II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 224

ind Blech nicht genng tun kann, denen gegenüber sich
die Die-Ausführung schrecht geung mimende Bühnen
müsik, bestehend aus einem Spinett, einer Flote und
einem armseligen Geigerlein, überaus komisch aus¬
nimmt. Wenn mir in der Musik der Gruselszene goch
ältere Erinnerungen kamen, die bis auf St. Saens
„danse macabre“ zurückgehen, so erwähne ich das
nicht, um Reminiszenzen zu jagen, sondern nur um
zu zeigen, wie alt, um nicht zu sagen veraltet, die
Erfindung ist, die auf einen neuen Stimmungsge¬
halt mit neuer Musik hätte reagieren sollen. An¬
klänge dazu finden sich viekleicht in dem originelten,
gut erfundenen, ironischen Trauermarsch (1. Bild),
#ase oune Oewäntn
in dem unheimlich lustigen Zweivierteltakt (2. Bild),
twährend gerade die Gruselszene des Schlusses, im
Ausschnitt aus:
Anfang unleidlich zerdehnt, im Schlusse nicht ge¬
nügend gesteigert, und zu plötzlich abgebrochen, die
Monten Novuo, Wion
vom: 25 9 1911
Wirkung des Ganzen gefährdet. Angenehm als In¬
ARE TTEER
termezzo zwischen Toben und Grausen fällt ein an¬
mutiges Mennett auf, das Dohnanyi von dem wenig
geglückten Versuche moderner Dramatik zu den
Hofoperntheater.
freundlicheren Anfängen seiner Kunst zurückweisen
möchte.
Zum erstenmale: „Der Schleier der Pierette“
Pantomime von Arthur Zcuigler, Musik von Ernst
Den toten und den tobenden Liebhaber mimten die
von Dohnänyi. — Gastspiel Caruso.
Herren Czadill und Godlewsky recht wirksam,
Drei= und vierfach erhöhte Preise. Fünfzigtausend
um Pierette war Fräulein Jamrich mit Eifer bemüht.
Kronen füllen das Haus bis zum letzten Plätzchen.
Eine große Schauspielerin würde mehr daraus machen,
Blitzender Schmuck, pompöse Toiletten, tadelloser Frack:
auf die Gefahr hin, daß das bißchen Tanzen, das nötig
vielleicht unser reichstes, kaum unser musikverständigstes
ist, weniger kunstgerecht ausfiele. Auch die Inszenierung
Publikum. Man muß dabei gewesen sein; man muß hätte nach eindringlicherer Wirkung zu streben, als die
dabei gesehen worden sein; man muß wieder die Sen= bloß allzu große Dunkelheit ausübt.
sation des größten Tenors der Welt erlebt haben. Aber
Aber sie weiß auch mit „Bajazzo“ noch immer.
vorher fünsptertel Stunden Pantomime? Eine Panto¬
nichts anzufangen, der der erste gewaltige Einwand
mime, gar ernst kommt? Mit einer Musik, die An¬
gegen Herrn Wymetals Regie gewesen ist. Nun sind
sprüche macht? Nein, dafür hat man das viele Geld
fast alle seine Mätzchen gestrichen worden; geblieben ist
Soch nicht ausgegeben!
nur die unmögliche szenische Einteilung, die den ganzen
Es war ein Fehler, zwei Harlekiniaden hinter Schluß unsichtbar und unhörbar macht. Geblieben ist
einander zu bringen. Es war ein schweres Unrecht,
leider Gottes auch Herr Wymetal.
ein ernstes Werk dem Unterhaltungsbedürfnis einer
Aber wer kümmerte sich diesmal um die Regie!
