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23. Der Schleiender-Pierrette
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Und das Schlimmste ist: Dohnänyi versteht die szenischen
und mimischen Vorkommnisse auf keine noch so konventionelle
Art melodisch=rhythmisch zu illustrieren. Den Witz der Gattung,
die haarscharfe Übereinstimmung von Bild und Klang, Gebärde
und Tonfigur, hat er, wie es scheint, gar nicht gesucht, nirgends
gefunden. So kommt die Form der Pantomime am meisten zu
kurz, mehr noch als der Inhalt des Theaterstückes, und auch
eine klügere und feinere Regie als die des Herrn von Wymetal
würde da vergeblich nach unmittelbaren Wirkungen streben. Die
trefflichen Darsteller der Hauptpersonen, Frl. Jamrich, Herr
Godlewski und Herr Czadill, mühten sich gleichfalls umsonst. Es
war eine verlorene Sache, für die sie kämpften. Langeweile des
großen Publikums und Mißvergnügen der Kenner, demnach
allgemeiner Unmut — das ist der einzige Effekt, der mit dieser
Pantomime zu erzielen ist.
Gregor hatte sich aber nicht damit begnügt, das Werk auf¬
zuführen. Er verband die Aufführung mit dem ersten Gastspiel
Carusos und gedachte so den Autoren eine Ehrung und Genug¬
tuung zu bereiten, für die sie ihm nun wenig Dank wissen
werden. Denn vor dem gewöhnlichen Premièrenpublikum wäre
das äußere Ergebnis vermutlich günstiger gewesen. Die beiden
freundschaftliche
— nicht mit Unrecht
Autoren genießen ja
Achtung in Wien, was auch in dem größten Teil der Tages¬
presse zum Ausdruck kommt. Die Leute aber, die, sei es im
Zwange der Mode oder im Drange echter Kunstbegeisterung, die
vier= bis zehnfachen Preise gezahlt hatten, um Caruso als
„Bajazzo“ zu sehen und zu hören — eine Leistung, die, rein
künstlerisch genommen, gewiß so sehens= und hörenswert, so
schlechthin vollkommen und theatralisch überwältigend ist, daß sie
mit dem Normalmaße unserer Hofbühne nicht gemessen und mit
den sonst üblichen Preisen (die für den üblichen Kunstgenuß
allerdings viel zu hoch berechnet sind) nicht bezahlt werden kann —
diese Leute hatten ein Recht, für ihr teures Geld erlesene Genüsse
zu verlangen und wurden ungeduldig, als die Pantomime sich
sehr empfindlich in die Länge zog und das Auftreten des „Bajazzo“
immer weiter hinausschob. Sie machten keine Anstrengung, ihre
Ungeduld zu verbergen, und bedachten das Stück, als es endlich
aus war, je nach ihrem gesellschaftlichen Rang und ihrem persön¬
lichen Temperament mit kalter Verachtung, empörtem Zischen
oder verlegenem Beifall für die Mitwirkenden.
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23. Der Schleiender-Pierrette
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Und das Schlimmste ist: Dohnänyi versteht die szenischen
und mimischen Vorkommnisse auf keine noch so konventionelle
Art melodisch=rhythmisch zu illustrieren. Den Witz der Gattung,
die haarscharfe Übereinstimmung von Bild und Klang, Gebärde
und Tonfigur, hat er, wie es scheint, gar nicht gesucht, nirgends
gefunden. So kommt die Form der Pantomime am meisten zu
kurz, mehr noch als der Inhalt des Theaterstückes, und auch
eine klügere und feinere Regie als die des Herrn von Wymetal
würde da vergeblich nach unmittelbaren Wirkungen streben. Die
trefflichen Darsteller der Hauptpersonen, Frl. Jamrich, Herr
Godlewski und Herr Czadill, mühten sich gleichfalls umsonst. Es
war eine verlorene Sache, für die sie kämpften. Langeweile des
großen Publikums und Mißvergnügen der Kenner, demnach
allgemeiner Unmut — das ist der einzige Effekt, der mit dieser
Pantomime zu erzielen ist.
Gregor hatte sich aber nicht damit begnügt, das Werk auf¬
zuführen. Er verband die Aufführung mit dem ersten Gastspiel
Carusos und gedachte so den Autoren eine Ehrung und Genug¬
tuung zu bereiten, für die sie ihm nun wenig Dank wissen
werden. Denn vor dem gewöhnlichen Premièrenpublikum wäre
das äußere Ergebnis vermutlich günstiger gewesen. Die beiden
freundschaftliche
— nicht mit Unrecht
Autoren genießen ja
Achtung in Wien, was auch in dem größten Teil der Tages¬
presse zum Ausdruck kommt. Die Leute aber, die, sei es im
Zwange der Mode oder im Drange echter Kunstbegeisterung, die
vier= bis zehnfachen Preise gezahlt hatten, um Caruso als
„Bajazzo“ zu sehen und zu hören — eine Leistung, die, rein
künstlerisch genommen, gewiß so sehens= und hörenswert, so
schlechthin vollkommen und theatralisch überwältigend ist, daß sie
mit dem Normalmaße unserer Hofbühne nicht gemessen und mit
den sonst üblichen Preisen (die für den üblichen Kunstgenuß
allerdings viel zu hoch berechnet sind) nicht bezahlt werden kann —
diese Leute hatten ein Recht, für ihr teures Geld erlesene Genüsse
zu verlangen und wurden ungeduldig, als die Pantomime sich
sehr empfindlich in die Länge zog und das Auftreten des „Bajazzo“
immer weiter hinausschob. Sie machten keine Anstrengung, ihre
Ungeduld zu verbergen, und bedachten das Stück, als es endlich
aus war, je nach ihrem gesellschaftlichen Rang und ihrem persön¬
lichen Temperament mit kalter Verachtung, empörtem Zischen
oder verlegenem Beifall für die Mitwirkenden.
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