II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 203

skon und der Aufführung:.
Gewiß doch auch das schöpferische Wohlgefühl, das darin liegt,
Vorgänge und Handlungen nicht umständlich durch Worte vor dem
Verstande rechtfertigen zu müssen. In der Pantomime sollen wir
Wissende werden durch die Gebärde. Die Gattung schließt also
eigentlich von vornherein alles aus, was sich nicht durch die bloße
Aktion mitteilen läßt, was, um begriffen zu werden, der „Literatur",
das heißt des Blickes ins „Textbuch“ bedarf. Aber der Wirkung
einer rechten Zauber= und Märchenpantomime und ihren Ueber¬
traschungswundern — ich erinnere hier an jene Oskar Nedbals —
wird sich kein phantasiebegabter Menich entziehen können. Wo das
Drama genau motivieren, Ursache und Wirkung vorbereiten muß,
herrscht hier die schöne Ungebundenheit und Grundlosigkeit des
(Traumes, das Recht, jeder gedachten Möglichkeit augenblicklich
nachzugehen. Die Pantomime vom „Ballet“ (im üblen Sinne) be¬
ffreien, das heißt sie nicht mit allem Zwang der Konvention an
das Tanzbein ausliefern, scheint mir keine geringe ästhetische Auf¬
gabe. Sie entspräche ungefähr der Säuberung der Oper vom Ueber¬
fluß rein lyrischer, rein gesanglicher Elemente. Der Heros der
Pantomime, wird er kommen?s Einstweilen leider herrschen die
Diadochen vor Alexander.
Schnitzlers Pantomime, deren Vorgeschichte und Inhalt
unseren Lesern aus dem Sonntagsblatt bekannt sind, krankt an dem
Uebel, daß sie nicht rein optisch verständlich wirkt, daß sie Voraus¬
ssetzungen und Bestandteile enthält, die sich gebärdlich nicht restlos
ausdrücken lassen. Sein Befassen mit diesem Genre ist wohl nichts
als eine gelegentliche Liebelei. Den Weg ins Freie ästhetischen
Neulands hat er damit nicht gebrochen. So stark die Geschichte bei
der Lektüre wirkt so wenig verfängt sie auf dem Theater, und es
ist nicht uninteressant, den Ursachen davon nachzugehen. Zunächst
shat eine „tragische Pantomime“ schon an sich etwas Mißliches. Die
Phantasie, die „im Behagen des Traumes“ sich willig dem be¬
zaubernden Spiele buntester Möglichkeiten hingibt, widerstrebt dem
olutigen Ernst der Szene, der mimischen Ableitung des Trauer¬
Ifalles und läßt sich ungern darauf ein, mit dem Grauenvollen und
Gräßlichen zu spielen. Vielleicht, wenn es gelänge, die Vorgänge
ganz phantastisch und spukhaft zu stilisieren. Aber so wird das
Märchenhafte des Genres das so recht etwas für Dämmerseelen ist,
fortwährend durch die Realistik der Darstellung und diese wieder
durch die Konvention des Genres desavouiert und man kann die
mit den Händen und Beinen in der Zeichensprache des Balletts
konversierenden, taubstummen Marionetten nicht menschlich nehmen,
nicht innerlich mitgehen, nicht mitleiden. Möglich etwa, daß ein Para¬
celsus der Töne, ein genialer Komponist, uns durch die Suggestion
der Töne die ästhetischen Querstände vergessen, daß er uns er¬
schauern, gruseln, unser Haar sich sträuben, unser Herz erbangen
und beben ließe und uns für den Augenblick „lebendige Stunden“
vortäuschte. Aber der treffliche Dohnanyi scheint wohl nicht
der Mann zu sein, uns das Fürchten zu lehren. O er „kann“
etwas. Er kann „alles“. Er versteht seinen Kontrapunkt und seine
Instrumentationslehre. Aber es fällt ihm nichts ein, als was
schon anderen eingefallen ist, und so wird seine Arbeit in der
Geschichte des Genres nur ein Zwischenspiel bleiben. Man vermißt
den Ruf des Lebens in diesem Reigen. Seine Themen sind mehr
sein Produkt des Gedächtnisses als der Intuition. Der Pfad, den er
einschlägt, ist kein „einsamer Weg“. Im Motiv des traurigen
Pierrots erkennt man sogleich die elegische Pyrase Siglindes und
das Motiv Pierrettens kann seine Abkunft von Carmen nicht ver¬
leugnen. Streckenweise glaubt man Tristan= und Nibelungenmusik
zu hören. Auch das „Strychninmotiv“ und das leidenschaftliche
Liebesmotiv kommt einem ziemlich bekannt vor und das „Abschieds¬
souper“ des Liebespaares wird von Mollrhythmen begleitet, die
einem bei geschlossenen Augen auch auf eine Veteranenleiche raten
ließen. Die Idee des Spieles mit verstimmten Instrumenten
kommt in der Ausführung mehr scheußlich als grauenhaft heraus:
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auch zu solchen Effekten gehört eben der göttliche Funke. „Gemacht.
