24. Das weite Land
box 29/6
Schnitzlers neues Werk##en
□ Um Arthur Schnitzler ist es in den letzten Jahren
immer stiller geworden. Nie schmeichelt ihm „der Kna¬
ben Preis und Jubel“, nie stiegen graugewölkte Weih¬
rauchdämpfe zu seiner bleichen Einsamkeit empor, nie
ging er als Heros von Zeit und Volk einer berausch¬
ten Menge voran. Die Ewigtanzgemuten, die Panto¬
mimiker hatten ihn längst mit mitleidsvoller Geste ab¬
getan — sie, die ihn nie besaßen. Mit dem Bekennntnis¬
wort des Anatol etikettierten sie ihn als leichtsinnigen
Melancholiker, als Wiener. Uns war er mehr: Der
Erfinder jener müden Spaziergänger in dunkelroten
und morgenblassen Tälern, der Verleiblicher der unaus¬
sprechlichsten Hemmungen und Vibrationen, der Ge¬
stalter der zartesten, silberweißen Krankheiten, der Em¬
pfinder unserer letzten Müdigkeiten und Sehnsuchtstode.
Paracelsus, Georg Merklin, Sala, der Mime im Grü¬
nen Kakadu“, das Musikerpaar im „Zwischenspiel“, die
Kunst= und Rassenkranken im „Weg ins Freie“ sind
solche Stationen. Lautlos zogen sie an uns vorüber;
doch lange zitterte die Musik ihrer Blicke in uns nach.
Wir drückten die heißen Stirnen qualvoll an die Fen¬
stergläser des tobendes Zuges und sahen ihnen nach,
wie man den eigenen Lüsten nachsieht, die auf abend¬
lichem Meere unter ausgestirntem Himmel als kleine
Segel weiß in das Dunkel der Nacht jagen.
II.
Auch in dem neuen Drama Schnitzlers*) erklingen
noch manchmal diese uns liebgewordenen Motive. Doch
sie kommen von weit her und zerflattern, ehe sie unser
Ohr erreichen. Trotz allen meinen anders gerichteten
Bemühungen sehe ich in diesem Stück nur die geschickte
Verschlingung derber Spannungen, Unterhaltungsdra¬
matik, gesteigert durch elegante Dialogführung, Zu¬
spitzungen mit Ausblicken ins Seelische, dazwischen aller¬
hand Humore, Spaßhaftigkeiten, Geistreicheleien, Sen¬
tenzen und Wienertum. Ich vermiße vor Allem das
Bekennen, das ehrliche Bekennen zu einem thematisch
„Das weite Land“ wie alle Werke Schnitzlers bei
S. Fischer, Berlin erschienen.
fundamentierten Stil, der der Dichtung Rahmen und
Färbung, dem Beschauer einen Weg zur Formel des
Gesehenen gibt. Bis zum Mittelakt plätschert „feiner
Lustspielton“ durch die Szenen. Man glaubt: in dieser
Richtung nun weiter. Dann aber wird mit Hilfe der
krassesten Effekte (Ertappen beim Ehebruch, öffentlicher
Affront, Duell) ein tragischer Schacht erbohrt. Und aller¬
lei Signale tönen.
In den Geschehnissen und ihren Trägern mengt sich
Sozialkritisches, Ethisches, Allmenschliches, Adliges mit
Familienschmus und „lokalem Teil“. Dazwischen spen¬
stern die Gesichte des Dramatikers H. Ibsen: Robert
Hellmer und Nora sprechen des Oefteren aus den Mün¬
den des Ehepaars Hofreiter (manchmal als vertauschte
Seelen) und über dem Schicksal einer edlen Frau dehnt
sich der Schatten der Alving. Doch nichts atmet des
Norwegers Zwang zum Vollbringen, das Krampfen
und Zerren zum Ich, das nächtige Auftürmeklettern.
Schnitzlers Gestalten sehen das weite Land zu ihren
Füßen liegen. Allerlei Signale tönen. Scheu blicken
die Bürger herab. Doch bald kehren sie zu den Tee¬
tischen zurück, auf grünem Rasen, unter laubigen Bäu¬
men. Sie setzen sich und plaudern. Die guten Leute —
sie plaudern.
III.
Am Stärksten lebt in der Erinnerung ein Gespräch
auf einer von Nacht umrauschten Gartenterrasse. Zwi¬
schen zwei einsamen Frauen, allein in dem tollen Wirbel,
der sie umtost. Die eine lebt seit langem getrennt von
dem Gatten, den sie liebt. Ihre Gegenwart gehört ihrer
Kunst und dem Sohne; doch die Erinnerung ihm. Der
anderen steht ein ähnliches Schicksal bevor. Schon klinkt
es die Türe auf... leise leise, gleich wird es her¬
eintreten. Davon sprechen die beiden Frauen und von
ihren Söhnen, die sie nie besitzen werden. In keu¬
schen, schlichten Worten schmiegen sie ihre Seelen inein¬
ander. Ueber die Beete zieht Weinen und Sehnsucht.
