W
deutendes. Aber wie gesagt, der Komponist der
„Jüdin“ — das allein ist Halévy.
Ganz anders gestaltet ist die Schnitzlersche Pan¬
tomime „Der Schleier der Pierrette“. Der
Geist eines Amadeus Hoffmann bläst den Zuschauer
an. Das Romantisch=Gräßliche hat im letzten Jahr¬
hundert viel an Raum gewonnen. V. Hugos „Notre
Dame“, Grillparzers
„Ahnfrau“
Mayerbeers
„Robert“, Marschners Vampyr“, Strauß' „Salome“,
wären hier in bunter Reihe zu nennen. Bei Schnitz¬
ler macht das Nebeneinander die eigentliche und zwar
sehr starke Wirkung aus. Eine fremde Welt tritt
mit ihren unerfindlichen Kräften, ihren ahnenden
Dämmerungen und verhängnisreichen Beziehungen
in innigen Konnex mit der realen, die wir unsere
Welt nennen. Die Vergeltung geht als Gespenst ein¬
her. Und zu der Lebensfreude von Alt=Wien tritt
der denklich schärfste Pessimismus in grellen Kontrast.
An sich ist's gewiß keine Neuigkeit, daß ein, Braut
gewordenes Mädchen sich in einer letzten Liebesnacht
verabschiedet vom Geliebten, um aus seinen Armen
in die eines ungeliebten aber reichen Hagestolzes zu
fallen — als ehrsame Ehefrau.
25
Dieser einfachen
Nealität begegnet Schnitzlers Phantastik. Man weiß
kaum mehr, ist's nun Wirklichkeit oder Dichtung.
Denn seine Alt=Wiener Typen, der Bräutigam, die
Braut und der Liebhaber — kurz das ganze dreieckige
Verhältnis steht unter dem Zeichen der Narren¬
kappen und der Schellen, die für Pierrot und Pierrette
leise das Grabgeläute anheben, der Bräutigam aber
ist der Arlechino, ein Gigerl und Bourgeois zugleich,
der das Nachsehen hat und nur noch den Sargdeckel
zuzuklappen braucht. Es sind lauter amoureuse
Karikaturen, die das Leben und alles Seiende
parodieren und schließlich die Larve wegwerfen, so
daß hohle Totenschädel uns angrinsen. Das Liebes¬
paar fühlt in dunkelstem Empfinden den Tod schon
von ferne und streift den Frack und die raschelnden
De#ous ab, um sich ins fahle Leichentuch zu hüllen.
Auch der Sensenmann hat nach seiner Art grausigen
Humor und eine ganz verwünschte Frou=Frou=Manier.
Dem Zuschauer aber überläuft's. Nur weiß er manch¬
mal nicht ganz sicher, ob es ein pikantes Frisson oder
Grabeskälte sei ...
Die pantomimischen Vorgänge auf der Bühne
wirkten ungefähr wie lebende Photographien mit
sinfonischer Orchesterbegleitung. Kennt man die
Akteurs vollends, so will's einem doch schwer ein¬
leuchten, warum sie in hartnäckigem Schweigen ver¬
harren müssen. Um so weniger, als Ernst von Doh¬
nanyis Musik sehr interessant und sehr melodisch ist.
Der Tondichter verfolgt die szenischen Vorgänge haar¬
scharf. Was er gibt, ist zu allergrößtem Teil sein
eigen; nur zuweilen, z. B. im zweiten Bilde, stockt
der musikalische Fluß etwas, wird hier und dort auch
'mal eine Gedankenanleihe gemacht. Der Ton der
Alt=Wiener Gemütlichkeit und Fidelität ist gut ge¬
troffen. Von ihm hebt sich dann das eigentlich dra¬
matische Element sehr bedeutend ab.
Im Orchester.
und seiner durchweg modernen Behandlung ist viel
Kolorit und Leben, vor allem (oder vielleicht trotz¬
dem?) stets Klarheit und leicht übersichtliches Stimm¬
gewebe. Man darf von Dohnanyis starkem Talent
ohne Zweifel noch weiteres Treffliche erwarten. Das
Orchester spielte unter Herrn Kapellmeister
Pollaks Anführung glänzend, brachte alles an
Melodie Rhythmik und Dynamik zu bester Geltung
und verhalf dem Ganzen zu hoher kunstlerischer Wir¬
kung.
Frl. Grondona hatte die Pantomime
tadellos einstudiert und führte strenge Regie. Die
Pierrette des Frl. Sanden mußte man bewundern.
Ihre Gesten, Mienen, Bewegungen sprachen wahrhaft
beredt. Alles war Leben, Natur und Wahrheit in
Verbindung mit Eleganz und absoluter Sicherheit.
Dasselbe gilt von der lyrischen Pierrotgestalt des
Herrn Klinghammer. Viel Spieltalent gab sich
hier kund. (Vielleicht wäre es, ogl. „Hoffmanns Er¬
zählungen“ besser und illusionsfördernder, ließe man
die gespenstische Erscheinung vor Pierrettes Augen im
falben Lichte emporsteigen aus der Versenkung, statt
sie hereinwandeln zu lassen in die Szene.) Der
Arlechino des Herrn Kase hatte Würde im
chmerz, ergreifende Leidenschaft im Gefühl erfah¬
er Zurücksetzung. Angemessen waren die anderen
en Partien besetzt.
manyis Werk hatte sehr lebhoften Erfolg.
n dem alten Herrn Haläwn mit Reserve be¬
soll niemand abhalten, wiederholt sich der
Spieloper zuzuwenden. Man wird doch auf
sebiet auf viel Schätzenswertes und künstlerisch
rchaus Lebenskräftiges stoßen. Allein schon
such ist hier an sich dankenswert.
