24. Das veite Land
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inzwischen werde sie ja doch endlich gekommen sein. Aber
was sehe ich? Neben Hauptmann liegen noch andere am
Wege, die Herrn Minor nicht folgen konnten oder nicht folgen
wollten: -Holz und Schlaf und Sudermann haben es auch, als sie
Wasser in ihren veristischen Wein zu schütten begannen, zu keinem
dauernden Erfolg mehr gebracht. Halbe, Hirschfeld und Langmann
haben Während Schnitzler die Klaue des Löwen sehen läßte.
Es ist freilich gefehlt, einem alten Bergführer, anstatt ihm die Klaue
des Löwen zu zeigen, Wasser in den Wein zu schütten und dadurch
einen alten Phrasenkletterer zu reizen. Aber daß Johannes Schlaf
so etwas getan haben soll, ist die Beschuldigung eines Führers,
der nicht mehr mitkann und darum aus Bosheit den Geführten beim
Fuß herunterzieht. Das Alibi eines Bergführers, der zum Toten¬
gräber wurde. Daß er dabei so leichtfertig verfährt, einen Gerhart
Hauptmann in dasselbe Massengrab zu werfen, in das die Herren
Sudermann, Halbe und Hirschfeld förmlich hineingeboren wurden
und in dem sie schon gelegen sind, ehe sie Herr Minor mitnehmen
wollte — ist ein Kapitel für sich, um sich bei der Hoteldirektion
zu beschweren. Damit könnte die Beschwerde über das elende
Deutsch dieses kreuzbraven Alplers in einem gehen. Denn: Schnitzler
rzuckt nicht mit einer Wimper dabei, wodurch er uns seine
Zustimmung oder seine Abneigung verraten könnte.Mütter, die
auf die verheiratete Geliebte ihres Sohnes zugleich sehr gut und
sehr böse sinde.Er gründet sich als Hoteldirektor in den Dolomiten
eine neue Existenz und hat sich, obwohl die Kinder in der Um¬
gebung nicht selten seine Züge tragen, nach Jahrzehnten noch
so wenig über ihren Verlust getröstet, daß.. (Uber wessen Verlust?
Der Jahrzehnte, der Züge, der Umgebung, der Kinder, der Existenz
oder der Dolomiten? Nein, der Gattin.) -Es wird aber so
sein, wie im „Baumeister Solneß“, nämlich daß Erna in dem von
Jugend an Geliebten den starken und rücksichtslosen Willen, in
dem sie sich mit ihm begegnet, in der Gefahr der Verkümmerung
sieht und ihn nicht bloß lieben, sondern auch retten will; jeden¬
falls ist sie in dieser Gesellschaft . . .. in einem Höhenrausche
in der nächsten Nacht im Hotel ... nicht mehr hat in den Tod
gehen lassen, sondern ihn erhört und in seinen nächtlichen Um¬
armungen .. Ein Schauspieler aber gefällt Herrn Minor so gut,
„daß es den Anschein hat, als ob von dieser Seite ein vollgiltiger
Ersatz für Kainz im Burgtheater selber im Ausreifen wäre.-
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Und so etwas verleiht Dichterpreise, sitzt in allen
Ausschüssen der Unsterblichkeit und ist, sooft die Literatur
das Bedürfnis hat, sich aufs hohe Roß zu setzen, zur
Stelle. Herr Jakob Minor soll eine lesbare Schiller-Biographie
geschrieben haben. Ich glaube es nicht, aber es ist möglich.
Daß er keine lesbare Schnitzler-Kritik geschrieben hat, ist sicher.