Jour=Gesellschaft vorzuwerfen. Es hätte mehr In= Wer um die Mitwirkenden, die wirklich in ihrer Höf¬
teresse verdient. Denn es ist geistreich und scharf¬
lichkeit, dem Gast den Vorrang zu lassen, ein bißchen
sinnig, wie jede Zeile Schnitzlers, dieses vor¬ allzu weit gingen. Wer Caruso zum erstenmal ken¬
nehmen Künstlers. Es ist wahrscheinlich sogar zulnen lernte, war zwiefach enttäuscht. Nicht durch den
geistreich. Zu sehr auf diese konstruierte und unnatür= Gesangskünstler, der genau so vollkommen und unüber¬
liche Situation gestellt, die man aus seinem sorm=trefflich ist, wie man es annehmen mußte. Aber der
schönen und gedankenvollen Renaissance=Drama, aus Schauspieler enttäuschte den, der bloß einen Tenor er¬
dem „Schleier der Beatriee“ schon kennt. Nur daß wartet hatte. Denn er ist ein meisterhafter Darsteller, der
dort alles behutsamer, feiner, und auch poetischer in diese abgespielte Rolle ganz neue geistreiche und
zugeht, als in dieser Alt=Wiener Bearbeitung. Woglänzende Züge zu bringen versteht. Leider enttäuschte
dort psychologische Feinheit in klingende Verse ge¬aber auch der Tenor. Es fehlte an Klang und Fülle des
kleidet kam, mußte hier alles auf grobe und gröbste Tones wie an der letzten Steigerung voller Kraft, so
Sinnfälligkeit losgehen. Gemeinsam blieb die Aus= daß alle, die den legendären Caruso=Ton von früher
gangssituation: daß ein junges Mädchen während kannten, eine Indisposition annahmen.
Finer Hochzeitsfeier sich unbemerkt von der Seite
Gerne will ich es glauben. Trotzdem ist hier der
des Bräutigams stiehlt, im mit dem verlassenen
Anlaß, noch ein Wort über Starwirtschaft und Ameri¬
Geliebten vereint zu sterben. Daß ihr im letzten
kanismus im Kunstbetrieb zu sagen. Dieses Wort
Moment der Mut dazu fehlt, während er den Gift=Iheißt: Fort damit! Wir brauchen keine Stars, die
trank leert und stirbt. Daß sie wie wahnsinnig zut= im deutschen Ensemble fremdsprachig singen. Welcher
flieht und den Hochzeitsschleier zurückläßt. Daß sie, Teuische würde das gleiche in der Seala wagen? Der
das weißschimmernde Symbol zu holen, mit dem lösterreichische Kammersänger Caruso kann gewiß dazu
Bräutigam wiederkommen muß, der nun angesichts gebracht werden, drei Rollen deutsch zu erlernen. Und
des Toten Alles begreift Um alles zu verzeihen, im höchsten Grade aufreizend ist dieses demütige Akzep¬
setzt der Herzog von Bologna fort. Um alles zustieren amerikanischer Honoraransprüche. In einem
verderben, korrigiert sein Nachbild Arlechino Um Lande, wo die Kunst darbt und Musiker hungern,
ein grauenhaftes, leichenschänderisches Spiel mit dem wirkt es aufreizend, wenn ein Gastspiel von drei
Körper des toten Rivalen zu beginnen, den er weiß Abenden mit 45.000 Kronen bezahlt, wenn der Besuch
und leblos als stummen Dritten zur Tafel lehnt, einer Opernvorstellung zum Vorrecht der Millionäre
Nl. 59.
wid. Die Hosthenter in Gurova haben sehr woht dief
Macht, die toll gewordenen Ansprüche zu bekämpfen.
Die amerikanischen Stars brauchen die europäischen!
Gastspiele mehr noch, als wir sie, sie brauchen unsere
Zeitungsnotizen, unsere Auszeichnungen, und nicht zu¬
ketzt auch unser Geld. Eine diesbezügliche Verein¬
barung der großen Hofbühnen würde sehr bald ihre
Wirkung tun. Auf sie, und vielleicht auch auf manche
der einheimischen Größen, denen der Dollarwahnsius
die Köpfe verwirrt.
Dr. R. S. Hoffmann“