ist das meiste sehr gut, aber den Eindruck einer geschickten Imi¬
tation wird man nirgends los. Freilich dehnt der Komponist jede
Szene übermäßig aus und beraubt sich so selbst des Vorteils, den
die Pantomime vor dem Musikdrama hat: des Befreitseins von
der umständlichen, logischen Motivierung. Es ist fast alles zu
lang, auch der mit Mahlerismen gewürzte Todestanz Pierrettes, so
(gar der „schieberische“ Walzer im Zwischenspiel vor dem zweiten
Bilde obzwar ich gern gestehe, daß die Tanzstücke weitaus die
glücklichsten Momente dieser Pantomime bilden. Herr v. Wy¬
metal hatte die Neuheit mit Geschmack und brillant inszeniert.
Vielleicht hätte sich aus einem schroffen Gegensatz des Milieus, die
ärmliche Stube Pierrots und das reiche Elternhaus Pierrettes,
mehr Wirkung herausholen lassen, aber dem widersprach wohl der
Text des Dichters, der den unglücklichen Liebhaber sogar mit einem
Kammerdiener ausstattet. Fräulein Jamrich als Pierrette war
ausgezeichnet: voll Anmut im Tanz und voll Drastik in ihren
Verzweistungskrampfen. Auch die Herren Czadill und God¬
lewski rivalisierten trefflich und das Orchester unter Schalk
zeigte sich wiederum seines Rufes würdig. Die Aufnahme der
Novität war flau und lau. Einige Leute applaudierten, einige
zischten. Das Gros zog es vor, sich still auf Caruso zu freuen.
Nach der nicht sehr kurzweiligen Pantomime kam als piece
de résistance der Bajazzo Carusos. Hier erreichte die Be¬
geisterung allerdings sizilianische Hitzegrade. Natürlich! Ein
Sänger, der für einen Abend 15.000 Kronen nicht bloß fordert,
sondern auch bekommt, muß enthusiasmieren. Wir leben in einer
Zeit nicht bloß der Fleisch=, sondern auch der Tenorteuerung. Die
Ritter vom hohen C gewähren sich Preisaufschläge und wollen nur
mehr zu Phantasiehonoraren singen. Nun liegt mir nichts ferner,
als unsern Sängern die günstige Konstellation zu mißgönnen, die
ihren Verdienst erhöht, aber obne, ein angemessenes Verhältnis
zwischen Lohn und Leistung wird sich die Sache nicht halten lassen.
Wenn ein Sänger für ein einziges Auftreten, für eine mäßige
physische und geringe geistige Bemühung ein Honorar fordert, das
den Jahresgehalt eines Universitätsprofessors übertrifft, so muß
dem blödesten Beobachter das Mißverhältais in die Augen
springen. Und schließlich braucht man nicht den Sänger anzu¬
klagen, der verlangt, was man iym gibt, sondern die Konsumenten,
welche dieses Begehren erfüllen. Was Wunder, wenn dann alles,
was Tenor besitzt und jenseits des Ozeans auch nur mit mäßigem
Erfolg gesungen hat, mit seinen Forderungen in die Höhe geht.
