer Südbahnhotels
Er ist jetzt nicht mehr Hotelportier,
Mitbesitzer des Theatercafés in der
enstraße. Aber vermutlich nicht
nge. Denn Veruntreuungen eines
Kompagnons, ein Raumungs¬
seines Hausherrn haben ihn
so
bracht, daß er zu Tode froh sein
enn er ohne überschuldet zu sein,
chäft abgeben und etwas Neues
n kann.
rgtherter geben s ein Stück
vom Schnitzler“
t wieder „Bitte, Herr Doktor“, genau
Stück. „Ja, damals, 1911, war ich auf
zeitsreise. In Venedig sitz ich an der
S
34
n
Riva Schiavoni beim Friseur, muß warten,
nehm' eine Wiener Zeitung in die Hand und
seh' ein Bild von einer Szene in einem neuen
Theaterstück. „Donnerwetter, das sieht unserer
Hall ähnlich!' denk ich, da komm ich schon
dran, leg' die Zeitung weg und hab's ver¬
gessen. Wie ich auf den Semmering zurück¬
komme, sagen mir alle Leute: „Rostler, im
Burgtheater geben
s' ein neues Stück, da
spielt dich der Hugo Thimig, wie du leibst
und lebst, sogar die Kappen hat er nie auf,
sondern legt s' nur so aufs Pult, wie du es
machst!“
„Und haben Sie sich dann im Theater ge¬
ssehen?“
„Damals hab' ich keine Zeit gehabt, erst
viel später im Deutschen Volkstheater hab
ich 's g'seh'n, ich glaub' mit Herrn Arndt,
aber der Herr Hofrat Thimig war vorher bei
mir gewesen und hat mich studiert, ohne daß
ich
g’wußt hab', sogar abzeichnet hat er
mich!“
„Und Schnitzler hat mit Ihnen gesprochen?“
„Und wie oft noch dazu. Der war ja
Stammgast bei uns. Auch Hugo von Hof¬
mannsthal. Dem hab' ich einmal ein Man¬
sardenzimmer eing'redt, weil 's am ruhigsten
ist, und von da an hat er immer das Man¬
sardenzimmer haben wollen. Und jetzt, wie
er tot war, hab' ich den Leuten nur sagen
brauchen: „in dem Mansardenzimmer hat der
Hofmannsthal g’wohnt', und schon hab ich 's
anbracht.!“
„Wie sind Sie denn eigentlich Cafétier ge¬
worden?“
„Fünfunddreißig Jahre war ich im Süd¬
bahnhotel, meine Frau war dort Wirt¬
schafterin. Wie wir dann weg sind, hab' ich
mit einem Herrn der mit mir im Südbahn¬
hotel war, das Kaffeehaus hier gekauft. Es
war schon damals kein Segen darauf.
„ und Sehnsucht hätt' ich nach
droben
77
Das sagt der Portier Rosenstock aus dem
„Weiten Land“ wirklich mit einer gewissen
resignierten liebenswürdigen Überlegenheit
über die Dinge.
„Und was wollen Sie dann anfangen?“
Nun hat sich auch seine Frau dazu gesetzt,
einst wirtschaftliche Seele des Südbahnhotels,
Spuren kummervoller Nächte im noch immer
schönen Gesicht.
Der Portier Rosenstock (ganz leise):
„Wissen S' Sehnsucht hätt' ich halt nach
droben, nicht nach den Bergen oder der Land¬
schaft, aber nach dem alten Haus. Wenn ich
mich erinnere, ich hab' immer einen glatten
Salonrock getragen und hab' mich geweigert,
mir die Schlüssel auf die Aufschläge aufnähen
zu lassen. „Ja',
hat mich der Präsident
Fall lachend gefragt
'ham S' vielleicht
Angst, daß man Sie für einen Portier halten
könnt?'
— „Herr Präsident' hab' ich geant¬
wortet, mich hat noch keiner für einen
Ministerpräsidenten gehalten!"
