II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 110

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23. Der Schleier der- Bierrette
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führten Szenen lassen zwar reichlich die Möglichkeit zu,
durch geschlossene Nummern Ruhepunkte in die Bewegung
zu bringen, aber sie sind nicht Selbstzweck, sondern ordnen
sich willig dem Drama unter, das in seiner reinen Mensch¬
lichkeit dem Hörer nahe geht. Pierrot, Pierrette und Arle¬
quino bedeuten nichts anderes als Symbole oder Typen,
die jeder kennen lernt, der ins volle Menschenleben sehen¬
den Auges schauen will. An der Aufführung waren unsere
ersten Opernkräfte beteiligt. Von Herrn Waschmann
wissen wir ja längst, daß er alle seine Rollen auch dar¬
stellerisch immer sehr geschickt anpackt. Drum war es von
vornherein sicher, daß er den unglücklichen Pierrot ergrei¬
fend mimen werde. Prachtvoll anzusehen war der Arle¬
quino des Herrn Winkelmann. Das Dämonische des
von wildester Eifersucht und Rachegier erfüllten und um
sein Eheglück betrogenen Ehemannes brachte er überzeugend
zur Geltung. Sehr wesentlich wurde er dabei durch sein
stilvolles Kostüm unterstützt, das anzusehen ein Genuß für
sich war. Ausgezeichnet hat sich Fräulein Nigrini als
Pierrette gehalten. Stellt die Rolle schon an die Physis
Oper.
der Darstellerin ganz bedeutende Forderungen, so ist es
Der Schleier der Pierrette.“) Susannens
nicht weniger leicht, sie geistig auszugestalten. Fräulein
Geheimnis. Am 18. August, dem Geburtstage unseres
Nigrini hat sich nach beiden Richtungen vortrefflich be¬
Kaisers beginnt in Prag in der Regel die Opernsaison Auch
währt und gezeigt, wie verwendbar sie auch in Rollen ist,
heuer fallen die ersten Premieren auf diesen Tag und es ist ein
die weitab von ihrer eigentlichen Domäne liegen. Die
eigenes Spieldes Zufalles, daß die Festvorstellung heu er durch
Wahnsinnsszene noch etwas dämonischer auszugestalten,
die Wahl der für die Aufführung bestimmten Werke äußer¬
mag sie für die bevorstehenden Wiederholungen bemüht sein.
lich genau der des Vorjahres glich. Voriges Jahr Robert
Den Beschluß des Abends bildete der Einakter Wolf¬
Kontas Tanzpoem „Der bucklige Geiger“, heuer Ernst von
Ferraris „Susannens Geheimnis“. Musikalisch eine der
Dohnanyis Pantomime „Der Schleier der Pierrette“, vori¬
entzückendsten Komödien der letzten Jahre. Und kann nicht
ges Jahr Adams Einakter „Der Torreador“, heuer der
gleich den Weg über alle deutschen Bühnen finden! Auch
Einakter von Wolf=Ferrari „Susannens Geheimnis“. Diese
hier ist der Mann der Eifersichtige. Aber die Eifersucht des
beide Novitäten verdienen es, gekannt und aufgeführt zu
Grafen hat nichts von Tragik an sich. Man weiß, daß hier
werden. Ernst von Dohnanyi müßte als Komponist eigent¬
sich alles noch zum Guten wenden wird, daß der Sturm,
lich besser gekannt sein als dies tatsächlich der Fall ist,
der bevorsteht, nur der Sturm im Wasserglas ist. Und so
denn er hat die Musikliteratur und namentlich die Kammer¬
ist es in der Tat. Des Grafen empfindliche Nase wittert
musik um manches wertvolle Werk bereichert, hat preisge¬
im Boudoir seiner Gattin Zigarettenrauch, der nach seiner
krönte Symphonien und Lieder geschrieben und doch zählt
Meinung nur von einem Nebenbuhler herrühren kann, mit
er, der jetzt in Berlin als Professor an der Kgl. Hochschule
dem ihn die Gräfin betrügt. Aber bald erkennt er, daß er
für Musik wirkt, ungerechterweise nicht nach Gebühr mit.
seiner Gattin Unrecht getan. Denn die Gräfin selbst ist
Daß er nicht zu den Findern neuer Pfade, zu den Weg¬
es, die sich die Zigarette zur Freundin erkoren hat. Dieser
weisern in die Zukunft, aber doch zu den talentiertesten
an sich ja ganz harmlosen Handlung, die Golisciani nach
unter den jüngeren schaffenden Musikern gehört, ist eine
dem Fränzösischen erfunden und Kalbeck meisterlich ins
Tatsache, die neuerdings durch die Vorzüge seiner Panto¬
Deutsche übersetzt hat, müßte man nur eine etwas knappere
mime erhärtet wird. Er hat Einfälle, die einprägsam und
Fassung wünschen. Bei aller Unterhaltsamkeit wickelt sie
bildungsfähig sind, seine Melodien sind festumrissen, sein
sich doch mit viel größerem Behagen als Witz ab. Aber
Kontrapunkt verrät Gewandtheit und seine Art zu instru¬
die Musik Wolf=Ferraris, diese glückliche Kreuzung von
mentieren lebhaften Sinn für Farbenmischung. Der Alt¬
welscher Sinnenfreudigkeit und deutscher Biederkeit, ver¬
Wiener Stil gelingt ihm ganz ausgezeichnet und nur ein¬
söhnt mit allem. Schon die reizende Ouverture ist ein
mal glaub ich, fällt er aus dem Stil heraus: Beim Walzer,
entzückendes Plauderstückchen, das einen sogleich in die
der vom ersten zum zweiten Bild hinüberleitet, der ganz
Stimmung versetzt. Leider hat die Aufführung nicht befrie¬
im Stile von 1890 gehalten ist. Daß der Schleier der
digen können. Bei allen Vorzugen, die man billigerweise
Pierrette nicht in eine nur locker zusammengehaltene Suite
Fraulein Catopol und Herrn Kant immer zubilligen
von Tänzen ausarte, hat Axtuux¬
Hler, von dem
wird — die rechten Vertreter für diese Spielpartien sind
das packende Libretto stammt, vorgebaut. Die straff ge¬
sie nicht. Herr Kant ist noch nicht elegant genug und
Fräulein Catopol verachtet grundfätzlich die Deutlichkeit des
*) Verlegt bei Ludwig Doblinger in Wien.
Wortes. Soweit ihre Schneiderin und Modistin in Frage
kommt, hat sie allerdings befriedigt. Als Opernregisseur
und Erbe des Herrn Trummer fungierte zum erstenmale
Herr Kurt Stern. Man darf auf seine Tätigkeit Hoff¬
nungen setzten, und die Praxis, die er sich aus Amerika
mitgebracht hat, wird ohne Zweifel jetzt dem Ensemble
zugute kommen. Der musikalische Leiter der Anfführung
war Kapellmeister Ottenheimer, der merken ließ, wie
großes Wohlgefallen er an den beiden aufgeführten Werken
gefunden hat. Die Aufnahme sowohl der Pantomime wie
des Einakters war warm. Wiederholt hatten die Mitwir¬
kenden Anlaß, sich an der Rampe zu zeigen. Aber der)
äußere Erfolg hätte viel lauter sein müssen.
Xy.