box 28/1
23. Der Schleien der Pierrette
malt hat. Er ist nicht mehr komisch oder tragi= ohne den Umweg der Rede, dem Auge des Zu=] Paare auftaucht und in seiner Hand auch den gab
Fril
Brautschleier hält, der Pierrette im Zimmer
schauers sich unmittelbar verständlich zu machen
komisch, sondern eine mit Figuren Edgar Poes
reiz
Pierrots unter den Umarmungen ihres Ge¬
suchen. Pierrot ist niemand anderer als der
oder Barbey d'Aurevillys verwandte tragische
Art
liebten herabgeglitten und zu Boden gefallen
Dichter Philippo Loschi, Arlecchino der Herzog
Figur geworden. So kennt man ihn aus den
war. Pierrette muß über Geheiß Arlecchinos
1
Lionardo Bentivoglio, Beatrice hat das Kleid
Gedichten Verlaines und aus den Zeichnungen
den Schleier holen gehen, und wird, da sie sich
erst
Pierrettens angezogen, und das Bologna des
Willettes, und diesen Pierrot mit der modernen
sträubt, von Arlecchino in das Zimmer gezerrt,
sechzehnten Jahrhunderts, das mit seinen
hysterischen Seele besingt sogar das neue fran¬
in dem der tote Pierrot neben dem Schleier
Gassen und Mauern, mit dem Dom S. Petronio
zösische Chanson, wenn es zur Unterhaltung der
auf dem Boden ausgestreckt liegt. Hier
Tra
und den schiefen Türmen Garisonda und
Hörer Pierrot auf dem Sterbebett schildert:
muß Pierrette mit der Leiche ihres Geliebten
erst
Asinelli der Schauplatz des „Schleiers der
„Le corpe et l’esprit
allein bleiben. In der Geängsteten bricht der
Beatrice“ ist, hat sich in das Altwien der
sche
En capilotade,
Wahnsinn aus, und von Wahnsinn gepeitscht,
Biedermeier=Zeit verwandelt. Aus den Fenstern
zwe
Gravement malade
beginnt sie zu tanzen, immer schneller, immer
des Zimmers, worin Pierrot des Besuches der
60
Pierrot tient le lit;
Et dans sa demenre
atemloser, bis sie zum Schluß neben Pierrots
Do
Pierrette harrt, blickt man auf die Kirchtürme
Colombine pleure
Leiche tot zusammenfällt. Die Schnitzlersche
und Basteien Wiens, kurz, man ist im ange¬
Lamentablement
Pantomime, die wie die „Liebelei“ begann,
stammten Dichterbezirk Arthur Schnitzlers zu
Ta
Et prie hümblement
schließt wie die Hofmannsthalsche „Elektra“
Hause und weit weg von jenem Bologna, das
Dien d’être clément
und steigert die Wirkung des wildentfesselten
von Cesare Borgia belagert, eine letzte Nacht
Pour que son amant
Tanzes allerdings noch durch die abstoßende
der Wollust durchrast, in der Todesgedanken
Ne meure
Anwesenheit einer Leiche auf der Bühne. Ein
den Liebesgenuß erhitzen.
tier
Dieser moderne Pierrot ist auch der Held der
sonderbarer und doch so ganz moderner
geh
In dieses Altwiener Zimmer Pierrots
Schnitzlerschen Dichtung, und wie wenig lustig
Pas de deux zwischen einer tollen Pierrette
stürmt jetzt, mit dem Myrtenkranz und
es in dem Pierrotstück zugeht, kann man daraus
und einem toten Pierrot!
