II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 864

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L.
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24. Das
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wirklich nichts andres wäre als ein köstliches Spiel. Aber was er hier
sieht: dieses Ineinander von Zurückhaltung und Frechheit, von feiger
Eisersucht und erlogenem Gleichmut, von rasender Leidenschaft und
leerer Lust — das findet er trübselig und grauenhaft. Ist wirklich zu
glauben, daß Schnitzler das weniger trübselig und grauenhaft findet?
Es ist eine echte Trauer in ihm um die Männer und Frauen seiner
Zeit und dieser Schicht. Aber er hat freilich nicht die Natur, zornig
die Augen zu rollen und Donnerworte der Empörung zu ballen. Er
will schon der Sittenrichter dieser Generation sein. Aber nicht mit
priesterlichen Gebärden und im Vollgefühl der eigenen Unfehlbarkeit.
Er züchtigt, indem er darstellt: mit resignierendem Verständnis und
einer wehmütigen Ironie, deren weltmännisch gelassener Ton doch
wohl nicht darüber hinwegtäuschen kann, daß eine wahre Herzensnot
lange gebraucht hat, um sich zu ihm abzuklären.
Für ungefähr zehn Seelen ist die Liebe im Grunde Qual, Problem
und Schicksal. Sie liebeln, ja, weil es Frühling oder Sommer ist,
und weil es Mondlicht und Wiesenduft, Höhenrausch und Einsamkeit
und in jeder Jahreszeit andre Gelegenheiten gibt. Sie liebeln dreist
und zynisch durcheinander; aber sie liebeln doch nur nebenbei und
zwischendurch, neben und zwischen der großen Liebe, an der oder für
die sie verbluten. Der junge Musiker Korsakow erschießt sich, weil
er Frau Genia Hofreiter nicht besitzen kann, und der noch jüngere
Fähnrich Aigner wird erschossen, weil er sie besessen hat. Aigners
Eltern sind früh auseinandergegangen, weil er sie ein einziges Mal
betrogen hat, und beide gestehen nach zwanzig Jahren, daß sie keinen
und keine nachher je wieder wirklich geliebt haben. Der Bankier
Natter weiß, daß ihn seine Adele jeden Monat mit einem andern be¬
trügt und liebt sie doch so rettungslos, daß er ein Leben ohne sie nie¬
mals ertragen würde. Der Doktor Mauer bietet Erna Wahl den
Frieden und die Sicherheit, die sie nur anzunehmen brauchte, um
den braven Mann vielleicht für immer zu beglücken, und es ist möglich,
daß er nach ihr keine mehr begehren wird. Erna Wahl liebt Friedrich
Hofreiter, der sie am Wendepunkt seines Daseins von sich stößt. Denn
er hat Erna zwar genommen, wie so viele Frauen und Mädchen, aber
ist sich klar darüber, daß er doch nur Genia liebt — Genia, um
derentwillen...
Zwischen Genia und Friedrich spielt das eigentliche Drama. Wenn
es beginnt, ist sie ihm unheimlich, kann er ihr beinah nicht verzeihen,
daß sie um eines Schemens, eines Nichts, eines Phantoms, nämlich
um ihrer Tugend willen jenen jungen Korsakow hat sterben lassen.
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