II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 866

Land
24. Das weite
box 29/6
nicht darauf an, in wie tiese Menschen, sondern mit wie scharfen Blicken
ein Dichter in Menschen hineinsieht. An Hofreiter ist vielleicht nur ein
Zug — wie er lügt, mit wie seinem Bewußtsein er lügt, und daß er
sich dabei selbst nicht belügt — nur dieser eine Zug ist vollkommen ge¬
glückt. Aber um ihn lebt es. Das Theater hat Arbeit.
Brahm hat der Dichtung das Herz herausgebrochen und sie zur
Entschädigung in ein „prächtiges Gewand gesteckt. Indessen will ich
den richtigen Schnitzler lieber zwischen Fetzen als den verbrahmten
zwischen echten Hölzern und den bunten Zaubern eines wienerischen
Gartens hören. Für die Halle eines Dolomitenhotels herrschte auf der
Bühne ein angemessen reges, für Schnitzlers Gesprächskomödie ein viel
zu reges Leben, da es von ihr ablenkte. Gerade im Lessingtheater
müßte man wissen, daß der Schein niemals die Wirklichkeit erreichen
soll. Von den Schauspielern wurde die Wirklichkeit insofern erreicht, als
Reichers Hoteldirektor Aigner dem Autor Schnitzler aufs Haar und auf den
Bart, Forests Schriftsteller Albertus Rhon (aus dem „Zwischenspiel)
unserm Peter Altenberg auf Kneifer, Sprechmanier und jede Geste
glich. Ohne solche Hilfsmittel war die Grüning eine amüsante wiener
Schwatzschwester im ungefährlichen Alter, Herr Ziener ein genügend
blonder Tennisblödian, Herr Froböse ein bemerkenswert scharf um¬
rissener Bankier Notter. In eine einsame Zukunft blickte Herr Marr
als Doktor Mauer mit der Klarheit eines anständigen Herzens, auf
eine einsame Vergangenheit als Schauspielerin Anna Aigner Fräu¬
lein Sussin, die die feinsten Töne einer guten Künstlerin und guten
Mutter hatte. Wichtiger als alle diese ist die Dreiheit: Erna, Friedrich,
Genia. Fräulein Herterich und Herr Monnard blieben ganz unzu¬
länglich. Sie gab diesem klugen und tapfern Geschöpf zuerst ein
Dauerlächeln, zuletzt eine Schmerzgrimasse, die keine Empfindung
verriet und keine erweckte. Er hat weder Geist genug, uns Herrn
Hofreiter zu erklären, noch Persönlichkeit genug, sich selbst als ein
deutlicher Mensch an die Stelle einer verschwimmenden Figur zu setzen.
Ihr Ton war leer, sein Ton war subaltern, und wenn sie von ihrer:
Liebe sprachen, so hatte man das unbehagliche Gefühl einer Unappetit¬
lichkeit. Dagegen die Triesch! Welche Freude, sie nach so langer
Zeit wiederzusehen! Sie füllt die Bühne. Ihr Schicksal beklemmt uns,
auch wenn sie nicht redet. Sie ist, als diese gequälte Frau, wahrhaft
von Schmerz umflossen. In ihren Augen, in ihrer Haltung, in den
müden Abwehrbewegungen und im Ringen der Hände — darin liegt
alles, was Schnitzler mit seiner Dichtung hat sagen wollen: daß wir
immer allein sind, daß es keine Verschmelzung von Seele und Seele gibt.
346