Und die beiden sprechen, wie nur Frauen es können auf
einer von Nacht umrauschten Gartenterrasse.
Der Gatte der jüngeren ist von jenem etwas leichtem
spezifischen Gewicht, das ihn in Taumel, Räusche, Aben¬
teuereien, Ausflüge in alle möglichen Regionen führt,
nie aber zu sich selbst und in andere Seelen hinein (Ich
mag solche kultivierten Turner nicht). So flieht er an
dem bleichen Gesicht der Frau vorbei zu kleinlichen,
inhaltslosen Liebeleien. Von dem einen Gefühl der
„Revanche“ bis zum letzten Rache erfüllt, ergibt sie sich
der anstürmenden Jugendheit des Sohnes ihrer Schick¬
salsgefährtin. Die Entdeckung des Ehebruches führt
endlich den Mann zur Erkenntnis der Aufrichtigkeit und
Einzigkeit seiner Liebe zur Gattin. Nun kennt sein
Rasen kein Hindernis mehr. Er ruht nicht eher, bis der
Beleidiger seiner Liebe von seiner Waffe getötet im
Sande liegt. Doch auch um ihn schmiegen sich die kalten
Falten der Einsamkeit. Jetzt wo er sein Königreich
wiedererobern, wo er sich zum Mahle niedersetzen will,
sagt sich die Gattin von ihm los.
Das alles gibt sich bei Schnitzler nicht mit den tiefen
Seelenlichtern und zart abgestimmten Schatten, die wir
sonst bei ihm kennen. Laute Effekte, beabsichtigte Ver¬
wirrungen, Feuilleton=Scherze und =Figuren, Vorstadt¬
Komiken, Witzblattkarikaturen überwuchern den Kern
und sperren dem Auge den Ausblick in das weite Land.
Allerlei Signale tönen. So bleibt die Grundimpression;
Aktionsschleuderei mit verhaltener Geistigkeit, interes¬
santes Unterhalten mit Schicksalshintergrund, Aus¬
schnitte aus vornehmen Familienleben mit Differenzie¬
rungen, musikalische Genüsse im Weinrestaurant.
Rudolf Kayser.
box 29/6
Schnitzlers neues Werk##en
□ Um Arthur Schnitzler ist es in den letzten Jahren
immer stiller geworden. Nie schmeichelt ihm „der Kna¬
ben Preis und Jubel“, nie stiegen graugewölkte Weih¬
rauchdämpfe zu seiner bleichen Einsamkeit empor, nie
ging er als Heros von Zeit und Volk einer berausch¬
ten Menge voran. Die Ewigtanzgemuten, die Panto¬
mimiker hatten ihn längst mit mitleidsvoller Geste ab¬
getan — sie, die ihn nie besaßen. Mit dem Bekennntnis¬
wort des Anatol etikettierten sie ihn als leichtsinnigen
Melancholiker, als Wiener. Uns war er mehr: Der
Erfinder jener müden Spaziergänger in dunkelroten
und morgenblassen Tälern, der Verleiblicher der unaus¬
sprechlichsten Hemmungen und Vibrationen, der Ge¬
stalter der zartesten, silberweißen Krankheiten, der Em¬
pfinder unserer letzten Müdigkeiten und Sehnsuchtstode.
Paracelsus, Georg Merklin, Sala, der Mime im Grü¬
nen Kakadu“, das Musikerpaar im „Zwischenspiel“, die
Kunst= und Rassenkranken im „Weg ins Freie“ sind
solche Stationen. Lautlos zogen sie an uns vorüber;
doch lange zitterte die Musik ihrer Blicke in uns nach.
Wir drückten die heißen Stirnen qualvoll an die Fen¬
stergläser des tobendes Zuges und sahen ihnen nach,
wie man den eigenen Lüsten nachsieht, die auf abend¬
lichem Meere unter ausgestirntem Himmel als kleine
Segel weiß in das Dunkel der Nacht jagen.
II.