wie
dem wallenden Schleier der Braut ge¬
ersehen, daß der Mann mit dem bleichen Antlitz
Für diese mit Leichengift gebeizten Stim¬
Pa
schmückt, Pierrette hinein, um vereint
im ersten Akt sich vergiftet, im zweiten als
mungen der Pantomime ist Ernst von
int
mit ihrem Geliebten Pierrot den Gifttrank zu
Gespenst wiederkehrt und im dritten als Leiche
Dohnanyi nicht eigentlich der richtige Mann
leeren. Lichter werden angezündet und Blumen¬
mitspielt. Pierrette wird aln Schluß des dritten
gewesen. Seine Begabung ist zu liebens¬
vasen auf den Tisch gestellt, um das letzte Mahl
Aktes gar wahnsinnig und das Pierrotstück
würdig, sein Sinn fürs Graziöse zu sehr
festlich zu begehen, allein in der entscheidenden
endet mit einem gemimten Duett zwischen
ausgeprägt, als daß er echte Töne für das
Kon
Minute entsinkt Pierrette der Mut, zu sterben,
einem Kadaver und einer Wahnsinnigen, gewiß
Düstere und Unheimliche des Textes hätte
und ihre zitternde Hand vermag das Glas nicht
einem effektvollen und an die Nerven greifen¬
aufbringen können. Zwar weiß er als ge¬
vom Tisch zu heben, während Pierrot das seine
den Schluß, aber, Hand aufs Herz, wer wäre
bildeter Musiker, wie man das Blech
Di
leert und sterbend zusammenbricht. Entsetzt
dem Dichter Anatols nicht dankbarer gewesen,
wagnerisch wettern läßt, wie man tragische
eilt Pierrette in ihr Elternhaus zurück, wo sich
wenn er statt dieses krassen Effektes dem
man
orchestral aufbläst, wie
Motion
die Hochzeitsgäste zu Walzer und Menuett¬
Pierrotspiel wieder seine alte, graziös zwischen
blutroter
Musik
mit
grauer oder
Ihr
haben.
tänzen zusammengefunden
Lustigkeit und Wehmut schwankende Stim¬
Farbe anstreicht, und seine technische
heimliches Verschwinden war jedoch nicht
mung gegeben hätte?
Sicherheit zeigt die Art, wie er die Schlu߬
unbemerkt geblieben, und Bräutigam Arlecchino
ir
szene des zweiten Aktes oder die Wahnsinns¬
Kennern der Werke Arthur Schnitzlers wird verlangt entrüstet Aufklärung über ihr Ver¬
szene des dritten Aktes — einen rhythmisch
weilen. Schon gelingt es ihr, den Tobenden zu
der Inhalt der Pantomime nicht fremd sein.
und harmonisch kunstvoll verschrobenen Para¬
beschwichtigen; schon gibt sie sich, an Arlecchino
Gleicht er doch im wesentlichen dem Gang der
noiawalzer — aufbaut. Allein nicht diese
angeschmiegt, dem wirbelnden Tanz hin, als
Handlung im Schnitzlerschen Schauspiel „Der
Schleier der Beatrice“ dessen drei letzte Akte. plötzlich Pierrots Geist inmitten der tanzenden! Stellen der Partitur sind es, die die Bo¬
23. Der Schleien der Pierrette
malt hat. Er ist nicht mehr komisch oder tragi= ohne den Umweg der Rede, dem Auge des Zu=] Paare auftaucht und in seiner Hand auch den gab
Fril
Brautschleier hält, der Pierrette im Zimmer
schauers sich unmittelbar verständlich zu machen
komisch, sondern eine mit Figuren Edgar Poes
reiz
Pierrots unter den Umarmungen ihres Ge¬
suchen. Pierrot ist niemand anderer als der
oder Barbey d'Aurevillys verwandte tragische
Art
liebten herabgeglitten und zu Boden gefallen
Dichter Philippo Loschi, Arlecchino der Herzog
Figur geworden. So kennt man ihn aus den
war. Pierrette muß über Geheiß Arlecchinos
1
Lionardo Bentivoglio, Beatrice hat das Kleid
Gedichten Verlaines und aus den Zeichnungen
den Schleier holen gehen, und wird, da sie sich
erst
Pierrettens angezogen, und das Bologna des
Willettes, und diesen Pierrot mit der modernen
sträubt, von Arlecchino in das Zimmer gezerrt,
sechzehnten Jahrhunderts, das mit seinen
hysterischen Seele besingt sogar das neue fran¬
in dem der tote Pierrot neben dem Schleier
Gassen und Mauern, mit dem Dom S. Petronio
zösische Chanson, wenn es zur Unterhaltung der
auf dem Boden ausgestreckt liegt. Hier
Tra
und den schiefen Türmen Garisonda und
Hörer Pierrot auf dem Sterbebett schildert:
muß Pierrette mit der Leiche ihres Geliebten
erst
Asinelli der Schauplatz des „Schleiers der
„Le corpe et l’esprit
allein bleiben. In der Geängsteten bricht der
Beatrice“ ist, hat sich in das Altwien der
sche
En capilotade,
Wahnsinn aus, und von Wahnsinn gepeitscht,
Biedermeier=Zeit verwandelt. Aus den Fenstern
zwe
Gravement malade
beginnt sie zu tanzen, immer schneller, immer
des Zimmers, worin Pierrot des Besuches der
60
Pierrot tient le lit;
Et dans sa demenre
atemloser, bis sie zum Schluß neben Pierrots
Do
Pierrette harrt, blickt man auf die Kirchtürme
Colombine pleure
Leiche tot zusammenfällt. Die Schnitzlersche
und Basteien Wiens, kurz, man ist im ange¬
Lamentablement
Pantomime, die wie die „Liebelei“ begann,
stammten Dichterbezirk Arthur Schnitzlers zu
Ta
Et prie hümblement
schließt wie die Hofmannsthalsche „Elektra“
Hause und weit weg von jenem Bologna, das
Dien d’être clément
und steigert die Wirkung des wildentfesselten
von Cesare Borgia belagert, eine letzte Nacht
Pour que son amant
Tanzes allerdings noch durch die abstoßende
der Wollust durchrast, in der Todesgedanken
Ne meure
Anwesenheit einer Leiche auf der Bühne. Ein
den Liebesgenuß erhitzen.
