Theater, Kunst und Titeratur.
Der Schleier der Pierrette.
Pantomime in drei Bildern von Arthur Schnitzler
Musik von Ernst von Dohnäunyi.
Erste Aufführung in der königlichen Oper am 7. Mai 1910.
Die vereinzelten Bersuche, die in den letzten.
Jahren auch von namhafteren Komponisten unter¬
nommen worden sind, das Ballet wieder zu einer
höheren Kunstform zu adeln, haben sich als künst¬
lerische Nieten erwiesen. Mochte auch der Hinweis,
daß man eine Tanzlegende, ein Tanzpoem dichten
wolle, die höhere artistische Ambition des Libret¬
tisten und Komponisten andeuten, im Grunde stan¬
den Handlung und Musik nach wie vor hinter den
zillusionistischen Reizungen zurück, die Balletmeister,
Costumier, Dekorationsmaler und Maschinist zu
vermitteln beflissen waren. Die Schnitzler¬
Dohnäny i'sche Pantomime „Der Schleier
[der Pierrette“, die heute auf der Bühne der
königlichen Oper zur Aufführung gebracht wurde,
ist endlich ein wirkliches Kunstwerk. Die Arbeit eines
Dichters, der es vermochte, in den knappen Rahmen
einer dramatisch bewegten, logisch bestimmten Aktion
auch psychologische Vertiefung zu tragen, gleichzeitig
doch auch den Bedürfnissen des Choreuten durch
organische Entwicklungsmöglichkeit der Tanzformen
zu entsprechen; die Arbeit vor Allem eines genialen
Tonkünstlers, in dessen Musik unter der stummen
Aktion die subtilsten lyrischen, dramatischen und sze¬
nischen Intentionen des Textdichters in Formen zum
Klingen gebracht werden, deren Schönheit und Geist
allein hinreichen würde, dem Doppelwerk vornehmste
künstlerische Bedeutung zu sichern.
Arthur Schnitzer hat das Libretto zu der
Pantomime aus seinem shakespearisirenden preciös¬
artistischen Versdrama „Der Schleier der Beatrice“
herausgeschält, und das tragische Schleiermotiv in
ein Dramolet von prächtiger Knappheit gefaßt.
Pierrot ist tiefbetrübt ob der Treulosigkeit seiner
Pierrette. Da erscheint sie, schon die Braut Arlecchino's,
schleier darüber, in der Wahnung des Liebsten ...
Der Schleier offenbart Pierrot die ganze Wahrheit.
Sie löst ihn willig aus dem Haar, daß er zu Boden
fällt. Aber es gilt den Abschied auf ewig, oder den
gemeinsamen Tod. Pierrot leert sein Glas, da sieht
er Pierrette schwanken und zittern. Noch hat er die
Kraft, ihr den Giftbecher aus der Hand zu schleudern,
dann stirbt er. Die entsetzte Pierrette flüchtet. In
die freie Lebensluft hinaus, ins Elternhaus zurück,
in dem die Hochzeitsgäste harren. Schon dreht sich
Alles im fröhlichen Reigen, doch die Braut fehlt. In
zorniger Ungeduld erwartet Arlecchino die Verlobte,
die vergebens im ganzen Haus gesucht wird. Wüthend
stellt er sie zur Rede. Er läßt sich endlich durch ihren Lieb¬
reiz beschwichtigen und reicht ihr den Arm zum Tanze.
Da steigt vor Pierrette, nur ihr sichtbar, das Phantom
Pierrot's empor. Ihr jähes Erschrecken weckt den
neuen Argwohn Arlecchino's und mit Eins bemerkt
er, daß Pierrette ihren Schleier nicht mehr trage
Die zornwüthige Frage nach dem jungfräulichen
Symbol. Zagende, zitternde Ausflüchte Pierrette's,
vor der plötzlich wieder das Phantom Pierrot's er¬
schein“ den Schleier in den Händen. Pierreite sucht
ihn zu erhaschen, Arlecchino faßt ihre Hand und
folgt ihr, wohin sie willenlos, fast bewußtlos eilt —
in Pierrot's Zimmer. Dort liegt der Schleier, und
in der anderen Ecke der todte Liebhaber. Hier also
brach sie die Treue! Arlecchino schleppt den Leich¬
nam an den noch reichbesetzten Tisch und zwingt
Pierrette, dem Todten zuzutrinken. Dann läßt er sie
mit ihm allein und schließt die Thüre. Die entsetzte
Pierrette tanzt sich in den Wahnsinn und sinkt end
lich vor Pierrot entseelt zu Bohen. Die Thüre wird
erbrochen; die eintretenden Freunde erblicken das
tedte Lie espaar.
Die Musik Dohnänyi's imponirt vor Allem
durch ihre künstlerische Würde. Sie ist in jedem
Takte die Aeußerung einer warmblütigen, geistvollen
e
Der Schleier der Pierrette.
