II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 42

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23 Der Schleien der Pierrette
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Rheinische Musik- und Theater - Zeitung.
## bezeiehnen ist, und die einzige Stelle ist, die mir
da er ihn schlafend wähnt, rüttelt ihn. Doch kalt
mißfiel. Nicht als das, was er sein soll, denn der
und steif fällt die Leiche zurück. Voller Haß hebt
Walzer ist gut und wirkungsvoll, — aber er will mir
der Betrogene den Toten auf und setzt ihn aufrecht
in den ganzen Stil nicht mehr passen, doch das tut
auf das Sofa. Dann schenkt er sich Wein ein. Höhnt
ja nichts zur Sache, dem Publikum wird er stets
den Bleichen und winkt seiner Braut. Zur Liebe will
lieb sein und ein jeder wird sich darauf freuen. Eine
er sie zwingen, doch entsetzt stößt sie ihn zurück
ausgezeichnet charekteristische Stelle ist die Tanz¬
und sucht Schutz bei Pierrot. Arlechinos Wut wird
musik auf den zerschlagenen verstimmten Instru¬
zum Hohne, er selbst zum Rächer. Mit demütigem
Wie plastisch ist das zweimalige
menten gespielt.
Gruße verläßt er das Gemach und schließt Pierrette
„Nein“ Arlechinos durch die Streicher wiedergegeben.
mit dem Leichnam ein. Diese rast zur Für, doch sie
Dohnanyi folgt überhaupt den kleinsten phsychi¬
vermag sie nicht zu öffnen, zwecklos verhallt ihr Ruf
schen Momenten mit hingebender Liebe und feiner
um Hilfe. Aus Angst und Verzweillung bricht all¬
Erkenntnis. Das Zwischenspiel zwischen dem zweiten
mählich der Wahnsinn bei ihr aus. Ihre Bewegungen
und dritten Bild stellt für mich den Höhepunkt dar
nehmen den Rhythmus des Tanzes an, der immer
und bewies, daß der Komponist auch in neuzeitlicher
toller wird, bis sie entseelt zu den Füßen Fierrots
Sprache zu reden weiß, von der er manchmal nicht
zusammenbricht. Die Freunde und Freundinnen des
den nötig ausgiebigen Gebrauch gemacht hat. Alles
ersten Bildes kehren zurück, sie öffnen die Tür. Im
Gute und Schöne hier einzeln aufzuführen, wäre zu
Walzerschritt nähern sie sich den beiden, verbeugen
weitläufig. Daß das letzte Bild etwas abfiel, ist nur
sich — und merken erst jetzt, daß in diesem Raume
der Darstellung zuzuschreiben, die uns nicht glaub¬
der Tod herrscht. Sie fliehen.
haft zu machen wußte, daß hier alles aus innerem
Zu dieser Pantomime hat Ernst von Donanyi
Zwang heraus so kommen mußte. Pierette tanzte
die Musik geschrieben. Schon im Anfange vermutete
sich wohl zu Tode, aber warum, blieb ihr wohl
man, daß hier ein Tondichter sprach, der in ehrlichem
selbst ein Rätsel. Frl. Tervanis Kunst ist eben
Ringen bestrebt ist, die Wahrheit zu sagen und der
nicht groß genug, um zur Ueberzeugung zu werden.
sich von phrasenreichem Blendwerk fernhält. Diese
Manches ist ihr gelungen, aber im großen ganzen
Hoffnung wurde im Laufe des Abends erfüllt.
waren die Mängel überwiegend. Herr Sost als
Ohne gerade ausgesprochene Eigenart zu besitzen,
Pierrot, Herr Trede als Arlechino taten ihr Bestes.
ist Dohnanyi doch ein Künstler von großen Quali¬
Frl. v. Chavanne und Herr Nebuschka waren
täten. Seine musikalische Linie ist ausgezeichnet, wie
in Nebenrollen beschäftigt. Die Regie führte Herr
er zum Beispiel die Mittelstimmen zu führen weiß,
Ballettmeister Berger. Doch warum muß es auf
nötigt zu voller Anerkennung. Mancher fein er¬
der Bühne dunkel werden, wenn Pierrot erscheint?
dachte Kontrapunkt erfreute, und nicht zuletzt die
Die Anwesenden außer Pierette sollen doch nichts
Art seiner Instrumentierung. Wie fein wirkt gleich
davon merken. Auch müßte die Erscheinung durch
im Anfange, als Pierrot das Bild Pierettes betrachtet,
Spiegelung gemacht werden und nicht durch abge¬
die Klarinette in schmerzlich sehnsuchtsvollem Motiv;
brauchte Theaterkniffe. Wäre es nicht ratsam, vor
wie sinnig und vornehm ist der erste Walzer, den
die ganze Bühne einen leichten Gazeschleier zu
die Freunde tanzen, wie schön die Solovioline als
spannen, um die Illusion zu verstärken?
Pierrot Pierette küßt. Daß bei dem Gifte gestopfte
Zum Schluß das Beste: Herr v. Schuch und
Hörner zur Verwendung kamen, durfte man von
sein Orchester waren mit einem Worte unvergleich¬
von vornherein annehmen. Das erste Bild mit
lich! Das Publikum nahm die Novität gut auf. Wir
traurigen Klängen schließend, führt in den Walzer
können freudig einen größeren Erfolg konstatieren.
des zweiten Bildes über. Temperamentvoll ist dieser
F. Lindt.
Walzer, der mit dem landesüblichen Wort „Reißer“.
Siegfried Wagners Banadietrich.
Uraufführung in Karlsruhe, besprochen von Proi. C. C. Goos.
mit dem Bösen einen Bund schließt und später in
Hor 10 Jahren erlebten wir die Uraufführung
rücksichtsloser Abkehr von der Reue und Versöhnung
von Siegfried Wagners Bärenhäuter, und seit¬
den Rat des Freundes, die Botschaft der immer noch
her sind alle dramatischen Werke des Dichter¬
SA
harrenden Geliebten von sich weist, mit Tod und
komponisten mit Ausnahme von „Herzog
Teufel unerschrocken kämpft, ja sogar der mahnenden
Wildfang“ und „Sternengebot“ hier über die Bühne
Stimme des Herrn seinen Trotz entgegensetzt, bis ihn,
gegangen, so auch jetzt wieder zum ersten Male
da er schon mit der wilden Jagd dahinrast, die fern¬
„Banadietrich“. Die Dichtung verwertet die bekannten
her erklingende Bitte Schwanweißens zur Umkehr
alten Sagen von der Rabenschlacht und dem Verrate
bringt. In den Tiefen des Wassers umgibt sie mit
Wittichs, verbindet aber damit spätere Volksmärchen
ihren Begleiterinnen den Beglückten.
von dem gebannten, d. h. verfemten Dietrich, der
Diesen Stoff hat nun der Dichter mit allen mög¬
wendisch Pan (Herr) Dietrich, das ist eben Bana¬
lichen sagen- und märchenhaften Zügen so sehr be¬
dietrich heißt. Der Dichter stellt den Helden als Ver¬
hängt, daß auch die beste Darstellung nicht alles giaub¬
#treter übermenschlichen Trotzes dar, der in der Not
haft zu machen vermag, und vor allem der Hörer mehr
den Eingebungen des Teufels (Raunerat) folgend die
mit äußerlichem Staunen als wirklicher Teilnahme all
geliebte, unschuldige Schwanweiß verstößt, sich von
Rannerat zum Frevel am Gottesdienst verlocken läht, den Abenteuerlichkeiten folgt. Dietrich schreckt im