tier
Dieser moderne Pierrot ist auch der Held der
sonderbarer und doch so ganz moderner
geh
In dieses Altwiener Zimmer Pierrots
Schnitzlerschen Dichtung, und wie wenig lustig
Pas de deux zwischen einer tollen Pierrette
stürmt jetzt, mit dem Myrtenkranz und
es in dem Pierrotstück zugeht, kann man daraus
und einem toten Pierrot!
wie
dem wallenden Schleier der Braut ge¬
ersehen, daß der Mann mit dem bleichen Antlitz
Für diese mit Leichengift gebeizten Stim¬
Pa
schmückt, Pierrette hinein, um vereint
im ersten Akt sich vergiftet, im zweiten als
mungen der Pantomime ist Ernst von
int
mit ihrem Geliebten Pierrot den Gifttrank zu
Gespenst wiederkehrt und im dritten als Leiche
Dohnanyi nicht eigentlich der richtige Mann
leeren. Lichter werden angezündet und Blumen¬
mitspielt. Pierrette wird aln Schluß des dritten
gewesen. Seine Begabung ist zu liebens¬
vasen auf den Tisch gestellt, um das letzte Mahl
Aktes gar wahnsinnig und das Pierrotstück
würdig, sein Sinn fürs Graziöse zu sehr
festlich zu begehen, allein in der entscheidenden
endet mit einem gemimten Duett zwischen
ausgeprägt, als daß er echte Töne für das
Kon
Minute entsinkt Pierrette der Mut, zu sterben,
einem Kadaver und einer Wahnsinnigen, gewiß
Düstere und Unheimliche des Textes hätte
und ihre zitternde Hand vermag das Glas nicht
einem effektvollen und an die Nerven greifen¬
aufbringen können. Zwar weiß er als ge¬
vom Tisch zu heben, während Pierrot das seine
den Schluß, aber, Hand aufs Herz, wer wäre
bildeter Musiker, wie man das Blech
Di
leert und sterbend zusammenbricht. Entsetzt
dem Dichter Anatols nicht dankbarer gewesen,
wagnerisch wettern läßt, wie man tragische
eilt Pierrette in ihr Elternhaus zurück, wo sich
wenn er statt dieses krassen Effektes dem
man
orchestral aufbläst, wie
Motion
die Hochzeitsgäste zu Walzer und Menuett¬
Pierrotspiel wieder seine alte, graziös zwischen
blutroter
Musik
mit
grauer oder
Ihr
haben.
tänzen zusammengefunden
Lustigkeit und Wehmut schwankende Stim¬
Farbe anstreicht, und seine technische
heimliches Verschwinden war jedoch nicht
mung gegeben hätte?
Sicherheit zeigt die Art, wie er die Schlu߬
unbemerkt geblieben, und Bräutigam Arlecchino
ir
szene des zweiten Aktes oder die Wahnsinns¬
Kennern der Werke Arthur Schnitzlers wird verlangt entrüstet Aufklärung über ihr Ver¬
szene des dritten Aktes — einen rhythmisch
weilen. Schon gelingt es ihr, den Tobenden zu
der Inhalt der Pantomime nicht fremd sein.
und harmonisch kunstvoll verschrobenen Para¬
beschwichtigen; schon gibt sie sich, an Arlecchino
Gleicht er doch im wesentlichen dem Gang der
noiawalzer — aufbaut. Allein nicht diese
angeschmiegt, dem wirbelnden Tanz hin, als
Handlung im Schnitzlerschen Schauspiel „Der
Schleier der Beatrice“ dessen drei letzte Akte. plötzlich Pierrots Geist inmitten der tanzenden! Stellen der Partitur sind es, die die Bo¬