Wenn der Hausherr ein bisserl ein Ein¬
sehen hat, hoffe ich, daß mir meine vielen
Bekannten es ermöglichen werden, auch wei¬
terhin bescheiden und anständig mein Brot zu
verdienen. Sehen Sie, ich bin wirklich nicht
schuld daran, daß ich in Schulden geraten
bin. Aber da hab' ich einen Stammgast, einen
alten Oberst, gestern hat er sich verabschiedet,
ein Nachbarstaat hat ihm seine Pension
neuerlich gekürzt, er kann sich das Kaffeehaus
nicht mehr leisten. So kommt es, daß ich den
1
Zins nicht mehr erschwingen kann:
Das „Weite Land“ und die
literarische Ewigkeit
Und dann spricht der Portier Rosenstock
wieder von den Zeiten, da ihm Präsident
Sieghart auf die Schulter klopfte.
Jetzt, glaube ich, möchte er sich gern die
Schlüssel auf die Aufschläge nähen und das
Portierkappel aufsetzen, der liebe gute
Rosenstock, der durchs „Weite Land“ als
Hotelportier in die literarische Ewigkeit
eingegangen ist, ehe er darauf kam, daß
es schwer ist, ein lebender Wiener Cafétier
zu sein.
RATIS
„OBSERVER“
I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11.
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
Kronenzeitung. Wien
vom:
13.FEB
K. (Akademietheater.) „Die verlorene
Tochter“ von Ludwig Fulda.Das Burg¬
theater vergaß, den 70. Geburtstag seines
alten, erfolgreichen Lustspieldichters alter Schule
und feinfühligen Uebersetzers Molieres und
Ibsens, rechtzeitig zu feiern. Das Geschöpf seiner
guten Laune anno 1917, „Die verloren Tochter“.
diese bürgerliche, im elterlichen Käfig einge¬
sperrte, schöngeistige Gans, die sich in einen
lächerlichen Pedanten von Literaturprofessor ver¬
gafft, mit ihm auf einen Weekend=Sportausflug
geht, um sich dort aber anderweitig zu verlieben,
teht noch heute beim Rublikum in höchiter
Gunst. Die Leute quietschten förmlich vor Ver¬
gnügen. Und da glaubte man, daß alle diese
langst in die „Fliegenden Blätter“ eingegangenen
komischen Figuren, wie der Tyram. von Erb#
onkel, die spießerischen Eltern, der in den
Klavier= oder Literaturlehrer verliebte Backfisch##
der Schlehmil von Liebhaber, der Schwerenöten
in Montur oder Frack, im Jahre 1934. nur noch
zu den Gespenstererscheinungen gezählt werden!
Herr Wengraf hat den Spaß aktualisiert und
verwienert. Als Regisseur baute er eine hübsche
Semmeringer Hotelhalle auf —
eine schmerz¬
liche Erinnerung an Schnitzlers „weites Land“
— und spielte nebstbei auch diesen zuckerfüßen
Charmeur von Rechtsanwalt mit dem sieg
reichsten Bonvivantlächeln. Frau Seidler, diese
moderne Schauspielerin, die immer im heiteren
Stück gerne parodistische Töne anschlägt, gibt
mit allem Liebreiz und Witz die altmodische Aus¬
reißerin. Herr Philipp Zeska hat von Rom¬
berg den angebeteten Dümmling von Litera¬
turfatzke geerbt und stattet ihn mit den drolligsten
Nummern aus. Thaller gibt natürlich den
ewig knurrenden Familiendespoten, Herr
Mayerhofer und Frau Rotty sind die all¬
zu besorgten Eltern. Frau Janssen, Fr. Pün¬
kösdy, Frl. Solvis und Frau Wilke, sowie
die Herren Huber und Haeussermann
entwickeln ebenfalls ziemlich viel Humor. Das
Publikum wird sicher wieder „Die verlorene
Tochter“ in sein großes Herz schließen.