Pantomime in drei Bildern von Arthur Schnitzler
Musik von Ernst von Dohnäunyi.
Erste Aufführung in der königlichen Oper am 7. Mai 1910.
Die vereinzelten Bersuche, die in den letzten.
Jahren auch von namhafteren Komponisten unter¬
nommen worden sind, das Ballet wieder zu einer
höheren Kunstform zu adeln, haben sich als künst¬
lerische Nieten erwiesen. Mochte auch der Hinweis,
daß man eine Tanzlegende, ein Tanzpoem dichten
wolle, die höhere artistische Ambition des Libret¬
tisten und Komponisten andeuten, im Grunde stan¬
den Handlung und Musik nach wie vor hinter den
zillusionistischen Reizungen zurück, die Balletmeister,
Costumier, Dekorationsmaler und Maschinist zu
vermitteln beflissen waren. Die Schnitzler¬
Dohnäny i'sche Pantomime „Der Schleier
[der Pierrette“, die heute auf der Bühne der
königlichen Oper zur Aufführung gebracht wurde,
ist endlich ein wirkliches Kunstwerk. Die Arbeit eines
Dichters, der es vermochte, in den knappen Rahmen
einer dramatisch bewegten, logisch bestimmten Aktion
auch psychologische Vertiefung zu tragen, gleichzeitig
doch auch den Bedürfnissen des Choreuten durch
organische Entwicklungsmöglichkeit der Tanzformen
zu entsprechen; die Arbeit vor Allem eines genialen
Tonkünstlers, in dessen Musik unter der stummen
Aktion die subtilsten lyrischen, dramatischen und sze¬
nischen Intentionen des Textdichters in Formen zum
Klingen gebracht werden, deren Schönheit und Geist
allein hinreichen würde, dem Doppelwerk vornehmste
künstlerische Bedeutung zu sichern.
Arthur Schnitzer hat das Libretto zu der
Pantomime aus seinem shakespearisirenden preciös¬
artistischen Versdrama „Der Schleier der Beatrice“
herausgeschält, und das tragische Schleiermotiv in
ein Dramolet von prächtiger Knappheit gefaßt.
Pierrot ist tiefbetrübt ob der Treulosigkeit seiner
Pierrette. Da erscheint sie, schon die Braut Arlecchino's,
schleier darüber, in der Wahnung des Liebsten ...
Der Schleier offenbart Pierrot die ganze Wahrheit.
Sie löst ihn willig aus dem Haar, daß er zu Boden
fällt. Aber es gilt den Abschied auf ewig, oder den
gemeinsamen Tod. Pierrot leert sein Glas, da sieht
er Pierrette schwanken und zittern. Noch hat er die
Kraft, ihr den Giftbecher aus der Hand zu schleudern,
dann stirbt er. Die entsetzte Pierrette flüchtet. In
die freie Lebensluft hinaus, ins Elternhaus zurück,
in dem die Hochzeitsgäste harren. Schon dreht sich
Alles im fröhlichen Reigen, doch die Braut fehlt. In
zorniger Ungeduld erwartet Arlecchino die Verlobte,
die vergebens im ganzen Haus gesucht wird. Wüthend
stellt er sie zur Rede. Er läßt sich endlich durch ihren Lieb¬
reiz beschwichtigen und reicht ihr den Arm zum Tanze.
Da steigt vor Pierrette, nur ihr sichtbar, das Phantom
Pierrot's empor. Ihr jähes Erschrecken weckt den
neuen Argwohn Arlecchino's und mit Eins bemerkt
er, daß Pierrette ihren Schleier nicht mehr trage
Die zornwüthige Frage nach dem jungfräulichen
Symbol. Zagende, zitternde Ausflüchte Pierrette's,
vor der plötzlich wieder das Phantom Pierrot's er¬
schein“ den Schleier in den Händen. Pierreite sucht
ihn zu erhaschen, Arlecchino faßt ihre Hand und
folgt ihr, wohin sie willenlos, fast bewußtlos eilt —
in Pierrot's Zimmer. Dort liegt der Schleier, und
in der anderen Ecke der todte Liebhaber. Hier also
brach sie die Treue! Arlecchino schleppt den Leich¬
nam an den noch reichbesetzten Tisch und zwingt
Pierrette, dem Todten zuzutrinken. Dann läßt er sie
mit ihm allein und schließt die Thüre. Die entsetzte
Pierrette tanzt sich in den Wahnsinn und sinkt end
lich vor Pierrot entseelt zu Bohen. Die Thüre wird
erbrochen; die eintretenden Freunde erblicken das
tedte Lie espaar.
Die Musik Dohnänyi's imponirt vor Allem
durch ihre künstlerische Würde. Sie ist in jedem
Takte die Aeußerung einer warmblütigen, geistvollen
e