Auch in dem neuen Drama Schnitzlers*) erklingen
noch manchmal diese uns liebgewordenen Motive. Doch
sie kommen von weit her und zerflattern, ehe sie unser
Ohr erreichen. Trotz allen meinen anders gerichteten
Bemühungen sehe ich in diesem Stück nur die geschickte
Verschlingung derber Spannungen, Unterhaltungsdra¬
matik, gesteigert durch elegante Dialogführung, Zu¬
spitzungen mit Ausblicken ins Seelische, dazwischen aller¬
hand Humore, Spaßhaftigkeiten, Geistreicheleien, Sen¬
tenzen und Wienertum. Ich vermiße vor Allem das
Bekennen, das ehrliche Bekennen zu einem thematisch
„Das weite Land“ wie alle Werke Schnitzlers bei
S. Fischer, Berlin erschienen.
fundamentierten Stil, der der Dichtung Rahmen und
Färbung, dem Beschauer einen Weg zur Formel des
Gesehenen gibt. Bis zum Mittelakt plätschert „feiner
Lustspielton“ durch die Szenen. Man glaubt: in dieser
Richtung nun weiter. Dann aber wird mit Hilfe der
krassesten Effekte (Ertappen beim Ehebruch, öffentlicher
Affront, Duell) ein tragischer Schacht erbohrt. Und aller¬
lei Signale tönen.
In den Geschehnissen und ihren Trägern mengt sich
Sozialkritisches, Ethisches, Allmenschliches, Adliges mit
Familienschmus und „lokalem Teil“. Dazwischen spen¬
stern die Gesichte des Dramatikers H. Ibsen: Robert
Hellmer und Nora sprechen des Oefteren aus den Mün¬
den des Ehepaars Hofreiter (manchmal als vertauschte
Seelen) und über dem Schicksal einer edlen Frau dehnt
sich der Schatten der Alving. Doch nichts atmet des
Norwegers Zwang zum Vollbringen, das Krampfen
und Zerren zum Ich, das nächtige Auftürmeklettern.
Schnitzlers Gestalten sehen das weite Land zu ihren
Füßen liegen. Allerlei Signale tönen. Scheu blicken
die Bürger herab. Doch bald kehren sie zu den Tee¬
tischen zurück, auf grünem Rasen, unter laubigen Bäu¬
men. Sie setzen sich und plaudern. Die guten Leute —
sie plaudern.
III.
Am Stärksten lebt in der Erinnerung ein Gespräch
auf einer von Nacht umrauschten Gartenterrasse. Zwi¬
schen zwei einsamen Frauen, allein in dem tollen Wirbel,
der sie umtost. Die eine lebt seit langem getrennt von
dem Gatten, den sie liebt. Ihre Gegenwart gehört ihrer
Kunst und dem Sohne; doch die Erinnerung ihm. Der
anderen steht ein ähnliches Schicksal bevor. Schon klinkt
es die Türe auf... leise leise, gleich wird es her¬
eintreten. Davon sprechen die beiden Frauen und von
ihren Söhnen, die sie nie besitzen werden. In keu¬
schen, schlichten Worten schmiegen sie ihre Seelen inein¬
ander. Ueber die Beete zieht Weinen und Sehnsucht.
Und die beiden sprechen, wie nur Frauen es können auf
einer von Nacht umrauschten Gartenterrasse.
Der Gatte der jüngeren ist von jenem etwas leichtem
spezifischen Gewicht, das ihn in Taumel, Räusche, Aben¬
teuereien, Ausflüge in alle möglichen Regionen führt,
nie aber zu sich selbst und in andere Seelen hinein (Ich
mag solche kultivierten Turner nicht). So flieht er an
dem bleichen Gesicht der Frau vorbei zu kleinlichen,
inhaltslosen Liebeleien. Von dem einen Gefühl der
„Revanche“ bis zum letzten Rache erfüllt, ergibt sie sich
der anstürmenden Jugendheit des Sohnes ihrer Schick¬
salsgefährtin. Die Entdeckung des Ehebruches führt
endlich den Mann zur Erkenntnis der Aufrichtigkeit und
Einzigkeit seiner Liebe zur Gattin. Nun kennt sein
Rasen kein Hindernis mehr. Er ruht nicht eher, bis der
Beleidiger seiner Liebe von seiner Waffe getötet im
Sande liegt. Doch auch um ihn schmiegen sich die kalten
Falten der Einsamkeit. Jetzt wo er sein Königreich
wiedererobern, wo er sich zum Mahle niedersetzen will,
sagt sich die Gattin von ihm los.
Das alles gibt sich bei Schnitzler nicht mit den tiefen
Seelenlichtern und zart abgestimmten Schatten, die wir
sonst bei ihm kennen. Laute Effekte, beabsichtigte Ver¬
wirrungen, Feuilleton=Scherze und =Figuren, Vorstadt¬
Komiken, Witzblattkarikaturen überwuchern den Kern
und sperren dem Auge den Ausblick in das weite Land.
Allerlei Signale tönen. So bleibt die Grundimpression;
Aktionsschleuderei mit verhaltener Geistigkeit, interes¬
santes Unterhalten mit Schicksalshintergrund, Aus¬
schnitte aus vornehmen Familienleben mit Differenzie¬
rungen, musikalische Genüsse im Weinrestaurant.
Rudolf Kayser.