Immerhin glaube ich, daß es mir geglückt ist, den Wert
der Historik an jenen Vertretern gezeigt zu haben, die von der
Gegenwart so exemplarisch blamiert wurden. Mein von künftigen
Historikern unbestrittenes Verdienst ist es, zwischen Leben und
Phrase aufgeräumt und jene Typen definiert zu haben, die bloß
die Kruste der Phrase sind. Wenn es mir gelungen ist, nachzu¬
weisen, daß diese bärtigen Gräuel, die uns mit Salbung und
Bildung das Leben besprenzen, nur ein schwacher Abklatsch von
Lustspielfiguren aus den Siebzigerjahren sind, so bin ichs zufrieden
und ich dürste nicht nach dem Ruhm, schon jetzt dafür in den
Brockhaus zu kommen. Aber ich suche den Burschen, der diesen
und den Meyer mit zeitgenössischer Literatur versorgt. Ich will
mich einmal, wenn mich die Flöhe des Tags auslassen, den Wanzen
der Unsterblichkeit widmen und zeigen, mit welcher Gründlichkeit
das Publikum belogen wird und mit welcher Frechheit dieselbe
Clique, die die Literaturwerte des Tages kotiert, an der Börse des
Nachruhms ihre Geschäfte macht. Die Leute, die den Blick über die
großen Zusammenhänge und das Talent für die guten Verbin¬
dungen haben, vom Katheder zu stoßen und den Historiker als
rückwärts gekehrten Schapsl zu entlarven, ist nachgerade eine
unabweisliche Pflicht geworden. Der Journalismus hat die Welt
mit Talent verpestet, die Historizismus ohne dieses. Hier- muß
tief in den Boden geschnitten werden, den das Handwerk hat.
Es gibt auch eine Zeitexotik, die der Unbegabung ganz ebenso zu
Hilfe kommt wie die Behandlung ausländischer Milieus. Ent¬
fernung ist in jedem Fall kein Hindernis, sondern das Mimikry
mangelnder Persönlichkeit. Der Historiker lebt davon, daß er
zurückschreibt, und kaum einer von jenen, die in historischen
Kreisen als Künstler gerühmt werden, könnte in journalistischen
als Reporter Karriere machen. Eher kann schon einer, der nicht
nachkommen kann, und weil er kein Hopf sein will den Andern
herabzieht, ein vertrauenerweckender Bergführer sein,
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inzwischen werde sie ja doch endlich gekommen sein. Aber
was sehe ich? Neben Hauptmann liegen noch andere am
Wege, die Herrn Minor nicht folgen konnten oder nicht folgen
wollten: -Holz und Schlaf und Sudermann haben es auch, als sie
Wasser in ihren veristischen Wein zu schütten begannen, zu keinem
dauernden Erfolg mehr gebracht. Halbe, Hirschfeld und Langmann
haben Während Schnitzler die Klaue des Löwen sehen läßte.
Es ist freilich gefehlt, einem alten Bergführer, anstatt ihm die Klaue
des Löwen zu zeigen, Wasser in den Wein zu schütten und dadurch
einen alten Phrasenkletterer zu reizen. Aber daß Johannes Schlaf
so etwas getan haben soll, ist die Beschuldigung eines Führers,
der nicht mehr mitkann und darum aus Bosheit den Geführten beim
Fuß herunterzieht. Das Alibi eines Bergführers, der zum Toten¬
gräber wurde. Daß er dabei so leichtfertig verfährt, einen Gerhart
Hauptmann in dasselbe Massengrab zu werfen, in das die Herren
Sudermann, Halbe und Hirschfeld förmlich hineingeboren wurden
und in dem sie schon gelegen sind, ehe sie Herr Minor mitnehmen
wollte — ist ein Kapitel für sich, um sich bei der Hoteldirektion
zu beschweren. Damit könnte die Beschwerde über das elende
Deutsch dieses kreuzbraven Alplers in einem gehen. Denn: Schnitzler
rzuckt nicht mit einer Wimper dabei, wodurch er uns seine
Zustimmung oder seine Abneigung verraten könnte.Mütter, die
auf die verheiratete Geliebte ihres Sohnes zugleich sehr gut und
sehr böse sinde.Er gründet sich als Hoteldirektor in den Dolomiten
eine neue Existenz und hat sich, obwohl die Kinder in der Um¬
gebung nicht selten seine Züge tragen, nach Jahrzehnten noch
so wenig über ihren Verlust getröstet, daß.. (Uber wessen Verlust?