So regelt sich alles nach Angebot und Nachfrage. In dem Augen¬
blick, wo das Publikum nicht „nachfragt“, werden die Tenoristen
billig wie die Brombeeren und kann auch der ärmste Theater¬
direktor einen Heldentenor im Topfe haben. Je nun, das liegt
einstweilen noch in der Ferne. Aber wenn es auch kein öffentliches
„Recht auf Tenöre“ noch gibt, so bleibt es doch ein künstlerischer
Schaden, wenn nur die obersten Zehntausend Gelegenheit haben,
einen vorzüglichen Sänger zu hören. Von berühmten Pianisten
„hat man gehört, daß sie, nachdem sie sich im Konzert jede Note
mit Gold aufwiegen ließen, für Konservatoristen oder sonstige
kleine Leute Abende gaben. Aber wann hat je ein Tenor am
Schluß eines hoch bezahlten Gastspieles sich entschlossen, einmal zu
zivilen Preisen auszutreten? So lange sich die Herren selbst als
ein Luxus und nicht als ein Kulturfaktor fühlen, dürfen sie sich
nicht wundern, wenn man sie selbst nicht höher einschätzt.
Was nun Caruso betrifft so ließ sich wieder erkennen,
daß seine Berühmtheit kein leerer Wahn ist. Er gibt sich nicht als
Kehlkopfakrobat, sondern bewährt sich auch als guter Schauspieler.
Das wunderbar ausgeglichene, dunkel timbrierte Organ, das jeder
kleinsten Willensregung gehorcht, ist noch immer unversehrt.
Aber er ist heute wie je kein Stimmprotz und kein Renommier¬
sänger. Er will gar nicht auffallen, was in dem recht mäßigen
Ensemble, in das man ihn diesmal hineingestellt hatte, keine leichte
Sache war. Er singt, als ob es gar keine Kunst wäre, und bringt
einem die Glanztöne wie auf dem Präsentierteller entgegen.
Wie locker sitzt ihm jeder Ton, wie prachtvoll phrasiert, wie
natürlich, ohne alle Kulissenreißerei weiß er zu steigern. Er ist
wirklich ein Künstler und man begreift auch seine Popularität.
Freilich, aus dem glutäugigen Fra Diavolo von einst
ist ein behäbiger, feister Herr geworden, den man für einen Land¬
pfarrer nehmen könnte. Aber die Suggestion seines Namens hilft
über alles hinweg. Nach dem „Lache Bajazzo“ wollte das Publikum
ein Da capo förmlich erzwingen. Man glaubte für dreifache Preise
ein Recht wenigstens auf eine Wiederholung zu haben. Aber Bajazzo
lachte nicht zum zweiten Male und quittierte jeden Beifallssturm bloß
nit freundlicher Verbeugung. Sparkunst, Horatio!
R. B.
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Vom Allerhöchsten Hofe wohnten der Vorstellung bei: Seine
k.u. k. Hoheit Herr Erzherzog Franz Ferdinand in Admirals¬
unform mit Gemahlin Ihrer Hoheit Herzogin Sophie von Hohen¬
berg, ferner Ihre k. u. k. Hoheiten Herr Erzherzog Franz
Salvator mit Gemahlin Erzherzogin Marie Valerie
und Tochter, Frau Erzherzogin Blanka mit zwei Töchtern des
Erzherzogs Friedrich, Herzog und Herzogin von Parma.
Die übrigen Kunstnachrichten befinden sich in der Feuilleton=Beilage
gere eeebog
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RHEUHA, ISCHIAS, EXSUDATE.
Das beruhmte Schwimmbassin¬
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natürliches RADIUN-EMANATO-
HIUN mit unvergleichlicher Heil¬
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