II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 125

23. Der Schleien der pierrette
Telepben Mas9l.
„UDSERTER
I. Seterr. bebördl. konz. Unternehmen für Zeitunge-Ansechaltte
Wien, I., Conoordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
Tühelienangabe oune Geu#ll
Ausschnitt aus:
vom: 23061 10
Der Schleier der Dierrette.
Eine Schauernantowime löste gestern im Neuen
Stadttheater starken Premierenbeifall aus. Sie
befriedigt vorwiegend brutale Instinkte. Die
stoffliche Verwandtschaft mit dem Nepertoire ge¬
wisser Kinematographen=Theater liegt nahe. Wir
haben in Leinzig ganz reizende Werke nam Genre
der Pantomime gehabt; ich erinnere z. B. an den
„verlorenen Sohn“; auch das Loewenfelbsche Werk¬
chen war hübsch. Gegen die Gattung selbst ist also
nichts einzuwenden. Es fragt sich nur, ob solch

gräßliche Vorgänge, wie sie dem
Egerschf
*
Stück „Der Schleier der Pierrette“
bei Ausschaltung der die Seele erhellenden Sprache
oder des Gesanges, allo lediglich unter Anwendung
der Gebärde, nicht zu einer ziemlich rohen Schau¬
stellung herabsinken. Mein Empfinden zwinat mich
das leider zu beiahen; ich habe mich nicht im
mindesten künstlerisch erhohen, nielmehr abgestoben
gefühlt. Die Handlung ist schnall stirziert: Vierrattg
muß den düster=unheimlichen Arlechino zum Manne
nehmen.
eilt om Hochteitschend heimlich zu
ihrem Geliebten Pierrot und hält mit ihm eine
letzte Liebesfeier, die ein gemeinschaftlicher Selbst¬
mord beschließen soll. Pierrot leert den Giftbecher,
box 27/5
aber Pierretten fehlt die gleiche Courage. Sie
stürzt zurück in den Hochzeitssaal. Dort fühlt
sie sich durch die in ihrer Phantasie auftauchende
(dem Zuschauer ebenfalls sichbar gemachte) ge¬
spenstische Erscheinung Pierrots erschüttert. Der
Tote winkt ihr mit dem Schleier, den sie neben
ihm zurückließ. Magnetische Gewalt reißt sie an
den Leichnam. Dort überfällt der Wahnsinn die
Unglückliche; sie führt neben dem Selbstmörder ein
Elektratänzchen auf und stürzt entseelt nieder.
Mit einem ungeheuren orchestralen Aufwand
lieferte E. von Dohnanyi dazu die musikalische
Illustration. Störend ist vor allem die unsägliche
Breite. Die Tänze im Hochzeitssaal wollen schier
kein Ende nehmen. Hier verstimmt die Absicht des
Komponisten, durchaus seinen Walzer mit mög¬
lichstem Aplomb anzubringen und unter allen Um¬
ständen dem Ballettkorps Gelegenheit zur Ent¬
faltung von Gelenkigkeit zu bieten. Deshalb die
Handlung aufzuschieben ist
unkünstlerisch.
Merkt niemand eher, daß die Braut fehlt? Wie¬
viel Unwahrscheinlichkeit in der ganzen Geschichte!
Dohnanvi will offenbar Alt=Wien emporzaubern.
Mit diesem modernen orchestralen Impasto? Viel
u dick! Daß seine Arbeit natürlich auch manche
chönbeiten aufweist, daß er aft treffend charaktori¬
siert, dies kann ihm zugestanden werden. Den Bei¬
fall möchte ich auf das Konto der Darsteller setzens
Die Herren Klinghammer und Kase sowie
Fräulein Sanden die in einer speziellen Kunst
aattung durchaus Bemerkenswertes leisteten. Dis
Ballettmeisterin Fräulein Grondona ward mis
Recht gerufen. Verdient machte sich vor allent
Kavellweister Pollak...
Auf die Tragödie bätte
zur Verscheuchung böser Träume ein Satyrspie!
folgen müssen. Man schenkte uns aber statt er¬
heiternden. prickelnden Chamvagners einen abge¬
standenen Schlaftrunk: Halévys „Der Blitz“
Gute Nacht! Den alten Herrn wollen wir i
Frieden lassen! Wir haben andere Ansichten über
diese sogenannte komische Over als die Herrschaften
von 1825. Einzelne hübsche Evisoden können nur
schwer über die tödliche Lanaeweile hinweghelfen.
die das Merk ausströmt. Reden wir nicht mehr
über die Mumie. Von den vier Mitwirkenden war¬
Fräulein Merrem besonders reizend, Herr¬
Schroth wirkte sveziell durch seinen frischen.
kecken Humor, der zu schwer angelegte Lionel des
Herrn Jäger ließ mich ziemlich kalt (die Partie
entspricht nicht dem Naturell des Künstlers), Fräu¬
lein Eichholz erfüllte ihre Pflicht. Für Reaie
und musikalische Direktion zeichneten Herren
Marion und Kanellmeister Conrad. Solche
verblaßte Merke, die aus der Zeit stammen.
da der Großnater die Großmutter nahm. haben sich
schorsoht Marnm herttsschtigt won nicht roizende
Schöpfungen neuerer Meister? Warum bekommen
wir nichts Götl „Botkas 2iernunnen“ zu bären?
*
0
Mill man aber auf Länastbewährtes zurückareifen.
warum ergnickt man uns nicht mit wirklich anten
Spielopern? Könnte denn an der Leipziger Oper
niemand z. B. den Postillon von Lonjumeau singen?
Die kamische Oper zu pflegen ist immer dankbar.
P. Daehne.