Eugen Sean4
deutendes. Aber wie gesagt, der Komponist der
„Jüdin“ — das allein ist Halévy.
Ganz anders gestaltet ist die Schnitzlersche Pan¬
tomime „Der Schleier der Pierrette“. Der
Geist eines Amadeus Hoffmann bläst den Zuschauer
an. Das Romantisch=Gräßliche hat im letzten Jahr¬
hundert viel an Raum gewonnen. V. Hugos „Notre
Dame“, Grillparzers
„Ahnfrau“
Mayerbeers
„Robert“, Marschners Vampyr“, Strauß' „Salome“,
wären hier in bunter Reihe zu nennen. Bei Schnitz¬
ler macht das Nebeneinander die eigentliche und zwar
sehr starke Wirkung aus. Eine fremde Welt tritt
mit ihren unerfindlichen Kräften, ihren ahnenden
Dämmerungen und verhängnisreichen Beziehungen
in innigen Konnex mit der realen, die wir unsere
Welt nennen. Die Vergeltung geht als Gespenst ein¬
her. Und zu der Lebensfreude von Alt=Wien tritt
der denklich schärfste Pessimismus in grellen Kontrast.
An sich ist's gewiß keine Neuigkeit, daß ein, Braut
gewordenes Mädchen sich in einer letzten Liebesnacht
verabschiedet vom Geliebten, um aus seinen Armen
in die eines ungeliebten aber reichen Hagestolzes zu
fallen — als ehrsame Ehefrau.
25
Dieser einfachen
Nealität begegnet Schnitzlers Phantastik. Man weiß
kaum mehr, ist's nun Wirklichkeit oder Dichtung.
Denn seine Alt=Wiener Typen, der Bräutigam, die
Braut und der Liebhaber — kurz das ganze dreieckige
Verhältnis steht unter dem Zeichen der Narren¬
kappen und der Schellen, die für Pierrot und Pierrette
leise das Grabgeläute anheben, der Bräutigam aber
ist der Arlechino, ein Gigerl und Bourgeois zugleich,
der das Nachsehen hat und nur noch den Sargdeckel
zuzuklappen braucht. Es sind lauter amoureuse
Karikaturen, die das Leben und alles Seiende
parodieren und schließlich die Larve wegwerfen, so
daß hohle Totenschädel uns angrinsen. Das Liebes¬
paar fühlt in dunkelstem Empfinden den Tod schon
von ferne und streift den Frack und die raschelnden
De#ous ab, um sich ins fahle Leichentuch zu hüllen.
Auch der Sensenmann hat nach seiner Art grausigen
Humor und eine ganz verwünschte Frou=Frou=Manier.
Dem Zuschauer aber überläuft's. Nur weiß er manch¬
mal nicht ganz sicher, ob es ein pikantes Frisson oder
Grabeskälte sei ...
Die pantomimischen Vorgänge auf der Bühne
wirkten ungefähr wie lebende Photographien mit
sinfonischer Orchesterbegleitung. Kennt man die
Akteurs vollends, so will's einem doch schwer ein¬
leuchten, warum sie in hartnäckigem Schweigen ver¬
harren müssen. Um so weniger, als Ernst von Doh¬
nanyis Musik sehr interessant und sehr melodisch ist.
Der Tondichter verfolgt die szenischen Vorgänge haar¬
scharf. Was er gibt, ist zu allergrößtem Teil sein
eigen; nur zuweilen, z. B. im zweiten Bilde, stockt
der musikalische Fluß etwas, wird hier und dort auch
'mal eine Gedankenanleihe gemacht. Der Ton der
Alt=Wiener Gemütlichkeit und Fidelität ist gut ge¬
troffen. Von ihm hebt sich dann das eigentlich dra¬
matische Element sehr bedeutend ab.
Im Orchester.
und seiner durchweg modernen Behandlung ist viel
Kolorit und Leben, vor allem (oder vielleicht trotz¬
dem?) stets Klarheit und leicht übersichtliches Stimm¬
gewebe. Man darf von Dohnanyis starkem Talent
ohne Zweifel noch weiteres Treffliche erwarten. Das
Orchester spielte unter Herrn Kapellmeister
Pollaks Anführung glänzend, brachte alles an
Melodie Rhythmik und Dynamik zu bester Geltung
und verhalf dem Ganzen zu hoher kunstlerischer Wir¬
kung.
Frl. Grondona hatte die Pantomime
tadellos einstudiert und führte strenge Regie. Die
Pierrette des Frl. Sanden mußte man bewundern.
Ihre Gesten, Mienen, Bewegungen sprachen wahrhaft
beredt. Alles war Leben, Natur und Wahrheit in
Verbindung mit Eleganz und absoluter Sicherheit.
Dasselbe gilt von der lyrischen Pierrotgestalt des
Herrn Klinghammer. Viel Spieltalent gab sich
hier kund. (Vielleicht wäre es, ogl. „Hoffmanns Er¬
zählungen“ besser und illusionsfördernder, ließe man
die gespenstische Erscheinung vor Pierrettes Augen im
falben Lichte emporsteigen aus der Versenkung, statt
sie hereinwandeln zu lassen in die Szene.) Der
Arlechino des Herrn Kase hatte Würde im
chmerz, ergreifende Leidenschaft im Gefühl erfah¬
er Zurücksetzung. Angemessen waren die anderen
en Partien besetzt.
manyis Werk hatte sehr lebhoften Erfolg.
n dem alten Herrn Haläwn mit Reserve be¬
soll niemand abhalten, wiederholt sich der
Spieloper zuzuwenden. Man wird doch auf
sebiet auf viel Schätzenswertes und künstlerisch
rchaus Lebenskräftiges stoßen. Allein schon
such ist hier an sich dankenswert.
Eugen Sean4