II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 198

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23. Der Schleien der pierrette
machen, für den vergötterten Italiener ein¬
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was hilft es, wenn sich der mannhafte
auf die Bühne gezogen wurde, so fiel sein Entree nicht Schablonc mit einem „Vogelliede“ beruhigt? Es wurde
der Entschlossenheit nur in den Honorar.
weiter auf, und der Emipfang blieb den Dorfbewohnern] so hübsch von Frau Kiurina gesungen und war
äußert, die denen des kostbaren Rivalm
gewachsen sind?
überlassen. In das „Hoch Canio!“ mischten sich nur doch so langweilig wie der Vortrag eines Ex ovo¬
vereinzelte „Hoch Caruso!“. Es dauerte eine Weile, ehe Ornithologen. Und dann ein Duett mit Herrn
wie schon der Name Caruso (Car ’uso)“
das erkältete Publikum sich erwärmte. Das unbedeutende
ein Gastspiel des Sängers ein teurer
Schwarz, und noch ein Duett mit Herin Ritt¬
Einladungszeremoniell und die wenigen belanglosen
n zur Alltagsgewohnheit zu erweitern, ver¬
mann, immer mit dem Unrechten, bis endlich kurz
Zwischenbemerkungen des Bajazzo, wie „Scher' dich
vor Schluß der Rechte kam. Wiederum hat er nicht viel
von selbst. Der Glücklichen, die ihre Be¬
fort“ oder „Mit Vergnügen“ konnten kein Aequivalent
hmit Kassenscheinen von 10 Kronen aufwärte
zu sagen und zu singen — aber es ist doch die Stimme
für die dargebrachten Opfer bieten. Caruso, der anfangs
inen, gibt es in einei Millionenstadt, die
Carusos, mit der in wenigem so viel ge¬
nicht sonderlich gut disponiert schien, wäre am liebsten
t der Millionäre ist, zu wenige, und ent¬
sungen und gesagt wird, und sein meisterhaftes
gleich ins Wirtshaus gegangen. Zum Glück
söhne Fortunas, die um das viele Geld,
dramatisches Spiel glüht persönliches lebendiges
hatte er erst noch ein Arioso von fünfzig Takten
cht besitzen, keinen Platz mehr für die Er¬
Leben. Man zittert dann, daß ihn die Leidenschaft
zu singen, das er mit der vollen Kraft seiner herrlichen,
stellung erhalten konnten, werden sich, gleich
heiser machen, daß er in einem begreiflichen Anfall
gesetzlich geschützten Copy=right=Stimme in das
titleidenswerten, auch fernerhin mit den
von Naturalismus mit der krächzenden Wut des
freudig bewegte Haus schmetterte. Natürlich erweckte
Carusoscher Sangeskunst begnügen müssen,
rasenden Othello nach dem Namen des Ehrentäubers
es einen Sturm von Applaus. In Italien wäre schon
As einzig zuverlässiger Freund in der Not
fragen könnte wie jener nach dem Taschentuche. Doch
jetzt „bis“ geschrien worden, und Canio hätte die
sichter des Grammophons an den Kopf!
nein, obwohl sein „II nome!“ an das berühmte
Warnung, vorkommendenfalls das Spiel in Wahrheit
„II Fazzoletto!“ Salvinis erinnerte, hielt er die
zu verkehren, wiederholen müssen. So grausam sind
htete das nicht höher als bei Camso
hohen Töne tadellos rein. Seine Eifersucht erschien in
wir in dem gemütlichen, rücksichtsvollen Wien nicht,
Publikum die erste Hälfte des gestrigen
der gewähltesten musikalischen Toilette, und „Bajazzos
uns sind selbst das Musikdrama eines Leoncavallo und
s von vornherein als verloren, so hatte
Lied“, der Schwanengesang des Betrogenen, das vom
die Indisposition eines Künstlers heilig. Caruso muß
die Novität doch wenigstens so weit
Schicksal des Komödianten in erschütternden
abtreten, nachdem er kaum aufgetreten ist. Seine
m die beiden Autoren die guten Leute sein
Tönen klagt, entfaltete seine mächtigen, mit
Rolle besteht darauf. Wann wird er wiederkommen?
dem Golde des edelsten Tenors verbrämten
sie sind, und die Mitwirkenden heraus¬
Um neun Uhr gewiß, denn dann beginnt ja „die
eigentliche Ungeduld begann erst bei der
Schwingen in nie dagewesener Wucht und
Komödie der Kolombine“. Gott sei dank, es ist schon
Pracht. Jetzt erschollen endlose „Bis!“, aber Caruso
Einleitung zu Leoncavallos „Bajazzo“.
halb zehn Uhr; er ist also gleich wieder da! Jeder¬
keitspurige, großmäulige Prolog Tonios,
begnügte sich damit, bei geschlossener Gardine zu
mann scheint den Kopf verloren und vergessen zu haben,
Aufmerksamkeit angehört worden. Zwar
danken. Der Triumph des Künstlers war entschieden.
was alles an musikalischen Zwischenfällen sich im
an Herrn Schwarz für sein eingelegtes
Kein materielles Opfer erschien den dankbaren Zuhörern
Verlaufe der kleinen Oper ereignet. Jede Nummer
er mehr, um sich Bewegung zu machen,
mehr zu groß für den Genuß, der sich ihnen darbot,
bringt eine neue Enttäuschung. Die Glocken
ilbarkeit, und erwartete in fieberhafter
und wenn ein peinlicher Statistiker die „Notenwerte“1
des folgenden Chors läuteten eitel Trauer und
der Rolle dahin berechnete, daß dem Sänger jeder Ton
Ankunft des Thespiskarrens mit Canio¬
Resignation — ein Begräbnis törichter Hoffnungen
im „Bajazzo“ mit fünfzehn Kronen aufgewogen wurde,
dessen kein Enthusiast in kalabrischer
und unsinniger Wünsche. Haben wir jemals elwas Ab=s so wünschten wir, daß es eine Tenorpartie gäbe, mit
nit dem Vorspann die Rolle getauscht
geschmackteres und Albeneres erlebt, als daß Nedoa ihr der Caruso bei gleicher Honorierung am Abend eine
kuso von einem direkten ararischen Esel
schlechtes Gewissen nach allen Regeln einer veralteten] Million verdiente.
Max Kalbeck.