II, Theaterstücke 24, Das weite Land. Tragikomödie in fünf Akten, Seite 877

Telephon 12.801
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„OBSERVEN
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I. österr. Leh. konz. Unternehmen für Zeilungs-Russchnilte
wirse lest der Badener Hohle glechfals der Raschtabait aus¬,
Wien, I., Concordiaplatz Nr. 4.
gegangen sein.) Aber es bleiben die Terrassen mit den Wind¬
lichtern, jene großstädtische Sommerfrischenatmosphäre, in der die
Rosen an den Stöcken so schwer und voll duften und eine
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Wagner=Ouvertüre aus dem Kurpark die Tarokpartie ganz über¬
flüssigerweise mufikalisch belästigt. Eine Kreuzung von gezähmter,
Siner Furzel. Für
kultivierter, von der Kurkommission kontrollierten Natur mit
den Vergnügungen verwöhnter Großstädter. Niemals
Tagesnenigkeiten.
Dorf, sondern immer Kurstadt, für die Liebhaber einer Hemd¬
ärmelerholung, einer schmucklosen grünen Graspoesie nicht ein¬
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gerichtet. Vielleicht mehr für den Fruhling und Herbst, ein Anfang¬
Die Winterrendenz.

und Endstadium der Sommerweise, eine Ouvertüre oder ein Schlußakt.
„ Zum Sejour Kaiser Karls in Baden.
Dennoch hat es eine eigentliche Saison für Baden niemals gegeben,
Von
zu jeder Jahreszeit hatte und hat es sein Publikum, diese Stadt
(1/1/777 Egon Dietrichstein.
ist im Winter beinahe ebenso wohnlich wie im Sommer, sie ist
für einen ununterbrochenen Fremdenverkehr bestimmt, mit einem
Baden, überflüssig der geographisch genaue Beisatz: bei Komfort und einer Ausstattung bestellt, die in den kältesten
Wien; denn während kein anderer Ort so sehr bei Wien liegt wie Monaten wärmt, und mit Gärten und Jausenstationen — die
Baden, ist uns kaum einer so fern wie jenes andere, großherzog= Krainerhütte, die Jammerpepi —, die in den heißesten kühlen.
liche. Baden bei Wien hat alles aufgesogen und aufgenommen,
Aber seine Glanzzeit ist der Frühling. Wenn die Villen
was für Wien wesentlich und spezialitätenhaft wäre. Es ist der
neu besiedelt werden und die Blumenplantagen im Kurpark ihre
wienerischste Ort auf der Welt und beinahe könnte man sagen,
bunte Fülle entfalten, wenn die Kämpfe um die elektrische Bahn
wienerischer als Wien selbst, denn Wien ist hier auf den kleinen nach Wien so wienerisch ausarten und die Einfahrt in Gumpolds¬
Umkreis einer Kurstadt konzentriert, also sozusagen ein eng= kirchen durch eine halbstündige Wartezeit gefeiert wird. Wenn
gedrängter Extralt Wiens. Eine Vorstadt, wobei der Ton auf das Schreibmaschinfräulein dem Tenor der antiquarisch bezeichneten
dem Wort Stadt liegt. Denn Baden war dereinst mondän, Arena, in der statt verfiorbener Gladiatorek Schwänke und Operetten
eine luxuriöse Stadt, ein Capua eher der Esser als der Geister, mit kühn ums Dasein kämpfen, mit beseligender Jnbrunst lauscht und
Kaffeehäusern, in denen sich die Melange nicht um eine Farben= die Dienstmädchen ihre eben frisch geschmückten Hüle auf der
nuance von der auf dem Stephansplatz unterschied, mit Pratersiakern, Rauhensteinhöhe im Sonntagsstaat weithin sichtbar ausstellen; wenn
die genau so wenig um die Taxe fuhren wie in unseren Bezirken der Kurparkhügel von Ausflüglern überschwemmt wird, unter
und selbst die Elektrische für den Massenverkehr ein wenig denen man den Ringstraßenkorso, das Wiener Kaffeehaus,
asthmatisch und körperschwach ist, wie eine neue Wiener die Leopoldstadt, die Deutsche Volkstheater=Premiere und den
Einrichtung ... War? Ist? Man weiß nicht recht, Rathausspießer, torkelnd, mit Vöslauerwein schwerem Kopft
ob man von alledem in der Gegenwart oder Vergangenheit wieder findet, die Bogenlampen im keimenden Grün gartenfest¬
reden soll, weiß nicht, wie vieles erhalten blieb glänzend flammen und die Musikanten jenes Lied spielen, das
und was alles ausgegangen ist. Denn gerade die Badener aus jeder Kommisseele kommt: „Ja, das haben die Mädchen so
Stammgäste, die alten Badener Stammgäste, sind seit Kriegs= gerge“ — oder auch ein anderes ...
ausbruch dem lieblichen Ort vielfach untreu geworden, weil die
Freilich, das ist nicht mehr das vornehme Baden, jenes
Backhendeln im Kursaal ja doch gropfert wurden und weil es Baden der modänen Gesellschaft, der Villen und Pensionen!
seine Schwierigkeiten hatte, mit dem Fiaker zur Krainerhütte zu Jener müden, etwas lähmenden Wiener Welt
Aur Schußler
fahren. Baden ist ernster geworden, ihm ist eine historische dch wienerischeste Dichter, so gerne bearbe
Rolle zugewiesen, es ist nicht mehr allein die Stadt der Ver- betzichnender für die Wesensart dieser Kolonie, als daß eines seiner
gnügungen und der Heilkuren. Und seit zwei Jahren hat für die Stücke „Das weite Land“, das eigentlich ein sehr enges Land,
Stadt eine neue Periode begonnen: Es ist die Winterresidenz eige Collageviertelerotik ist, sich neben dem Badener Kurparbe
Kaiser Karls, der auch heuer aus dem schattig=kühlen Laxenburg,
etäbliert häk.
das ein Schloß der schöneren Jahreszeit, eine ideale Sommerfrische
ist, in das wärmere Badener Klima übersiedelt ...
