II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 206


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23. Der Schleier der Bierrette

tragi¬
ohne den Umweg der Rede, dem Auge des Zu=] Paare auftaucht und in seiner Hand auch den
gabung Dohnanyis in ihrer natürlichen
Poes
schauers sich unmittelbar verständlich zu machen
Brautschleier hält, der Pierrette im Zimmer
Frische zeigen. Man muß vielmehr die
agische
suchen. Pierrot ist niemand anderer als der
Pierrots unter den Umarmungen ihres Ge¬
reizenden Episoden im ersten und zweiten
s den
Dichter Philippo Loschi, Arlecchino der Herzon
liebten herabgeglitten und zu Boden gefallen
Akt aufsuchen, um sich seiner Anmut zu er¬
ungen
Lionardo Bentivoglio, Beatrice hat das Kleid
war. Pierrette muß über Geheiß Arlecchinos
freuen. Wie entzückend der D=Dur=Walzer des
dernen
Pierrettens angezogen, und das Bologna des
den Schleier holen gehen, und wird, da sie sich
ersten Aktes mit seinem pikanten, harmo¬
fran¬
sechzehnten Jahrhunderts, das mit seinen
sträubt, von Arlecchino in das Zimmer gezerrt,
nischen Gewürz, seinen klingenden Geigen¬
ig der
Gassen und Mauern, mit dem Dom S. Petronio
in dem der tote Pierrot neben dem Schleier
stimmen! Wie geistvoll der parodistische
ldert:
und den schiefen Türmen Garisonda und
auf dem Boden ausgestreckt liegt. Hier
Trauermarsch beim „Abschiedssouper“ des
Asinelli der Schauplatz des „Schleiers der
muß Pierrette mit der Leiche ihres Geliebten
ersten Aktes! Und, um vielleicht das Hüb¬
Beatrice“ ist, hat sich in das Altwien der
allein bleiben. In der Geängsteten bricht der
scheste zu nennen, wie apart das Menuett des
Biedermeier=Zeit verwandelt. Aus den Fenstern
Wahnsinn aus, und von Wahnsinn gepeitscht,
zweiten Aktes! Gewiß, diese mit graziöser
des Zimmers, worin Pierrot des Besuches der
beginnt sie zu tanzen, immer schneller, immer
Hand gestalteten Szenen sind die eigentliche
Pierrette harrt, blickt man auf die Kirchtürme
atemloser, bis sie zum Schluß neben Pierrots
Domäne der Dohnanyischen Begabung, und
und Basteien Wiens, kurz, man ist im ange¬
Leiche tot zusammenfällt. Die Schnitzlersche
wenn irgend jemand heute ein ausgesprochenes
stammten Dichterbezirk Arthur Schnitzlers zu
Pantomime, die wie die „Liebelei“ begann,
Talent für das musikalische Lustspiel besitzt,
Hause und weit weg von jenem Bologna, das
schließt wie die Hofmannsthalsche „Elektra“
ist er es. Zu dieser feinen Begabung für
von Cesare Borgia belagert, eine letzte Nacht
und steigert die Wirkung des wildentfesselten
liebenswürdige Musik und dem
beträchtlichen
der Wollust durchrast, in der Todesgedanken
Tanzes allerdings noch durch die abstoßende
Theatertalent kommt noch eine Instrumen¬
den Liebesgenuß erhitzen.
Anwesenheit einer Leiche auf der Bühne. Ein
d der
tierung voll natürlichen Klangreizes. Dohnanyi
sonderbarer und doch so ganz moderner
In dieses Altwiener Zimmer Pierrots
gehört heute zu den wenigen Komponisten, bei
lustig
Pas de deux zwischen einer tollen Pierrette
stürmt jetzt, mit dem Myrtenkranz und
denen eine Flöte wie eine Flöte und eine Viola
araus
und einem toten Pierrot!
dem wallenden Schleier der Braut ge¬
Untlitz
wie eine Viola klingt. Von ihm, der in der
schmückt, Pierrette hinein, um vereint
Für diese mit Leichengift gebeizten Stim¬
Partitur zum „Schleier der Pierrette“ ein
n als
mit ihrem Geliebten Pierrot den Gifttrank zu
mungen der Pantomime
ist Ernst von
Leiche
interessantes Werk geschaffen hat, wäre viel
leeren. Lichter werden angezündet und Blumen¬
Dohnanyi nicht eigentlich der richtige Mann
britten
zu erwarten, wenn er einen echten Lustspieltext
vasen auf den Tisch gestellt, um das letzte Mahl
gewesen. Seine Begabung ist zu liebens¬
otstück
in die Hand bekäme und, wie reizend, wenn
festlich zu begehen, allein in der entscheidenden
würdig, sein Sinn fürs Graziöse zu sehr
ischen
er — eine Art Anatol unter den modernen
Minute entsinkt Pierrette der Mut, zu sterben,
ausgeprägt, als daß er echte Töne für das
gewiß
Komponisten —, gleich bei Arthur Schnitzler
und ihre zitternde Hand vermag das Glas nicht
Düstere und Unheimliche des Textes hätte
eifen¬
selbst anklopfen würde, der seinen Humor
vom Tisch zu heben, während Pierrot das seine
aufbringen können. Zwar weiß er als ge¬
wäre
freilich nicht im Seziersaale suchen dürfte.
leert und sterbend zusammenbricht. Entsetzt
bildeter Musiker, wie man das Blech
wesen,
Die Hauptrollen der Pantomime (Dirigent
eilt Pierrette in ihr Elternhaus zurück, wo sich
wagnerisch wettern läßt, wie man tragische
dem
Herr Hofkapellmeister Schalk) wurden von
die Hochzeitsgäste zu Walzer und Menuett¬
Motion orchestral aufbläst, wie man
ischen
Herrn Czadik (Pierrot), Godlewski
tänzen zusammengefunden haben.
Ihr
Musik mit grauer
oder
blutroter
(Arlecchino) und
Stim¬
Fräulein Jamrich
heimliches Verschwinden war jedoch nicht
Farbe anstreicht, und
seine technische
(Pierrette) gegeben. Das Werk wurde trotz
unbemerkt geblieben, und Bräutigam Arlecchino
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Sicherheit zeigt die Art, wie er die Schlu߬
der guten Aufführung abgelehnt, da das
wird
verlangt entrüstet Aufklärung über ihr Ver¬
szene des zweiten Aktes oder die Wahnsinns¬
Publikum im Operntheater keinen Sketch
sein.
weilen. Schon gelingt es ihr, den Tobenden zu
szene des dritten Aktes
— einen rhythmisch
sehen will, auch wenn er von Schnitzler und
ng der
beschwichtigen; schon gibt sie sich, an Arlecchino
und harmonisch kunstvoll verschrobenen Para¬
Dohnanyi ist.
„Der
angeschmiegt, dem wirbelnden Tanz hin, als
noiawalzer — aufbaut. Allein nicht diese
Dr. Max Graf.
Akte. plötzlich Pierrots Geist inmitten der tanzenden! Stellen der Partitur sind es, die die Be¬1

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