——
des Semmeringer Südbahnhotels
Er ist jetzt nicht mehr Hotelportier,
Mitbesitzer des Theatercafés in der
enstraße. Aber vermutlich nicht
nge. Denn Veruntreuungen eines
Kompagnons, ein Raumungs¬
seines Hausherrn haben ihn
so
bracht, daß er zu Tode froh sein
enn er ohne überschuldet zu sein,
chäft abgeben und etwas Neues
n kann.
rgtherter geben s ein Stück
vom Schnitzler“
t wieder „Bitte, Herr Doktor“, genau
Stück. „Ja, damals, 1911, war ich auf
zeitsreise. In Venedig sitz ich an der
S
34
n
Riva Schiavoni beim Friseur, muß warten,
nehm' eine Wiener Zeitung in die Hand und
seh' ein Bild von einer Szene in einem neuen
Theaterstück. „Donnerwetter, das sieht unserer
Hall ähnlich!' denk ich, da komm ich schon
dran, leg' die Zeitung weg und hab's ver¬
gessen. Wie ich auf den Semmering zurück¬
komme, sagen mir alle Leute: „Rostler, im
Burgtheater geben
s' ein neues Stück, da
spielt dich der Hugo Thimig, wie du leibst
und lebst, sogar die Kappen hat er nie auf,
sondern legt s' nur so aufs Pult, wie du es
machst!“
„Und haben Sie sich dann im Theater ge¬
ssehen?“
„Damals hab' ich keine Zeit gehabt, erst
viel später im Deutschen Volkstheater hab
ich 's g'seh'n, ich glaub' mit Herrn Arndt,
aber der Herr Hofrat Thimig war vorher bei
mir gewesen und hat mich studiert, ohne daß
ich
g’wußt hab', sogar abzeichnet hat er
mich!“
„Und Schnitzler hat mit Ihnen gesprochen?“
„Und wie oft noch dazu. Der war ja
Stammgast bei uns. Auch Hugo von Hof¬
mannsthal. Dem hab' ich einmal ein Man¬
sardenzimmer eing'redt, weil 's am ruhigsten
ist, und von da an hat er immer das Man¬
sardenzimmer haben wollen. Und jetzt, wie
er tot war, hab' ich den Leuten nur sagen
brauchen: „in dem Mansardenzimmer hat der
Hofmannsthal g’wohnt', und schon hab ich 's
anbracht.!“
„Wie sind Sie denn eigentlich Cafétier ge¬
worden?“
„Fünfunddreißig Jahre war ich im Süd¬
bahnhotel, meine Frau war dort Wirt¬
schafterin. Wie wir dann weg sind, hab' ich
mit einem Herrn der mit mir im Südbahn¬
hotel war, das Kaffeehaus hier gekauft. Es
war schon damals kein Segen darauf.
„ und Sehnsucht hätt' ich nach
droben
77
Das sagt der Portier Rosenstock aus dem
„Weiten Land“ wirklich mit einer gewissen
resignierten liebenswürdigen Überlegenheit
über die Dinge.
„Und was wollen Sie dann anfangen?“
Nun hat sich auch seine Frau dazu gesetzt,
einst wirtschaftliche Seele des Südbahnhotels,
Spuren kummervoller Nächte im noch immer
schönen Gesicht.
Der Portier Rosenstock (ganz leise):
„Wissen S' Sehnsucht hätt' ich halt nach
droben, nicht nach den Bergen oder der Land¬
schaft, aber nach dem alten Haus. Wenn ich
mich erinnere, ich hab' immer einen glatten
Salonrock getragen und hab' mich geweigert,
mir die Schlüssel auf die Aufschläge aufnähen
zu lassen. „Ja',
hat mich der Präsident
Fall lachend gefragt
'ham S' vielleicht
Angst, daß man Sie für einen Portier halten
könnt?'
— „Herr Präsident' hab' ich geant¬
wortet, mich hat noch keiner für einen
Ministerpräsidenten gehalten!"