Und nun könnte man über soviel Schönheit und Lebens#
freude das Traurige und Häßliche, den eigentlichen Zweck der
Der Wiener Hof hatte immer eine Vorliebe für diesen Ort,
Stadt, vergessen, der Baden den Namen gegeben hat, könnte ver¬#
und jedes Kind weiß, daß einer seiner treuesten Anhänger gessen, daß es eine Stadt der kranken Gliedmaßen, des Ischias
Erzherzog Rainer war, von dem man, wäre er nicht ein Erz= und Rheumas ist, und die Musik, die hier aufrauscht, die Ver¬
herzog, sagen könnte: Er war ein Ehrenbürger von Baden ge- gnügungsfreude, die aufströmt, zum großen Teile eine Therapie##
wesen. Für Lokalchroniker und Bücherwärmer ist es jedenfalls ist. Könnte die Krankenwagen übersehen, die versteckt und seitab
eine dankbare Aufgabe, in den Archiven herumzustöbern und die zu den Korsostunden in den Park gerollt werden, weil es mit¬
historischen Größen zu exhumieren, die hier ein kleines Rheuma unter zur Heilung der Krankheit gehört,
daß man
in Schwefelquellen tauchten. Könige badeten und amäsierten sich an seine lahmen Beine vergißt. An diese Rollstühle,
und so ist das Studium der Kurliste beinahe dankbarer als die in die ein allzufrühes Uebel die rüstigste Jugend gezwängt hat ...
fossilen Römerreste aus der Tertiärzeit. Dieser Beitrag zur Und an den ständigen Omnibusverkehr zur Tuberkulosenstation
Geschichte der Stadt ist auch bereits geschrieben worden Alland. Es riecht hier nach Rosen und Parfüm. Aber auch sehr
und man liest eine imposante und reichhaltige Auswahl merkbar nach Schwefel. Irgendwo steht ein graues, weites Spital.
exotischer Fürstlichkeiten, eine allerhöchste Gesellschaft internationaler
Elwas entlegen und entrückt, so daß es die Ausflügler und
Buntheit, und man kann wohl sagen, daß Baden, dieses Baden
Spaziergänger nicht sehen. Seit dem Krieg ist dieses Spital etwas
bei Wien, mancherlei aufzuweisen hat, was die Stadt aus der
sichtbarer geworden, Baden eine Stadt von Prothesen und In¬
Umgebung unserer heimatlichen Zoue in die Sphäre der großen
Welt rückt.
validen, die Kuranstalten arbeiten an der Genesung von Soldaten,
die zu Krüppeln geschofsen wurden. Offiziere werden von ihren
Der Wiener, der ja im allgemeinen nicht nach Baden Dienern in Krankenstühlen geführt und es sind durchaus nicht
fährt, um Lokalgeschichte zu studieren, sieht freilich vor allem
immer alte Generale, die zu jener letzten Ruhe
nur das Wienerische. Er findet hier den Wienerwald wieder, heimkehren, bei der auch die Pension aufhörte..
Die
jene vornehme Villenlandschaft, die bei uns Cottage heißt. Kurstädte können sich in diesen ernsten Zeiten nicht mehr
Zwischen dem Badener Privatbesitz und den Döblinger Gärten
den Luxus erlauben, so fröhlich zu sein wie einst. Seit die
ist wirklich nur eine kleine geographische Differenz: Hier wie dort Patienten aus der Front kommen, ist Baden nicht mehr di
ein Frühling für die Reichen, die in den Genüssen einer ruhigen Stadt der unnumerierten Equipagen, in denen die kleine
Behaglichken schwelgen können, eine Kolonie von Kunstheimen,Komtessen in die Helenenialer Sonne fahren, und selbst Ban
deren ehrwürdigstes nun herrenles ist: Baumeisters bescheidenes
direktoren ihre Gigs chevaleresk selbst kutschieren, nicht mehr d
Häuschen. Diese Villen mit dem üppigen Grün, den Lauben Schauplatz großindustrieller und großaristokratischer Ausfahrte
und den Streckstühlen, auf denen pensionierte Kapitalisten oder seine reiche Landschaft ist ein Sanatoriumsgarten, es wird imn
Kaufleute, die sich zu achtzig Prozenten von ihrer Tätigkeit weniger Baden bei Wien, sondern eine Heilanstalt, in der
zurückgezogen haben, ihre Zigarre rauchen oder rauchten. gesegneten Schwefelquellen Kriegsdienste verrichten. Ein ser
(Die Zeitbestimmung wird wieder unsicher, denn wahrscheinlich krankes Nauheim, kein vergnügungssüchtiges Ischl meh
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