II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 197

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23. Der Schleiender Bierrette
anheischig machen, für den vergötterten Italiener ein¬
zugewinnen — aber der Wiener Hausherrnsohn vom vielen reizenden Einfällen des Komponisten besser ver¬
zuspringen — was hilft es, wenn sich der mannhafte
Grund, mag er sich statt Poldl oder Pepi immerhin trüge als mit seiner spitzfindigen, übergewissenhaften
Ernst ihrer Entschlossenheit nur in den Honorat¬
Arlechino nennen und die Unverständlichkeit der thematischen Motivierung, welche die Handlung beschwert
ansprüchen äußert, die denen des kostbaren Rivalen
Pantomime zum Deckmantel seiner Triebe mi߬
und aufhält, die Akteure in Verlegenheit bringt und die
allerdings gewachsen sind?
brauchen, müßte einen merkwürdig schweren Fall von
Zuhörer ermüdet. Eine Pantomime kann nicht prägnant,
Psychose abgeben, wenn er in dieser Beziehung mit einem
Ach, wie schon der Name Caruso (Car ’uso)
nicht einfach genug komponiert sein. Sonst fragt man
besagt, ist ein Gastspiel des Sängers ein teurer
Herzog von Bologna konkurrieren wollte. Schnitzlers
sich: Warum mühen sich die armen Leute so lange grund¬
Brauch; ihn zur Alltagsgewohnheit zu erweitern, ver¬
Bentivoglio benimmt sich anständiger und humaner: er
vergeblich ab, sich verständlich zu machen, warum reden
bietet sich von selbst. Der Glücklichen, die ihre Be¬
sichert dem toten Nebenbuhler, der ein sehr geliebter
oder singen sie nicht lieber? Der Pierrot des Herrn
geisterung mit Kassenscheinen von 10 Kronen aufwärts
Dichter ist, einen Platz in der eigenen Familiengruft
Czadill und der Arlechino des Herrn Godlewski
belegen können, gibt es in einer Millionenstadt, die
und geht über Beatrice, die er hochgeehrt vor allen
mimten Weltschmerz und Rache, daß es eine Art hatte,
keine Stadt der Millionäre ist, zu wenige, und ent¬
Frauen wünscht, zur Schlachtordnung über.
und das charmante Fräulein Jamrich tanzte Liebe,
erbte Stiefsöhne Fortunas, die um das viele Geld,
Wir haben den Text zum „Schleier der Pierrette“
Wahnsinn und Tod, ohne ihren bewährten Partnern
das sie nicht besitzen, keinen Platz mehr für die Er¬
oben ein gutes Ballettbuch genannt. Das wäre er auch,
als Mimikerin etwas nachzugeben; die reichste An¬
öffnungsvorstellung erhalten konnten, werden sich, gleich
wenn er den peinlich überraschten Zuschauern die letzte
erkennung aber, die ihnen zuteil wurde, stand in keinem
andern Bemitleidenswerten, auch fernerhin mit den
Szene ersparte und sich mit dem freilich sehr kon¬
Verhältnis zu der aufgewendeten Mühe.
Fragmenten Carusoscher Sangeskunst begnügen müssen,
ventionellen Schlusse begnügte, die Ungetreue mitten aus
Wie ein rechtschaffener Applaus klingt, war erst
die ihnen als einzig zuverlässiger Freund in der Nöt
dem Ballsaale der Hochzeitsfeier von dem Geiste ihres
zu hören, als der gesungene Bajazzo den gemimten
der Schalltrichter des Grammophons an den Kopf
„Pierrot abholen zu lassen. Sie könnte dann noch immer
Pierrot ablöste. Enrico Caruso war der Mann des
wirft.
in Raserei sterben. Aber mußte die Pantomime über¬
Tages, der Held des Abends. Schon die Ankündigung
haupt tragisch enden, da sie doch schon durch ihr heiteres,
Betrachtete das nicht höher als bei Caruso
seines Gastspieles hatte genügt, der Direktion einen
liebenswürdiges Milieu eher dem humoristischen Genre
schwörende Publikum die erste Hälfte des gestrigen
von unsern armen Hoftheatern lange vergebens ge¬
zuneigte? Was gäben wir darum, wenn Pierrot zuletzt
Theaterabends von vornherein als verloren, so hatte
hegten Wunsch zu erfüllen: das Haus war mehrere
so weit¬
aus seiner Schauerecke vom Sofa aufschnellte und mit
man sich für die Novität doch wenigstens
Tage vorher ausverkauft und bot am Abend der Vor¬
einer lustigen Polka pantomimisch zu verstehen gäbe, er
interessiert, um die beiden Autoren die guten Leute sein“
stellung bei festlichem Schimmer den seltenen Anblick
habe wie Tristan einen ganz andern Trank im Leibe
zu lassen, die sie sind, und die Mitwirkenden heraus¬
eines gut beleuchteten, dicht gefüllten Saales. Der
als den Todestrank, verzeihe den beiden die nächt¬
zurufen. Die eigentliche Ungeduld begann erst bei der
Toilettennimbus der Damen strahlte so hell, daß er
liche Ruhestörung, sei sogar bereit, mit ihnen zu
umständlichen Einleitung zu Leoncavallos „Bajazzo“.
auch das sonst auf dem Zuschauerraum lastende trübe
champagnisieren und mit dem Gatten der überspannten
Nie ist der breitspurige, großmäulige Prolog Tonios
Dunkel verjagt hätte, das, wie Fachmänner behaupten,
Gredl Brüderschaft zu trinken! Was gäben wir dorum?
mit geringerer Aufmerksamkeit angehört worden. Zwar
zur Erhöhung der Illusion das meiste beiträgt,
Mehr als die Hälfte der von Dohnanyi beigestellten,
applaudierte man Herrn Schwarz für sein eingelegtes
während der verstockte Laie erklärt, aus dem ersten
sehr gewählten und um ihr thematisches Fort¬
Schluß=G, aber mehr, um sich Bewegung zu machen,
Stadium der Hellsichtigkeit, dem Schlummer der
kommen nur allzu ängstlich besorgten, vortrefflich
Hypnose, kaum herauszukommen. Also auch in dieser denn aus Dankbarkeit, und erwartete in fieberhafter
instrumentierten Musik. Um ihre Wagnerähnlichkeit
Spannung die Ankunft des Thespiskarrens mit Canio¬
Beziehung sorgte Caruso für den Glanz unsres ehr¬
brauchte ihr nicht weiter bange zu sein. Aus dem Urenkel
Caruso. Da indessen kein Enthusiast in kalabrischer
würdigen Kunstinstituts. Nur schade, daß dem Aus¬
Wotans und dem Vetter Tristans wäre ein fideles,
nahmszustande keine Dauer verliehen werden kann. Bauerntracht mit dem Vorspann die Rolle getauscht
flottes Wiener Vorstadthaus geworden, das sich mit den Mögen noch so viele Ersatz=Carusos auftreten und sichhatte, und Caruso von einem direkten ärarischen Esel