II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 865

WG
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24. bas—
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Wenns schließt, hat er, in blinder Wut und giftiger Eifersucht und
großer Liebe, den noch viel jüngern Aigner totgeschossen, den sie
erhört hat — sei es aus Erinnerung an den Fall Korsakow, sei es
aus Rache für die Erna Wahl, sei es aus simpler Sehnsucht nach
der Wärme eines unverbrauchten und naiven Menschen. Zwischen Anfang
und Ende sieht man wenig Versuche der beiden, zu einander zu kommen,
und das ist nicht nur ein dramaturgischer Einwand, sondern hat wahr¬
scheinlich auch empfindliche Gemüter gegen das Ethos der Dichtung
eingenommen. Die beiden Menschen, kann man sagen, kämpfen nicht
genug, um so leicht unterliegen zu dürsen. Für mich ist es aus¬
schließlich ein dramaturgischer Einwand. Denn ihre Kämpfe liegen bei
Beginn des Stückes hinter ihnen. Sie wissen um einander Bescheid.
Sie sagen, daß sie nichts mehr wünschen und nichts mehr hoffen, und
tun es im stillen doch. Sie kennen ihre Tragik: zueinander zu gehören,
aber einander nicht festhalten zu können. Weil sie die Reinheit dieses
Glücks nicht finden, beschmutzen sie sich; weil man sie ganz nicht haben
will, zersplittern sie sich. So geht es Genia, so geht es den andern.
Durch das Stück dröhnt nicht pathetisch und wimmert nicht sentimental,
sondern spricht bald gefaßt und mit gütigem Lächeln, bald hinter Scher¬
zen verborgen ein tiefer Schmerz über die Unsicherheit aller mensch¬
lichen und gar aller erotischen Beziehungen, über die furchtbare Ein¬
samkeit jeder bessern Seele und über die Aussichtslosigkeit jedes
Kampfes gegen diesen traurigen Zustand. Von vierzehn Menschen
sind höchstens drei glücklich, und das sind Trottel.
Also könnte „Das weite Land' genan so gut „Der einsame Weg'
heißen. Manches in beiden Dichtungen stimmt nicht blos wörtlich,
stimmt erst recht nach Stimmung und Umständen überein. Wie die
junge Johanna Wegrath zu dem alternden Sala bedingungslos sagt:
„Ich liebe dich!“, so sagt bedingungslos zu dem alternden Hofreiter
die junge Erna Wahl: „Ich liebe dich!“ Aber der „Einsame Weg',
der den Vorzug hatte, früher da zu sein, war auch voller, wog auch
schwerer. Sala hat eine andre Existenz als Herr Friedrich Hofreiter,
dem ich entweder die Glühlichterfabrikation oder seine Differenziertheit
glaube. Es handelt sich nicht um die Branche: aber da geht nicht alles
zusammen. „Hineinschauen in mich kannst du doch nicht — das
kann keiner“, versichert er seiner Frau. Bis auf den Dichter, ver¬
sichern wir Schnitzlern, der es leider unterlassen hat. Wir wollen
lieber ein enges Land ganz als ein weites Land fast gar nicht kennen
lernen. Darum bereichern uns mehr die mäßig komplizierten Men¬
schen, die hier vor uns entfaltet werden. Es kommt nämlich wirklich
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