Der Jahrzehnte, der Züge, der Umgebung, der Kinder, der Existenz
oder der Dolomiten? Nein, der Gattin.) -Es wird aber so
sein, wie im „Baumeister Solneß“, nämlich daß Erna in dem von
Jugend an Geliebten den starken und rücksichtslosen Willen, in
dem sie sich mit ihm begegnet, in der Gefahr der Verkümmerung
sieht und ihn nicht bloß lieben, sondern auch retten will; jeden¬
falls ist sie in dieser Gesellschaft . . .. in einem Höhenrausche
in der nächsten Nacht im Hotel ... nicht mehr hat in den Tod
gehen lassen, sondern ihn erhört und in seinen nächtlichen Um¬
armungen .. Ein Schauspieler aber gefällt Herrn Minor so gut,
„daß es den Anschein hat, als ob von dieser Seite ein vollgiltiger
Ersatz für Kainz im Burgtheater selber im Ausreifen wäre.-
21 —
Und so etwas verleiht Dichterpreise, sitzt in allen
Ausschüssen der Unsterblichkeit und ist, sooft die Literatur
das Bedürfnis hat, sich aufs hohe Roß zu setzen, zur
Stelle. Herr Jakob Minor soll eine lesbare Schiller-Biographie
geschrieben haben. Ich glaube es nicht, aber es ist möglich.
Daß er keine lesbare Schnitzler-Kritik geschrieben hat, ist sicher.
Immerhin glaube ich, daß es mir geglückt ist, den Wert
der Historik an jenen Vertretern gezeigt zu haben, die von der
Gegenwart so exemplarisch blamiert wurden. Mein von künftigen
Historikern unbestrittenes Verdienst ist es, zwischen Leben und
Phrase aufgeräumt und jene Typen definiert zu haben, die bloß
die Kruste der Phrase sind. Wenn es mir gelungen ist, nachzu¬
weisen, daß diese bärtigen Gräuel, die uns mit Salbung und
Bildung das Leben besprenzen, nur ein schwacher Abklatsch von
Lustspielfiguren aus den Siebzigerjahren sind, so bin ichs zufrieden
und ich dürste nicht nach dem Ruhm, schon jetzt dafür in den
Brockhaus zu kommen. Aber ich suche den Burschen, der diesen
und den Meyer mit zeitgenössischer Literatur versorgt. Ich will
mich einmal, wenn mich die Flöhe des Tags auslassen, den Wanzen
der Unsterblichkeit widmen und zeigen, mit welcher Gründlichkeit
das Publikum belogen wird und mit welcher Frechheit dieselbe
Clique, die die Literaturwerte des Tages kotiert, an der Börse des
Nachruhms ihre Geschäfte macht. Die Leute, die den Blick über die
großen Zusammenhänge und das Talent für die guten Verbin¬
dungen haben, vom Katheder zu stoßen und den Historiker als
rückwärts gekehrten Schapsl zu entlarven, ist nachgerade eine
unabweisliche Pflicht geworden. Der Journalismus hat die Welt
mit Talent verpestet, die Historizismus ohne dieses. Hier- muß
tief in den Boden geschnitten werden, den das Handwerk hat.
Es gibt auch eine Zeitexotik, die der Unbegabung ganz ebenso zu
Hilfe kommt wie die Behandlung ausländischer Milieus. Ent¬
fernung ist in jedem Fall kein Hindernis, sondern das Mimikry
mangelnder Persönlichkeit. Der Historiker lebt davon, daß er
zurückschreibt, und kaum einer von jenen, die in historischen
Kreisen als Künstler gerühmt werden, könnte in journalistischen
als Reporter Karriere machen. Eher kann schon einer, der nicht
nachkommen kann, und weil er kein Hopf sein will den Andern
herabzieht, ein vertrauenerweckender Bergführer sein,