Wenn der Hausherr ein bisserl ein Ein¬
sehen hat, hoffe ich, daß mir meine vielen
Bekannten es ermöglichen werden, auch wei¬
terhin bescheiden und anständig mein Brot zu
verdienen. Sehen Sie, ich bin wirklich nicht
schuld daran, daß ich in Schulden geraten
bin. Aber da hab' ich einen Stammgast, einen
alten Oberst, gestern hat er sich verabschiedet,
ein Nachbarstaat hat ihm seine Pension
neuerlich gekürzt, er kann sich das Kaffeehaus
nicht mehr leisten. So kommt es, daß ich den
1
Zins nicht mehr erschwingen kann:
Das „Weite Land“ und die
literarische Ewigkeit
Und dann spricht der Portier Rosenstock
wieder von den Zeiten, da ihm Präsident
Sieghart auf die Schulter klopfte.
Jetzt, glaube ich, möchte er sich gern die
Schlüssel auf die Aufschläge nähen und das
Portierkappel aufsetzen, der liebe gute
Rosenstock, der durchs „Weite Land“ als
Hotelportier in die literarische Ewigkeit
eingegangen ist, ehe er darauf kam, daß
es schwer ist, ein lebender Wiener Cafétier
zu sein.
RATIS
„OBSERVER“
I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11.
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
Kronenzeitung. Wien
vom:
13.FEB
K. (Akademietheater.) „Die verlorene
Tochter“ von Ludwig Fulda.Das Burg¬
theater vergaß, den 70. Geburtstag seines
alten, erfolgreichen Lustspieldichters alter Schule
und feinfühligen Uebersetzers Molieres und
Ibsens, rechtzeitig zu feiern. Das Geschöpf seiner
guten Laune anno 1917, „Die verloren Tochter“.
diese bürgerliche, im elterlichen Käfig einge¬
sperrte, schöngeistige Gans, die sich in einen
lächerlichen Pedanten von Literaturprofessor ver¬
gafft, mit ihm auf einen Weekend=Sportausflug
geht, um sich dort aber anderweitig zu verlieben,
teht noch heute beim Rublikum in höchiter
Gunst. Die Leute quietschten förmlich vor Ver¬
gnügen. Und da glaubte man, daß alle diese
langst in die „Fliegenden Blätter“ eingegangenen
komischen Figuren, wie der Tyram. von Erb#
onkel, die spießerischen Eltern, der in den
Klavier= oder Literaturlehrer verliebte Backfisch##
der Schlehmil von Liebhaber, der Schwerenöten
in Montur oder Frack, im Jahre 1934. nur noch
zu den Gespenstererscheinungen gezählt werden!
Herr Wengraf hat den Spaß aktualisiert und
verwienert. Als Regisseur baute er eine hübsche
Semmeringer Hotelhalle auf —
eine schmerz¬
liche Erinnerung an Schnitzlers „weites Land“
— und spielte nebstbei auch diesen zuckerfüßen
Charmeur von Rechtsanwalt mit dem sieg
reichsten Bonvivantlächeln. Frau Seidler, diese
moderne Schauspielerin, die immer im heiteren
Stück gerne parodistische Töne anschlägt, gibt
mit allem Liebreiz und Witz die altmodische Aus¬
reißerin. Herr Philipp Zeska hat von Rom¬
berg den angebeteten Dümmling von Litera¬
turfatzke geerbt und stattet ihn mit den drolligsten
Nummern aus. Thaller gibt natürlich den
ewig knurrenden Familiendespoten, Herr
Mayerhofer und Frau Rotty sind die all¬
zu besorgten Eltern. Frau Janssen, Fr. Pün¬
kösdy, Frl. Solvis und Frau Wilke, sowie
die Herren Huber und Haeussermann
entwickeln ebenfalls ziemlich viel Humor. Das
Publikum wird sicher wieder „Die verlorene
Tochter“ in sein großes Herz schließen.
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